Ausbildung von Psychotherapeuten: Die finanzielle Realität

Psychotherapie ist in – die Ausbildung der The­ra­peu­t:in­nen aber immer noch teuer. Die Bundesregierung muss die Finanzierung schnellstens klären.

Sutdierende in einem Hörsaal

Die Ausbildung zur The­ra­peu­t:in ist langwierig und viele können sie sich nicht leisten Foto: Hardt/imago

BERLIN taz | Was haben Musiker Danger Dan, Fußballprofi Niklas Schmidt und Musikerin Shakira gemeinsam? Sie alle sind wegen psychischer Probleme zu ei­ne:r Psy­cho­the­ra­peu­t:in gegangen und haben sich außerdem getraut, öffentlich davon zu erzählen.

Wenn auch Popstars und Bundesliga-Fußballer psychologische Hilfe brauchen, dann greift das noch immer verbreitete Ressentiment, wer etwa depressiv sei, müsse sich einfach mal zusammenreißen, immer weniger. Psychotherapie wird also zunehmend enttabuisiert.

Es ist normal, mit körperlichen Problemen zum Arzt zu gehen, und hoffentlich ist es bald ebenso normal, mit psychischen Problemen zur Psychotherapie zu gehen. Doch das könnte in Zukunft noch schwieriger werden, als es jetzt schon ist. Denn nicht nur auf dem Land, auch in Ballungsräumen ist die eh schon prekäre psychotherapeutische Versorgung gefährdet.

Was für alle Berufe gilt, gilt natürlich auch für die Psychotherapie: je besser die Ausbildung, desto besser ist man anschließend in der Lage, den Beruf auszuüben. Und auch für Psychotherapie gilt: Eine Ausbildung sollte finanziert sein – und hier beginnen die Probleme. Stellen Sie sich vor, Sie sind dabei, eine Berufsausbildung zu machen, die aus zwei Teilen besteht.

Als Sie mit dem ersten Teil fertig geworden sind, stellen Sie fest, dass der zweite Teil nicht existiert. Genau so wird es den Studierenden des neuen Masterstudiums Psychologie und Psychotherapie gehen, wenn sie im Herbst dieses Jahres als frisch approbierte Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen die Universitäten verlassen, um anschließend eine fünfjährige Weiterbildung zur Fach­psy­cho­the­ra­peu­t:in zu machen.

Diese Weiterbildung in einem der Richtlinienverfahren – analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und systemische Psychotherapie – ist die Voraussetzung dafür, sich als Fach­psy­cho­the­ra­peu­t:in niederzulassen und Pa­ti­en­t:in­nen ambulant behandeln zu können. Dieser zweite Teil ist bisher nicht finanziert.

Lohn auf Taschengeldbasis

Der Zugang zu einer Psychotherapieausbildung ist ohnehin schon erschwert: Auf ein fünfjähriges Studium folgte bisher eine Ausbildung, die vor allem im ersten Teil selbst zu finanzieren war.

Eine besondere finanzielle Härte stellte das eineinhalbjährige Pflichtpraktikum in Psychiatrie und Psychosomatik dar, das bis vor Kurzem auf Taschengeldbasis entlohnt wurde. Seit September 2020 müssen hier immerhin mindestens 1.000 Euro brutto gezahlt werden. Das seit 2019 gültige Psycho­therapeutenausbildungsreformgesetz sollte auch an dieser Stelle Abhilfe schaffen.

Hier befinden wir uns nun aber in einer Lage, die absurder nicht sein kann: Einerseits sollte durch die 2019 erfolgte Gesetzesänderung die drängende persönliche finanzielle Belastung der Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen in Ausbildung abgeschafft werden, da diese nun nach einem universitären Studium der Psychotherapie mit Approbation einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, in der nachfolgenden Weiterbildung zu einem angemessenen Gehalt angestellt zu werden.

Finanzieller Anspruch löst sich ins nichts auf

Andererseits versäumte es die Bundesregierung, die Voraussetzungen dieser Finanzierung gesetzlich zu regeln. Der seitdem bestehende Anspruch der Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen in Weiterbildung auf ein angemessenes Gehalt löst sich ins Nichts auf.

Die Ab­sol­ven­t:in­nen stünden also im Herbst dieses Jahres mit einer halben Ausbildung da, wenn nicht der Gesetzgeber noch dafür sorgt, dass auch der zweite Teil angeboten werden kann: die Weiterbildung, die zum Teil stationär in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken und zum Teil ambulant an den Weiterbildungsstätten für ambulante Behandlungen erfolgen soll. Derzeit können weder in den Kliniken die erforderlichen Stellen geschaffen werden noch die Weiterbildungsstätten die neuen Wei­ter­bil­dungs­teil­neh­me­r:in­nen anstellen.

Psychotherapie-Ambulanzen und -Praxen richten derzeit keine Weiterbildungsstellen ein, weil die Einnahmen aus der Pa­ti­en­t:in­nen­be­hand­lung nicht ausreichen, um den Wei­ter­bil­dungs­teil­neh­me­r:in­nen ein angemessenes Gehalt bezahlen zu können und die Kosten für die Weiterbildungsinhalte (Theorievermittlung, Behandlungssupervision und Selbsterfahrung) zu decken.

Dazu bräuchte es – vergleichbar mit der Weiterbildung von Me­di­zi­ne­r:in­nen in der grundversorgenden Fach­ärz­t:in­nen­aus­bil­dung – eine Zusatzfinanzierung.

Petition an den Bundestag

Aus diesem Grund hat Felix Kiunke, ein Psychologiestudent aus Kassel, stellvertretend für die zukünftigen Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen in Weiterbildung eine Petition an den Deutschen Bundestag gestellt, die über 72.000 Stimmen erhielt. Am 3. Juli wurde diese Petition im Petitionsausschuss des Bundestages beraten.

Dabei bleibt unklar, ob es Arroganz, Unwissenheit oder Unverschämtheit war, als ein Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit in seiner ersten Einlassung die Petition als einen „schönen Anlass, sich das Gesetz noch einmal anzuschauen“, bezeichnete. Ein dysfunktionales Gesetz wohlgemerkt.

Es ist zu hoffen, dass der Ausschuss nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September für die Petition eine „Überweisung zur Berücksichtigung an die Bundesregierung“ beschließt. Diese Formulierung bedeutet, dass der Petitionsausschuss das Anliegen der über 72.000 Stimmen als berechtigt ansieht und Abhilfe für notwendig erachtet. Damit würde sich der Druck auf die Bundesregierung erhöhen, nachzubessern und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Finanzierung der Weiterbildung zu schaffen.

In der Psychoanalyse nennt man das Verleugnung

Gesellschaftliche Krisen können nicht mit Psychotherapie behandelt werden, sondern nur mit politischen Mitteln. Befindet sich die äußere Welt jedoch in einer Krise, geraten Menschen, denen es psychisch eh nicht gut geht, schneller in akute persönliche Notlagen. Während und nach der Coronapandemie wurde dies sehr deutlich, und auch der Klimawandel wird diese Folgen haben.

Das Bundesministerium für Gesundheit scheint davon auszugehen, dass Probleme verschwinden, wenn man so tut, als seien sie nicht da. In der Psychoanalyse nennt man das Verleugnung. Aber das Problem ist akut und wird nicht verschwinden: Viele ältere Psy­cho­the­ra­peu­t:in­nen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Seit dem letzten Jahr gibt es Ab­sol­ven­t:in­nen des neuen Psychotherapiestudiengangs, die eine Weiterbildungsstelle suchen.

Für dieses Jahr wird mit rund 1.000 Ab­sol­ven­t:in­nen gerechnet, danach jährlich mindestens 2.500. Sie werden dringend benötigt. Für die Behandlung psychisch erkrankter Menschen braucht es keine Apps, sondern gut ausgebildete Fachpsychotherapeut:innen. Damit es diese auch in Zukunft gibt, muss die Finanzierung der Weiterbildung schnellstens gesetzlich sichergestellt werden.

Christine Kirchhoff ist Psychoanalytikerin und Professorin für Psychoanalyse, Subjekt- und Kulturtheorie an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin (IPU).

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