Von Verkehrswende zu Autokonstante

Die Berliner CDU will das Mobilitätsgesetz ändern. Sie will den Vorrang fürs Auto erhalten, nur noch 2,50 Meter für gemeinsame Wege von Rad- und Fußverkehr und Spielstraßen überprüfen. Grünen-Fraktionschef Graf sieht auch bei einer Personalie dunkle Mächte am Werk

Bei der CDU haben die siebziger Jahre angerufen: Sie wollen die Autostadt zurück Foto: Matthias Balk/picture alliance/dpa

Von Gareth Joswig

Während Berlins Au­to­fah­re­r*in­nen pro Jahr durchschnittlich 71 Stunden im Stau stehen, plant die CDU weitere Geländegewinne für den motorisierten Individualverkehr auf Berlins Betonpisten. Man könnte sagen: Die Union setzt den Koalitionsvertrag mit der SPD um, dennoch empören sich insbesondere viele radaffine Prot­ago­nis­t*in­nen über die jüngst bekannt gewordenen Pläne der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Deren Änderungsentwurf für das Mobilitätsgesetz nämlich zeigt, wie sich die Union die Wende von der Verkehrswende konkret vorstellt: Schmalere Radwege, Vorbehalte gegen Spielstraßen, und der Vorrang für Fuß­gän­ge­r*in­nen und Radfahrende soll abgeschafft werden. Zuerst berichtete der RBB über den Entwurf, der auch der taz vorliegt und sich zusammenfassen lässt mit: All-in fürs Auto. Im alten Mobilitätsgesetz war die Rede vom Vorrang des Radverkehrs gegenüber dem Auto. Im CDU-Änderungsentwurf heißt es nun, dass Radnetz, ÖPNV, Fuß- und Wirtschaftsverkehr sich nicht gegenseitig verdrängen sollten. Konkret dürfte das heißen: Hier bleibt alles so, wie es ist.

Hinzu kommen schmalere Wege für alles außer für Autos: Im Mobilitätsgesetz der rot-rot-grünen Koalition sollte auf allen Radwegen noch genug Platz sein, damit sich Radelnde überholen können. Bisher sollte etwa ein Radweg an Hauptstraßen 2 bis 2,50 Meter umfassen, damit auch Lastenräder überholbar sind. Damit ist wohl Schluss: Neues Mindestmaß für gemeinsame Rad- und Fußwege sollen 2,50 Meter sein. Ein Einrichtungsradweg soll künftig zwischen 2 und 1,50 Meter breit sein, ein Radfahrstreifen 1,85 Meter. Möglicherweise steigende Radnutzung im Zuge einer Verkehrswende soll nicht mehr zu berücksichtigen sein, heißt es. Und wenn man schon den Rotstift zur Hand hat: Auch personell soll abgespeckt werden. Die CDU sieht künftig weniger Stellen für Radverkehrsplanung vor – nur noch eine statt zwei Vollzeitstellen pro Bezirk.

Unangenehm wird für viele auch folgende Passage sein: Galt bisher für Fuß­gän­ge­r*in­nen „Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr“, ist es damit vorbei. Fußgänger-Vorrang soll unter Vorbehalt von „Anforderungen und Bedürfnissen anderer Verkehrsteilnehmer“ gestellt werden. Spielstraßen für Kinder können aus Sicht der CDU anscheinend auch gleich mit weg – statt ausdrücklich Förderung der Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung steht im CDU-Entwurf, dass die Einrichtungen „geprüft“ werden sollen. Eine Passage zum Zurückdrängen von Autoverkehr in den Kiezen ist im CDU-Entwurf gänzlich gestrichen.

Die CDU will am Dienstag in ihrer Fraktionssitzung über den Entwurf beraten und ihn möglicherweise beschließen. Spannend wird, wie die SPD auf den Vorstoß reagiert. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Johannes Kraft, erging sich gegenüber dem RBB in Euphemismen: „Wir wollen für alle Verkehrsteilnehmer Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Angebot neu definieren“, behauptete er – es gehe um pragmatische Lösungen und schnelle Umsetzung.

„Dark Voldemort der Energiewende soll auf Verkehrspolitik losgelassen werden“

Werner Graf, Grünen-Fraktionschef

Für mehr Aufregung insbesondere in der grünen Opposition sorgte unterdessen eine Personalie in der Verkehrsverwaltung von Manja Schreiner (CDU). Dort soll nach Informationen des Newsletters Table Media aus Senatskreisen offenbar Stephanie von Ahlefeldt die neue Berliner Verkehrspolitik gestalten. Die 54-Jährige war unter Peter Altmaier (CDU) für die Energiewende verantwortlich – unter ihrer Leitung haben es etwa zentrale Forderungen von Wind­kraft­geg­ne­r*in­nen ins Klimapaket geschafft, wie Grüne und Klimabewegung kritisierten, sie galt als „verlängerter Arm der Energiewendegegner“. Die Ausschreibung der übergeordneten Leitung der Berliner Verkehrspolitik stammte noch aus Zeiten der grünen Senatorin Bettina Jarasch. Und auch Änderungen in der Stellenanzeige werfen Fragen auf, so wurde der Ausschreibungstext angepasst. Eine „unabdingbare“ Voraussetzung, die Ahlefeldt nicht erfüllte, wurde gestrichen: „einschlägige langjährige Berufs- und Leitungserfahrungen im Bereich Verkehr, insbesondere in der Verkehrspolitik und Verkehrsentwicklungsplanung und Mobilität sowie Erfahrungen im Umgang mit Verkehrsträgern“. Neu reingekommen ist dafür eine auf die Spitzenbeamtin maßgeschneiderte Bedingung: „Leitungserfahrungen im Bereich verkehrlicher, digitaler und/oder leitungsgebundener Infrastrukturen.“

Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Werner Graf, ist offensichtlich deutlich verärgert über die Personalie und nannte von Ahlefeldt „Dark Voldemort der Energiewende“, die nun auf die Berliner Verkehrspolitik losgelassen werden solle. Die Stellenbesetzung habe „mehr als ein Geschmäckle“, so Graf. „Es steht der Verdacht im Raum, dass hier nicht nach Qualifikation, sondern nach Ideologie entschieden und eine CDU-Parteifreundin versorgt werden sollte“. Zusammen mit dem Entwurf der CDU-Fraktion für die Zukunft von Berlins Verkehrspolitik würde es jedenfalls gut ins Gesamtbild passen.