Landesparteitag der Berliner CDU: Nicht mal Autofahrer ausgrenzen
Kai Wegner wird als CDU-Landeschef mit Rekordergebnis wiedergewählt. Er gibt sich unideologisch – und streichelt doch die konservative Seele.
Das ist schon mehr als der Wink mit dem Zaunpfahl und schließt direkt an die Mahnung des als Generalsekretär ausscheidenden Stefan Evers an: Es sei keine Zeit für Grabenkämpfe, wie sie andere Parteien und Regierungen prägen“. Andere Parteien? Auch Ärger in seiner eigenen CDU hatte Wegner Ende April fast den Einzug ins Rote Rathaus gekostet: Da klappte im Abgeordnetenhaus seine Wahl zum Regierungschef erst im dritten Durchgang und auch das möglicherweise – die Abstimmung war geheim – nur mit AfD-Stimmen.
Auch CDUler, nicht bloß kritische SPDler in der gerade vereinbarten schwarz-roten Koalition, hatten Wegner damals dem Vernehmen nach die Stimme verweigert – enttäuscht davon, bei der Postenvergabe im Senat leer ausgegangen zu sein. „Ich weiß, dass ich den einen oder anderen verärgert habe“, deutet Wegner am Samstag in seiner Rede immerhin an, sei es durch Personalentscheidungen oder inhaltlich. Aber er habe so handeln müssen, weil es „das Beste für Berlin“ gewesen sei. So ist auch der Koalitionsvertrag mit der SPD überschrieben.
Würden sich die rund 280 Delegierten im Saal Europa des Hotel Estrel in Neukölln davon beeindrucken und auf Loyalität verpflichten lassen? Und würden sie auch mit großer Mehrheit auf seinen Vorschlag hin Ottilie Klein zur Generalsekretärin und Nachfolgerin von Evers wählen, der als Finanzsenator ausreichend anderweitig ausgelastet ist? Von Klein waren etwa in ihrem Heimat-Kreisverband Mitte im Vorfeld nicht alle sonderlich begeistert gewesen. Immerhin klatschen die Delegierten schon nach Wegners mehr als einstündiger Rede so lange wie selten in den vergangenen zwei Jahrzehnten – ebenso lange hatte ja auch kein Regierender Bürgermeister aus den eigenen Reihen zu ihnen gesprochen.
Eine halbe Stunde später zeigt sich, dass der Applausometer richtig lag: 94,7 Prozent stimmen für Wegner – bei seiner Wahl vor zwei Jahren waren es 87,8 Prozent, 2019 bei seiner ersten Wahl 76,9, jeweils ohne Gegenkandidatur. Vorausgegangen war damals ein harter Machtkampf mit seiner Vorgängerin Monika Grütters, die ihre Bewerbung schließlich zurückzog.
Klein muss sich mit nur 72,6 Prozent zufrieden geben. Vorgänger Evers, der später zu einem der vier Vize-Vorsitzenden gewählt wird, war 2016 allerdings noch mit weit knapperer Mehrheit ins Amt gekommen. „Das ist genau das Signal, das in die Stadt raus muss – diese CDU ist geschlossen“, reagiert Wegner auf sein Ergebnis. Er wäre angeblich schon mit einem Ergebnis knapp unter 90 Prozent nicht unzufrieden gewesen.
Wegners Rede ist zuvor stark von dem Bemühen geprägt, sich als Brückenbauer und pragmatischer, unideologischer Problemlöser zu präsentieren. „Ich will in keine Schublade passen“, sagte er. Das knüpfte an Aussagen jüngst im Interview mit der taz an. Dabei darauf angesprochen, wie es als CDUler an der Spitze einer strukturell linken Stadt sei, antwortete er: „Ich will, dass die Verwaltung funktioniert, dass wir genug Schulen und Kitaplätze haben, dass Menschen sicher von A nach B kommen – wenn das eine „linke Stadt“ ausmacht, dann soll es so sein.“
Dieser schier über den Parteien schwebende Redner vergisst am Samstag aber dennoch nicht, dass die Delegierten im Tagungssaal vor ihm CDU-Mitglieder sind. In der Verkehrspolitik wie in der Sicherheitspolitik bekommen die zu hören, was das konservative Herz erwärmt: Von Radfahrern, die Autofahrer terrorisieren würden, spricht Wegner etwa. Und wenn die Menschen mit dem Auto unterwegs sein wollten, „dann sollen sie das auch tun.“ Mit Blick auf den Görlitzer Park kündigt er an: „Die Zeit der falsch verstandenen Toleranz ist vorbei.“ Er lobte Jugend- und Sozialarbeit, „aber wir brauchen auch Repression in diesem Park.“ Und Clan-Kriminalität müsse man auch Clan-Kriminalität nennen.
Gleichzeitig betont Wegner, dass es für ihn bei Sicherheit nicht nur um die innere, sondern auch um die soziale gehe. „Wenn immer mehr Menschen zur Tafel gehen müssen, dann ist die soziale Gerechtigkeit nicht mehr gewährleistet, dann müssen wir uns kümmern.“ Dazu erinnert er an das „C“ im Parteikürzel, das für das Christliche steht.
All das stellt Wegner in einen historischen Kontext. Genau 75 Jahre ist es an diesem Samstag her, dass Berlins damaliger Oberbürgermeister Ernst Reuter drei Monate nach Beginn der Berlin-Blockade vor dem Reichstag sprach und forderte: „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“. Auch Wegner will Berlin in den Fokus der Welt rücken und malt am Sanmstagvormittag gleich mehrere Varianten aus. Eine davon lautet: „Ich möchte, dass die Menschen auf Berlin schauen und sagen: Hier wird keiner ausgegrenzt – noch nicht mal, wenn er mit dem Auto unterwegs ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin