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Flutlicht auf das Frauenspiel

Das Festival „Discover Football“ ist Bühne für Fußballerinnen aus aller Welt, die einen oft schweren Kampf um Sichtbarkeit führen

Von Ruth Lang Fuentes

Wie sichtbar ist der Fußball, den Frauen spielen? Die Frage ist schnell beantwortet. In der Berliner U-Bahn melden die Fußballnachrichten auf den kleinen Infobildschirmen überwiegend die neusten Spielertransfers in den Männer-Profiligen. „Berlin bereitet sich auf die EM 2024 vor“, heißt es dann. Am Brandenburger Tor sei dafür eine große Fanmeile geplant. Mitsamt größtem Fußballtor der Welt. Dabei ist gerade WM-Zeit. Aber eben die der Frauen, und Fußball gilt selbst im vermeintlich fortschrittlichen Deutschland oft noch als Männersport.

Sonja Klümper vom Berliner Verein Fußball und Bewegung e. V. möchte das ändern. Sie sitzt – jung, sportlicher Typ und leidenschaftliche Fußballspielerin – im Büro des Vereins: zwei Räume im Erdgeschoss eines Hauses in Rixdorf, Berlin-Neukölln. „Es stand im Raum, dass die WM nicht gezeigt wird“, sagt sie. Der von der Fifa geforderte Preis für die TV-Rechte (übrigens immer noch deutlich weniger als bei der Männer-WM) war ARD und ZDF zunächst zu hoch. Aber da sei noch viel mehr: „Frauenfußball ist in vielen Ländern fast unsichtbar.“ Im Raum liegen Fußbälle herum, auf dem großen Tisch in der Mitte Plakate: drei Spielerinnen stehen mit den Rücken zur Kamera am Rand des Fußballfelds eines Stadions. Die Trikots sind schwarz mit pinker Aufschrift. „Unseen Game“, steht darüber. Das „Un“ ist durchgestrichen. „Unsichtbares Spiel“ ist das Motto des diesjährigen Fußball- und Kulturfestivals „Discover Football“, das vom 16. bis zum 20. August im Willy-Kressmann-Stadion in Berlin-Kreuzberg stattfindet. Das Ziel: ebendieses „Un“ irgendwann wegstreichen zu können.

Klümper sagt: „Viele Frauen, die Fußball spielen, haben zu kämpfen. Gegen Geschlechter­stereotype, gegen Vorurteile. Unser Hauptanliegen ist, das zu ändern, uns damit auseinanderzusetzen.“ Seit 2010 organisiert der Verein alle zwei Jahren das Festival „Discover Football“ zu unterschiedlichen Thematiken. Klümper ist seit 2011 mit dabei.

Angefangen hatte alles mit dem Dokumentarfilm „Football Under Cover“ von Ayat Najafi und David Assmann, der 2008 auf der Berlinale lief. Die Plakate hängen heute noch in dem Büro in Rixdorf. Klümper erzählt: „2006 haben viele von uns – manche sind noch dabei – als Kreuzberger Team in Teheran gegen das Frauen-Nationalteam gespielt. Für die iranische Mannschaft war es das erste Spiel überhaupt gegen ein anderes Team seit der Revolution. Das wurde ewig verhindert von den iranischen Autoritäten.“ Das Rückspiel sei dann ganz verhindert worden. Dadurch sei die Festivalidee entstanden.

Die Idee: Frauen-Fußballteams, Schiedsrichterinnen und Trainerinnen aus aller Welt für ein Turnier nach Berlin einzuladen. Dazu gibt es abends Programm mit Podiumsdiskussionen, Filme oder Konzerte. Für das Turnier werden die Teilnehmerinnen gemischt und neue Teams ausgelost. Auch ein Heimteam wird gestellt, von Champions ohne Grenzen, der NGO, die sich für Geflüchtete in Berlin einsetzt. Sechs Teams spielen dann im Kleinfeld – sieben gegen sieben – gegeneinander. Dieses Jahr tragen sie Namen wie „solidarity“ oder „visibility“. „Wir wollen, dass die Leute sich austauschen und kennenlernen, aber auch guten Fußball zeigen“, sagt Klümper. Das sei mit ein Grund, dass die Teams untereinander gemischt werden. „Die Niveaus sind zum Teil so unterschiedlich. Für manche ist es auch krasser Druck; plötzlich sind da Zuschauerinnen, man spielt auf richtigem Rasen. Die meisten kennen oft nur Kunstrasen oder Aschenplätze.“ Das Finale findet am Sonntag, den 20. August statt, so wie das WM Finale, das davor gezeigt wird.

„Es ist uns sehr wichtig, Frauen einzuladen, die sich das sonst auch gar nicht leisten beziehungsweise überhaupt nicht reisen können, nicht nur Privilegierte. Man muss zum Beispiel auch kein Englisch sprechen, um teilzunehmen“, sagt Klümper. Finanziert wird das Ganze – von Orga über Visa und Flüge bis hin zu den Trikots – aus Fördergeldern, zum größten Teil vom Auswärtigen Amt, aber auch vom Innenministerium und der DFB-Kulturstiftung; gestützt von der ehrenamtlichen Arbeit von 15 Vereinsleuten, die Klümper und die drei weiteren Festangestellten unterstützen.

Doch wie erreicht man diese Menschen? Mittlerweile seien sie sehr gut vernetzt, erzählt Klümper, sodass sie über Social Media oder Aushänge in den Goethe-Instituten und Botschaften viele Bewerbungen aus der ganzen Welt bekämen. „Dieses Jahr haben wir 80 Spielerinnen aus Iran, Afghanistan, der Uk­rai­ne, Irak, der Türkei, Georgien, Kolumbien und Südsudan ausgewählt“, zählt sie auf. „Bei Letzteren dachten wir schon, dass das wahrscheinlich nichts wird, jetzt haben sie doch kurz vor knapp das Visum bekommen.“ Die afghanischen Spielerinnen hingegen, die gerade in London leben, weil sie vor den Taliban geflohen sind, hätten teilweise keinen Termin in der Botschaft bekommen, weil die so ausgebucht gewesen sei. Stattdessen kämen jetzt Afghaninnen, die in Deutschland lebten. Auch ein paar wenige Einzelpersonen hätten kein Visum bekommen. Das ist eine der größten Aufgaben, die das Orgateam hat: bei den Visa zu helfen. „Gerade die Leute, die wir einladen, gehören zu einer Gruppe, die eigentlich kein Visum bekommt: jüngere Frauen, die dann vielleicht, wenn die Fußball spielen, nicht unbedingt total angepasst leben, nicht verheiratet sind und so weiter“, erklärt Klümper. Meist stünden sie unter dem Generalverdacht, dass sie nicht zurückreisen wollten.

Und dann gebe es noch das Problem, dass es ganz oft in diesen Ländern keine Profiligen gibt. Auch das hat etwas mit der Visumvergabe zu tun. „Dann wird nämlich gesagt: Ihr seid ja gar keine Profisportlerinnen, warum solltet ihr ein Visum für ein Sportfest bekommen? Aber sie können ja gar keine Profisportlerin sein, weil es gar keine Profistruktur gibt in dem Land.“ Klümper schüttelt den Kopf. „Und dann heißt es wieder, Frauen könnten keinen Fußball spielen, was aber daran liegt, dass sie nicht gefördert werden.“

Was es heißt, dass das eigene Land keine Profistrukturen für Frauen fördert, kennt Aya Noguchi, 35 Jahre alt, Mittelfeldspielerin, allzu gut. Sie kommt aus Japan, wo sie im Alter von drei Jahren anfing, Fußball zu spielen. Mittlerweile ist sie stellvertretende Direktorin des Internationalen Forschungszentrums für Sport und Geschlechtergleichstellung an der Seijo-Universität in Tokio. Beim „Discover Football“-Turnier wird sie einem der Teams als Trainerin zur Seite stehen. Sie ist schon das zweite Mal dabei. Bis vor zehn Jahren hat Noguchi selbst Fußball gespielt, in Japan, den USA und Schweden, wo sie auch eine Zeit lang einen Profivertrag hatte. Im eigenen Land war das damals nicht möglich. „In Japan gibt es erst seit 2021 eine Profiliga“, erzählt sie. Das sei toll. Aber: „Es gibt nach wie vor eine Ungleichbehandlung der Geschlechtern einschließlich des Lohngefälles. Mädchen und junge Frauen erhalten nicht die gleichen Spielmöglichkeiten wie Männer. Es fehlt an Trai­nerinnen, Schiedsrichterinnen und Führungspersönlichkeiten im Fußballumfeld.“

„Es fängt ja schon bei ganz simplen Sachen an: dass der Platzwart das Flutlicht nicht anmacht für das Frauentraining zum Besipiel“, meint Klümper. Und gehe dann bis zu fehlender Wertschätzung und Infrastruktur. Sie ist überzeugt, dass Frauenrechte und geförderter Frauenfußball sich gegenseitig bestärken können: „Wenn es eine Profiliga gibt zum Beispiel“, so die Organisatorin, „dann nehmen die Frauen auch viel mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Und umgekehrt: Wer Frauenrechte stärke, schaffe freieren Zugang zu Sport und Fußball für Frauen und Mädchen.“ Und dennoch, den Profisport betrachtet Klümper kritisch: „Unser Wunsch ist nicht, dass der Frauen-Profifußball den gleichen Weg nimmt wie der der Männer, dass er auch megakommerziell wird und Summen fließen, die einfach absurd sind.“

Frauen aus dem Iran, Afghanistan, der Ukraine oder Südsudan kicken in Berlin

Doch die „richtige“ Sichtbarkeit zu generieren, die Fußballspielerinnen weltweit gerne hätten, ist nicht so einfach. Mut zur Öffentlichkeit zum Beispiel ist in einigen Länder mittlerweile sogar eine Gefahr. „Wir haben ja eigentlich die Leute ermutigt zu sagen: Zeigt euch und macht Fußball sichtbar“, sagt Klümper. Doch in Ländern wie Iran und Afghanistan gehe das nicht mehr. Nach über einem Jahrzehnt Arbeit bei „Discover Football“ empfindet sie einen „krassen Rückschritt“. „Wir hatten ja schon öfter Teams aus Iran und Afghanistan hier. Plötzlich wurden Frauen, die wir kannten, von den Taliban verfolgt oder mussten flüchten, weil sie Fußball spielen.“ Sie erzählt von Spielerinnen, die sogar Fotos auf Social Media löschen mussten, auf denen sie Fußballtrikots anhaben. „Wir haben dann auch Fotos auf unserer Homepage gelöscht, um Leute nicht in Gefahr zu bringen“, sagt Klümper.

Am Wochenende vor dem Festival wird es zum Thema Sichtbarkeit auch eine Konferenz geben. Am ersten Tag sollen gerade diese beiden Länder – Iran und Afghanistan – im Fokus stehen, am zweiten die Sichtbarkeit von queeren und trans Menschen im Fußball.

Auch Noguchi ist bei einem Podium dabei; es geht darum, wie queere Menschen sich im Sport organisieren können. Auf ihrem Foto lächelt Noguchi und trägt ein T-Shirt mit LGBTIQ-Farben, Sport, Geschlecht und Sexualität sind ihre Fachgebiete. „Weil wir gemeinsam Fußball spielen, werden Barrieren abgebaut, um über schwierige Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter und die feministische Bewegung zu sprechen. Fußball bringt uns näher an unsere sozialen Themen heran und lässt uns darüber nachdenken“, sagt sie und freut sich auf das Festival.

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