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Das alte Lied vom bösen Nationalpark

Die Gegner des Nationalparks Ostsee bringen uralte Argumente vor, die längst widerlegt sind. Es fehlen kantige Konservative, die Naturschutz durchboxen

Gastkommentar von Bernd Scherer

Dass es der Ostsee schlecht geht, ziemlich schlecht sogar, hat die schleswig-holsteinische Landesregierung längst erkannt und auch aktenkundig gemacht: Alle Zustandsberichte, die der Ostseeschutzkommission Helcom genauso wie die zur Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie oder die Natura 2000-Berichte zum europäischen Naturschutzrecht, kommen schließlich zum selben Ergebnis. Deshalb hatten auch die regierenden Parteien von CDU und Grünen in ihrer Strategie zum Erhalt der Biologischen Vielfalt angekündigt, bis 2024 zu prüfen, wo in der Ostsee ungenutzte Rückzugs- und Ruheräume für marine Arten gesichert werden können. Ein guter, ein richtiger Schritt in Richtung Nationalpark, sollte man annehmen.

Als im Juni 2022 CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten, „in einem intensiven Konsultationsprozess die Gründung eines Nationalparks Ostsee zu diskutieren“, schien der Weg frei: Das Land nimmt offenbar ernst, dass die Biodiversitätskrise mindestens ebenso bedrohlich für die Menschheit ist wie die Klimakrise. Und eine, wenn nicht die entscheidende Maßnahme dagegen besteht in der Sicherstellung großer Schutzgebiete auf See und an Land.

Inzwischen hat der vereinbarte Konsultationsprozess begonnen. Argumente, Meinungen, Befindlichkeiten kommen auf den Tisch und werden diskutiert. Wenig überraschend entsteht eine Welle der empörten Ablehnung. Wer meint, diese Ablehnung sei ganz neu, weil die Diskussion über den Nationalpark Ostsee gerade erst begonnen hat, irrt allerdings. Die empörte Ablehnung ist uralt, wir kennen sie seit 1970 von jeder Neugründung bei allen 16 deutschen Nationalparks.

Dabei sind die Argumente der Nationalparkgegner längst widerlegt. Immer wieder von Neuem werden das Ende der Freiheit, die Existenzbedrohung für die Regionalwirtschaft, das Verbot von Sport, Spaß und Spazierengehen und der Niedergang des Tourismus vorhergesagt. Immer wieder behaupten die Nationalparkgegner meinungsstark und faktenfrei, es gebe weder Sachargumente für einen Nationalpark noch Nachweise für seine Wirksamkeit.

Bernd Scherer 69, leitete von 1994 bis 2004 den Nationalpark Schleswig-

Holsteinisches Wattenmeer. Danach wechselte er ins Kieler Umweltministerium und leitete bis zu seiner Rente 2014 das Referat „Meeresschutz, Nationalpark“.

Die Realität war und ist in allen 16 deutschen Nationalparks jedoch eine völlig andere. Spätestens zwei Jahrzehnte nach Gründung, oft früher, stellt sich heraus, dass die Nationalparks den Naturschutz, die Lebensqualität der Einheimischen und die regionale Wirtschaft, insbesondere den Tourismus voranbringen. Das ist vielfach belegt; auch hier in Schleswig-Holstein, wo die Zustimmungsraten für den einst heftig abgelehnten Nationalpark Wattenmeer in repräsentativen Umfragen stabil bei über 80 Prozent liegen, bei Touristen noch höher. Nicht einmal die Kirche oder die Rente erreichen derart große Zustimmung.

Doch all diese Fakten hindern viele Verbandsvertreter nicht daran, das schräge alte Lied erneut zu spielen. So lehnte ausgerechnet der Tourismusverband Schleswig-Holstein im September den Nationalpark Ostsee ausdrücklich ab. Die Touristiker reihen sich damit ein in einen schrillen Chor von Nationalparkgegnern, dem auch Fischer, Wassersportler und Bauern angehören. Schleswig-Holsteiner, die sonst gerne ein weites Herz und klaren Horizont („Rüm hart – klåår kiming“) für sich in Anspruch nehmen, können oder wollen sich hier nicht von längst als falsch entlarvten Vorurteilen trennen.

Während längst widerlegte Argumente wiederkehren, hat sich in Schleswig-Holstein seit der Debatte um den Nationalpark Wattenmeer eines verändert: Damals waren es CDU-Politiker wie der Ministerpräsident Uwe Barschel und besonders sein Landwirtschaftsminister Günther Flessner, die für ihre Überzeugung beim Nationalpark einstanden, in schwierigem politischen Umfeld kämpften und schließlich eine parlamentarische Mehrheit überzeugten. „Auch und gerade eine konservative Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie Leute hat, die den Weitblick, den Mut und die Kraft haben, ihre Anhänger davon zu überzeugen, was wichtig ist, und nicht nur nachsprechen, was ihre Lobbyverbände ihnen vorsagen“, beschreibt es Peter Taube, Kieler Professor für Agrarwissenschaft.

Was Taube einfordert, gilt auch, wenn der Wind mal von vorne kommt. Weitblick und Klarheit mögen in der heutigen CDU vielleicht noch vorhanden sein – sichtbar sind sie nicht, wirksam schon gar nicht. Einen vorläufigen traurigen Höhepunkt hat der naturschutzpolitische Kleinmut der Haupt-Regierungspartei CDU mit dem Parteitagsbeschluss vom 5. Oktober erreicht. Darin wird der Nationalpark Ostsee noch während des vertraglich vereinbarten Konsultationsprozesses ausdrücklich abgelehnt. Man darf wohl annehmen, dass der düpierte grüne Koalitionspartner, in Bund und Land inzwischen ein Meister des Krötenschluckens, es hinnehmen wird, mit Zähneknirschen.

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