Berliner Bibliotheken: Zweites Wohnzimmer gesucht

Berlin braucht einen neuen Ort für seine Zentral- und Landesbibliothek. Kultursenator Joe Chialo (CDU) macht einen schönen Vorschlag. Endlich!

Fassade der Galleries Lafayette an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte

Schmökern statt shoppen, das wär's Foto: dpa

Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte Anfang der Woche eine becircende Idee. Genug diskutiert über einen Neubau für Berlins Zentral- und Landesbibliothek, wird er sich gedacht haben. Warum nicht Schwung in die eingefahrene Chose bringen und einen Ort wie die Galeries Lafayette, die vielleicht ohnehin bald ausziehen wird, für die Umnutzung klarmachen?

Die Zeit der großen Kaufhäuser ist vorbei, das pfeifen inzwischen nicht nur die Spatzen von Berlins Dächern. Und ganz nebenbei hätte man auch noch das Problem mit dieser so trostlosen wie bemitleidenswerten Friedrichstraße gelöst, die zuletzt nur noch als Kampfzone der großen Politik in Sachen Verkehrswende taugte.

Es ist schade, dass der Vorschlag Chialos schon Ende der Woche nur noch als sympathisches, aber nicht zu realisierendes Luftschloss dasteht. 590 Millionen Euro würde der Kauf kosten, wird spekuliert, dann kämen noch die Kosten für den Umbau drauf. Damit würde das Projekt vermutlich doch teurer als der anvisierte Neubau für die ZLB an der Amerika-Gedenkbibliothek, die aus allen Nähten platzt – vorausgesetzt natürlich, die Baukosten entwickeln sich bis zur mutmaßlichen Fertigstellung 2035 nicht so weiter wie im Moment.

Aus Kostengründen war dieser Neubau jedenfalls nicht einmal mehr im Koalitionsvertrag der neuen Regierung aufgetaucht. Selbst Parteikollegen Chialos wie Finanzsenator Stefan Evers geben deshalb in puncto ZLB in den Galeries Lafayette zu Protokoll, für so etwas sei kein Geld vorgesehen. Und schließlich die Meldung, die dem Ganzen endgültig den Stecker zu ziehen scheint: Ist es überhaupt sicher, dass die Galeries Lafayette sich aus Berlin zurückziehen und damit das Quartier 207 an der Friedrichstraße räumen will?

Die grundsätzlichen Fragen werden nicht gestellt

Kann ja sein, dass der Vorschlag Chialos noch besser durchdacht, vorbereitet und parlamentarisch abgestimmt hätte sein können. Laut Chialos Pressestelle ist aber der Eigentümer des Quartiers 207, das amerikanische Unternehmen Tishman Speyer, auf die Kulturverwaltung zugekommen und nicht umgekehrt. Es hat Gespräche zur Flächenberechnung und Statik des Gebäudes gegeben, in die auch die ZLB eingebunden war.

Das bestätigt auch Tishman Speyer. Warum also dreht in dieser Stadt niemand den Spieß um und stellt endlich mal die grundsätzlichen Fragen, die so auf der Hand liegen? Inzwischen gibt es in vielen Städten Europas Vorzeigebibliotheken, die nicht billig waren, aber von der Stadtgesellschaft sofort als zweite Wohnzimmer und Labore des gesellschaftlichen Zusammenhalts angenommen wurden.

Alles kostenlos

In Bibliotheken dieses Zuschnitts machen Kinder ihre Hausaufgaben, Teenager lernen, wie man Fakten von Fake unterscheidet, junge Erwachsene planen ihre nächsten Demos, Mi­gran­t*in­nen lernen ihre Deutschvokabeln, unterschiedlichste Gesellschaftsschichten bleiben miteinander im Gespräch. Und das alles kostenlos.

Was könnte besser sein in einer Stadt, wo die Mieten immer teurer werden und sich die Leute immer weniger zuhause verabreden können? Das Bildungsniveau der Berliner Schüler*innen, auch das war jetzt wieder Thema, sinkt weiter. Es gibt kaum zündende Ideen, wie dem Leh­rer*­in­nen­man­gel begegnet werden könnte. Überall fehlen Fachkräfte, laut IHK könnten dem Berliner Arbeitsmarkt 2035 weit über 400.000 weniger zur Verfügung stehen als heute. Berlin braucht eine große, zentral gelegene Bibliothek.

Die Zentral- und Landesbibliothek ist nicht nur die bestbesuchte Kultureinrichtung Berlins, sondern auch eine der wichtigsten Bildungsinstitutionen. Und das muss auch die Wirtschaft interessieren. Warum kann die Politik nicht ein einziges Mal an einem Strang ziehen und wirklich ressortübergreifend etwas tun für diese Stadt?

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Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

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