Klimaklage in den USA: Kalifornien verklagt Ölmultis
Der US-Bundesstaat wirft ihnen vor, bewusst Desinformation über fossile Energien verbreitet zu haben. Aktivisten sprechen von Wendepunkt.
„Mehr als 50 Jahre lang haben uns die Öl-Giganten belogen und die Tatsache verschleiert, dass sie schon seit langem wissen, wie gefährlich die von ihnen produzierten fossilen Energieträger für unseren Planeten sind“, erklärte Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. Sein Bundesstaat wolle „die großen Umweltverschmutzer nun zur Verantwortung ziehen“.
Die Manager der Öl- und Gasunternehmen hätten „seit Jahrzehnten gewusst, dass eine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu diesen katastrophalen Ergebnissen führen würde“, heißt es in der bei Gericht in San Francisco eingereichten Klage. Dennoch hätten sie diese Informationen der Allgemeinheit und Politikern vorenthalten und jahrzehntelang „aktiv Falschinformationen zu dem Thema“ verbreitet.
Durch diese „Täuschung“ habe die Gesellschaft erst mit Verspätung auf die Erderwärmung reagiert, heißt es in der 135-seitigen Klageschrift weiter. Damit habe das „Fehlverhalten“ der Öl-Manager zu „enormen Kosten für die Menschen, Eigentum und natürliche Ressourcen“ geführt.
Industrieverband API wehrt sich
„Indem sie den wissenschaftlichen Konsens über den Klimawandel herunterspielten und die Ungewissheit betonten, hofften die Beklagten, jegliche Regulierungsmaßnahmen zu verzögern (…)“, wird den Ölkonzernen in den Gerichtsdokumenten weiter vorgeworfen.
Der Industrieverband API wies die Klage als „wertlos“ und „politisiert“ zurück. „Diese anhaltende, koordinierte Kampagne, wertlose, politisierte Prozesse gegen eine strategische amerikanische Industrie und ihre Arbeiter zu führen, ist nichts anderes als eine Ablenkung von wichtigen nationalen Themen und eine enorme Verschwendung von kalifornischen Steuergeldern“, sagte Verbandssprecherin Andrea Woods der Nachrichtenagentur AFP.
Ein Sprecher von Shell erklärte, der Ölkonzern stimme darin überein, dass „nun wegen des Klimawandels gehandelt werden“ müsse. Der Gerichtssaal sei dafür aber „nicht der richtige Ort“.
Kalifornien will mit seiner Klage die Einrichtung eines Fonds erreichen, mit dem die Kosten künftiger infolge des Klimawandels angerichteter Schäden in dem Bundesstaat – wie etwa durch Waldbrände und Überschwemmungen – gedeckt werden sollen.
Aktivisten sehen Klage als Wendepunkt
Aktivisten bezeichneten die Klage als „Wendepunkt“ im Kampf gegen die Ölkonzerne. Das Center for Climate Integrity mit Sitz in Washington erklärte, Kalifornien sei „nun die größte Volkswirtschaft und der erste große ölproduzierende Staat, der Ölunternehmen wegen ihres Klimabetrugs vor Gericht bringt“.
Das Vorgehen Kaliforniens sei ein „unmissverständliches Zeichen, dass die Welle von Klimaklagen gegen die großen Ölkonzerne weiter wachsen wird und dass die Tage, in denen diese Verschmutzer sich der Verantwortung für ihre Lügen entziehen, gezählt sind“, erklärte der Präsident der gemeinnützigen Organisation, Richard Wiles.
Die kalifornische Klage folgt zahlreichen anderen Verfahren, die von US-Städten, Landkreisen und Staaten gegen die Ölindustrie angestrengt wurden wegen der Folgen für das Klima sowie mutmaßlicher Desinformationskampagnen über Jahrzehnte hinweg.
Seit dem Beginn der aktuellen Welle von Umweltverfahren gegen Ölkonzerne um 2017 hat die Industrie versucht, Staatsprozesse mit verfahrenstechnischen Gründen zu verhindern. Diese Bemühungen erhielten im Mai einen Rückschlag, als der Oberste Gerichtshof der USA zwei Berufungsklagen zurückwies.
Vorbilder für die Klagen sind erfolgreiche Verfahren gegen die großen Tabakkonzerne sowie gegen die US-Pharmaindustrie im Zusammenhang mit der Opioid-Krise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl