Nach der Flut in Libyen: Die Eliten greifen nach den Hilfen
Nach der Flut erfährt Libyen große Solidarität. Doch Aktivist*innen warnen: Milizen und Machthaber wollen sich an den Hilfsgeldern bereichern.
Während Suchtrupps aus der Türkei, Italien, Jordanien und weiteren Staaten in den teils meterhohen Bergen aus Metall, Beton und Möbeln nach Überlebenden suchen, treffen über die Serpentinenstraße der Berge rund um Darna im Stundentakt Lastwagen mit Matratzen, Zelten und Wasser ein. Landungsboote der italienische Marine lieferten der 220.000-Einwohner-Stadt Zelte und Geräte zur Ortung Verschütteter. Diese werden dringen benötigt – denn die Zahl der Vermissten dürfte doppelt so hoch sein wie die der bisher Geborgenen, sagen Vertreter der Hilfsorganisation Roter Halbmond der taz.
In den seit dem Ende des Krieges zwischen dem Islamischen Staat und der Armee im Herbst 2020 explosionsartig gewachsenen Armenvierteln am Hafen lebten viele unregistrierte Migranten aus Subsahara-Afrika.
„Neben der Gefahr eines Choleraausbruchs sind die bald kommenden Herbststürme eine Gefahr“, sagt Amaal Elhajm die Mitgründerin der Initiative „Vereinigung libyscher Frauen“. „Die Trümmerlandschaft ist mit Minen aus dem Krieg kontaminiert, noch voller Leichen und ist bei den rund um Darna reichhaltigen Regenfällen instabil.“ Elhaj vermittelt die Flutopfer an Hausbesitzern aus allen drei Provinzen Libyens, die Unterkünfte an Familien aus Darna kostenlos zur Verfügung stellen.
Die Behörden gelten als inkompetent und korrupt
Zu den Behörden gehen freiwillige Helfer wie etwa Elhaj bewusst auf Distanz: „Sie haben keine Erfahrung mit einer solchen Notlage.“ Und: Libyen zerfiel nach den Aufständen 2011 gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi und seinem anschließenden Tod in Ost- und West, die von unterschiedlichen Fraktionen und Milizen beherrscht werden. Diese hätten, so Elhaj, „von der Gemeindeverwaltung bis in die Regierung, Positionen mit loyalen Freunden oder Familienmitgliedern besetzt, nicht mit Fachleuten“.
Konflikte zwischen den Bürgern und den wegen ihrer Korruption und Inkompetenz unbeliebten Behörden und Politikern sind vorprogrammiert. Schockiert reagierten viele in Darna auf eine Ansprache des Parlamentspräsidenten Aguila Saleh, der sich in seiner ersten Rede nach dem Bruch der Dämme jegliche Fragen nach der Ursache verbeten hatte. „Das ist eine von Gott gewollte Naturkatastrophe“, so Saleh. Von der Regierung in Tripolis forderte er 100 Millionen Dinar Wiederaufbauhilfe für Darna. Verwalten soll sie das seit 2016 ohne Mandat tagende Parlament – also letztlich Saleh selbst.
Das in den sozialen Medien im ganzen Land mit Empörung kommentierte Auftreten Salehs zeigt, dass die Herrschenden in Ost und West sich bewusst sind, dass diese Katastrophe sie ihre Ämter kosten kann. Ein nun öffentlich gewordener Bericht einer Prüfagentur beklagt, dass die Wartungsarbeiten an den Dämme oberhalb von Darna im Jahr 2013 zwar bezahlt, die Arbeiten aber nie durchgeführt wurden.
Die Herrschenden schießen wiederum zurück: Saddam Hafter, Sohn des Kommandeurs der in Ostlibyen tonangebenden Libyschen Armee, behauptete im Fernsehen, die Bürger Darnas hätten die Evakuierungsaufforderung seines Vaters ignoriert.
„Hilfe darf nicht von Machthabern verwaltet werden“
„Die nun ankommende massive materielle und finanzielle Hilfe darf nicht von den jetzigen Machthabern verwaltet werden“, sagt Amaal Eljhaj. „Auch zivilgesellschaftliche Gruppen wie unsere Initiative sind nicht sicher. Wir könnten das Ziel bewaffneter Milizen werden.“
Auch andere, lieber anonym auftretende Vertreter der Zivilgesellschaft fordern, dass die Hilfen für Darna von einer internationalen Organisation verteilt oder zumindest überwacht werden. „Die derzeitige landesweite eigenmächtige Mobilisierung der Bürger ist auch eine Kritik an allen, die das Land in den letzten Jahren ausgebeutet haben“, sagt einer und appelliert: „Ich hoffe, dass uns die internationale Gemeinschaft zumindest jetzt ernsthaft gegen diese schon vor Jahren abgewählte Elite zur Seite steht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck