Zwischen IS- und Arafat-Postern

Im Libanon bekämpfen sich Is­la­mis­t*in­nen und Anhänger der Palästinenserorganisation Fatah in einem Lager für palästinensische Geflüchtete. Armut und Perspektivlosigkeit tragen zur Eskalation bei

Aus Beirut Julia Neumann

Rauch zieht am Montag über dem größten Lager palästinensischer Geflüchteter im Libanon auf, Menschen fliehen vor Schüssen. In dem Camp im Süden des Landes, nahe der Küstenstadt Saida, bekämpfen sich Mitglieder der Palästinenserorganisation Fatah mit denen islamistischer Gruppen. Bereits am Samstag brach der Konflikt aus, als bei einem versuchten Anschlag auf einen Extremisten dessen Begleiter getötet wurde. Islamistische Kämpfer erschossen daraufhin einen palästinensischen General der Fatah-Organisation des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas und drei weitere Personen. Allein bis Montagnachmittag starben acht Menschen.

Ain al-Hilweh ist der Name des Lagers, es ist das größte der zwölf Camps für palästinensische Geflüchtete im Libanon. Auf nur anderthalb Quadratkilometern leben laut der Vereinten Nationen mehr als 54.000 Menschen. 2012 nahm Ain al-Hilweh außerdem mindestens 11.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und syrische Staatsangehörige auf, die aus dem palästinensischen Viertel Jarmouk in Damaskus fliehen mussten, nachdem in Syrien im Vorjahr der Krieg ausbrach. Teils unverputzte Häuser stehen in dem Lager gedrängt aneinander, durch die engen Gassen zieht sich ein Gewirr von Stromkabeln. Poster des ehemaligen Palästinenserführers Jassir Arafat hängen zwischen Flaggen der salafistischen Gruppe Asbat al-Ansar und denen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Die herrschenden Kräfte im Lager sind die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und prosyrische Gruppierungen, die ihre eigenen politischen Institutionen und Sicherheitskräfte betreiben. Gemeinsam wollen sie verhindern, dass Verbündete des IS, sowie der islamistischen Terrorgruppe Al-Nusra-Front das Lager in einen Krieg ziehen.

Das Gebiet ist von einer Mauer und Kontrollpunkten der libanesischen Armee umgeben. Doch das libanesische Militär darf die Siedlung nicht betreten – eine Lehre aus Kämpfen im Jahr 2007. Damals wurde das Lager Nahr al-Bared im Nordlibanon durch Kämpfe zwischen dem Militär und der Dschihadistengruppe Fatah al-Islam zerstört. Als Konsequenz gilt die Übereinkunft, dass Palästinensergruppen sich um die Sicherheit in ihren Lagern kümmern.

Die extremistischen Netzwerke von Ain al-Hilweh sprechen gezielt wütende Jugendliche an

Seit Juli 2014 gibt es eine gemeinsame palästinensische Sicherheitstruppe in Ain al-Hilweh. Daran sind siebzehn bewaffnete Gruppierungen von Kommunisten bis Dschihadisten beteiligt. Trotzdem kommt es zwischen den Gruppierungen immer wieder zu Kämpfen. Vor zwei Monaten tötete ein Mitglied der Asbat al-Ansar ein Fatah-Mitglied. Im Jahr 2017 kämpften die palästinensischen Gruppierungen in den Lagern fast eine Woche lang gegen eine militante Gruppe, die mit dem IS verbunden ist.

Die Menschen leben in Armut und auf engstem Raum – ein Nährboden für islamistische Extremisten. Die extremistischen Netzwerke von Ain al-Hilweh haben sich darauf spezialisiert, wütende Jugendliche anzusprechen. Diese Jugend hat wenig Vertrauen in die Behörden des Lagers und wenig Chancen, sich eine Zukunft im Libanon aufzubauen.

Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen können im Libanon weder die Staatsbürgerschaft beantragen noch Eigentum besitzen. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt ist beschränkt, sie dürfen nur in bestimmten Berufen im Niedriglohnsektor arbeiten. Hinzu kommt seit 2019 eine starke Wirtschaftskrise. Für Menschen im Libanon generell, aber besonders für benachteiligte Minderheiten wie Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen, ist es kaum möglich, legale Arbeit zu finden, mit der sich das Leben finanzieren lässt.