Wilder Streik in Gräfenhausen: Lkw-Fahrer treten in Hungerstreik
Sie fordern seit über sieben Wochen auf einer hessischen Raststätte ihren Lohn ein. Jetzt sind 30 LKW-Fahrer in den Hungerstreik getreten.
Insgesamt harren rund 100 Lkw-Fahrer aus Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei seit über sieben Wochen auf den Raststätten Gräfenhausen Ost und West aus und fordern mit einem „wilden Streik“ ihren ausstehenden Lohn ein. Die Mazur-Gruppe aus Polen soll ihnen insgesamt etwa eine halbe Million Euro schulden. Die Firma bestreitet das. Es ist der längste bekannte Streik von Truckern in Europa.
Einige Fahrer hatten bereits Anfang August und dann noch einmal in der vergangenen Woche mit Hungerstreik gedroht. „Sie sind verzweifelt und wissen sich nicht anders zu helfen“, sagte Atema der taz. „Ich mache diese Arbeit schon sehr lange, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Er sei auch kein „Experte für Hungerstreik“ und wisse nicht, wie es nun weitergehe. Er habe die Polizei informiert. Am Abend wolle er sich mit anderen Unterstützern zusammensetzen und das weitere Vorgehen beraten.
Die Hungerstreikenden nannten laut Atema keine Frist für ihre Aktion. Sie hätten Atema lediglich gebeten, die an der Lieferkette beteiligten Firmen über ihre Aktion zu unterrichten. Damit habe er begonnen, bisher aber noch keine Reaktion erhalten.
Firmen aus Deutschland und Österreich sind Auftraggeber
Die Lkw gehören zwar zu polnischen Unternehmen, fahren aber fast ausschließlich in Westeuropa. Unternehmen unter anderem aus Deutschland und Österreich sind die Auftraggeber, doch zwischen Mazur und ihnen liegen oft mehrere Subunternehmen. Die Fahrer hatten kürzlich Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht, deren Waren sie geladen haben oder die als Logistikunternehmen an der Lieferkette beteiligt sind.
Darunter sind Porsche, Audi, VW, DHL, der Möbelhändler Poco, der Energydrinkhersteller Redbull und die Baumärkte Obi und Bauhaus. Auch Ikea wurde in dem Zusammenhang genannt. All diese Unternehmen bestritten gegenüber der taz, mit Mazur zusammenzuarbeiten.
In den vergangenen Wochen hatten zwei an der Lieferkette beteiligte Logistiker aus Österreich zusammen 40.000 Euro als Lohnanzahlung an die Fahrer ausgezahlt. Die teilten das Geld unter sich auf. In der vergangenen Woche war laut Atema der Vertreter eines „deutschen Großlogisters“ nach Gräfenhausen gekommen, der erst nach über sechs Wochen festgestellt habe, dass seine Ware auf dem hessischen Rastplatz lagert. „Das ist die Situation in den Lieferketten“, sagte Atema. Gehandelt habe der Logistiker bis jetzt nicht, Atema hofft aber, dass er sich demnächst mit einem Angebot an ihn wendet.
Am Freitag hatte sich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum Streik in Gräfenhausen geäußert, zunächst in der Frankfurter Rundschau. „LKW-Fahrer halten unser Land und unsere Wirtschaft am Laufen. Sie um ihren hart verdienten Lohn zu betrügen, dulden wir nicht“, sagte Heil. „Die verzweifelten LKW-Fahrer in Gräfenhausen brauchen unsere Unterstützung. Ich appelliere an die deutschen Großunternehmen, bei der Auswahl ihrer Speditionen ihrer Verantwortung gerecht zu werden.“
Sonderprüfung angekündigt
Heil kündigte eine Sonderprüfung von an der Mazur-Lieferkette beteiligten Unternehmen im Rahmen des Lieferkettengesetzes an.Zuständig für Verstöße gegen das im Januar in Kraft getretene Gesetz ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Das BAFA hat seit der ersten Berichterstattung das Thema Gräfenhagen im Blick, sagte eine Sprecherin des BMAS der taz.
Die Behörde beobachte die aktuellen Entwicklungen seitdem intensiv. „Unter anderem hat das BAFA eingeleitet, dass Auskunftsersuchen an Unternehmen erfolgen, die laut Berichterstattung als Auftraggeber mit der „Mazur-Gruppe“ in Verbindung gebracht werden. Über Einzelheiten zu laufenden Kontrollen und Ermittlungen könne das BMAS keine Auskunft geben. Atema begrüßt, dass der Bundesarbeitsminister sich eingeschaltet hat und hofft:„Das sind sicher keine leeren Worte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen