Sommerbilanz des Bundeskanzlers: Der Scholz'sche Imperativ

Bei der Sommer-Pressekonferenz erläutert der Kanzler, wie Klimapolitik geht, wie er die AfD klein kriegen will und wann er zuletzt im Freibad war.

Olaf Scholz gestikuliert bei einer Pressekonferenz.

Selbstkritik? Nö. Kanzler Scholz in der Bundespressekonferenz am 14. Juli Foto: Annegret Hilse/reuters

BERLIN taz | Irgendwo klingelt anhaltend ein Handy, mitten in der Pressekonferenz des Bundeskanzlers. Genervte Blicke, hektische Kopfbewegungen. „Wer seinen Klingelton auf Jingle Bells eingestellt hat, der ist es“, befindet Olaf Scholz grinsend. Und tatsächlich wird ein Journalist in der ersten Reihe identifiziert und das Störgeräusch eliminiert. So launig, so locker sind Auftritte des Bundeskanzlers selten. Es mag am Zeitpunkt liegen. Die Bundespressekonferenz, der Verein der Haupt­stadt­jour­na­lis­t:in­nen, lädt die Kanzlerin oder den Kanzler traditionell zu einem letzten Auftritt vor der Urlaubszeit ein.

Dass Scholz so gut drauf ist, liegt aber nicht nur am nahen Urlaub. Sondern auch daran, dass er im Großen und Ganzen zufrieden mit sich und der Bilanz seiner Regierung ist. Es sei schon ein Erfolg, dass vor einem Jahr noch alle glaubten, man werde nicht mehr heizen können und eine große Wirtschaftskrise stehe bevor. In der Tat, als Scholz vor knapp einem Jahr zum ersten Mal als Kanzler zur Sommer-PK in die Bundespressekonferenz kam, drehte Russland gerade den Gashahn zu und Scholz musste Fragen nach drohenden sozialen Unruhen beantworten.

Das war dieses Mal kein Thema. „An uns ist eine ganz große Krise vorbeigegangen, niemand hat geglaubt, dass wir das bewältigen, und wir haben es geschafft“, so Scholz zufrieden. Er ist zuversichtlich, dass er noch eine lange Regierungszeit vor sich habe. „Ich stehe erst ganz am Anfang meiner Zeit als Bundeskanzler.“

Die Umfragen sprechen zwar nicht dafür, aber sei's drum. Der Kanzler zählt auf, was aus seiner Sicht für eine lange Fortsetzung seiner Kanzlerschaft spricht: Krise gemeistert, Ukraine unterstützt, Transformation angegangen, Zusammenhalt gefördert und Haushalt in die richtige Umlaufbahn katapultiert.

Dauerhaft zwei Prozent für Verteidigung

Richtig ist: Deutschland ist mittlerweile hinter den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, man werde ihr bis zum Jahr 2027 allein mit Waffenlieferungen im Umfang von 17 Milliarden Euro beigestanden haben, so Scholz. Und die Bevölkerung trage das mehrheitlich mit. „Das, was ich gemacht habe, ist mittlerweile Mainstream“, lobt sich Scholz, nämlich vorsichtig und abgewogen und immer in Abstimmung mit den Verbündeten vorzugehen. In der Tat ist die Kritik an einem „zu zögernden“ Vorgehen des Kanzlers fast verstummt.

Scholz betont erneut, dass die Verteidigungsausgaben wachsen und man ab nächstem Jahr, und dann dauerhaft, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukt für Militärisches ausgeben werde. Damit würde Deutschland die entsprechende Selbstverpflichtung der Nato finanziell erreichen. Gleichzeitig verbuchte es der Kanzler als Erfolg seiner Regierung, dass man zu Schuldenbremse und Haushaltsdisziplin zurückkehre. „Wir sind beim Haushalt wieder in der richtigen Umlaufbahn.“

Woher die zweistelligen Milliardenbeiträge kommen sollen, die nach Verbrauch des Sondervermögens zusätzlich nötig sein werden, um den Verteidigungshaushalt gemäß des Zwei-Prozent-Ziels zu erhöhen, ließ er allerdings offen. Genauso schmallippig die Frage, welche großen Ideen für mehr Umverteilung der sozialdemokratische Kanzler eigentlich hat. Und wenn SPD-Chef Lars Klingbeil heimlich gehofft hatte, dass Scholz sich hinter seinen Vorschlag einer Reform des Ehegattensplittings stellen würde, wäre er enttäuscht worden. Scholz verwies nur auf den Koalitionsvertrag. Und laut diesem sind Steuererhöhungen ausgeschlossen.

Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz.

„Ich stehe erst ganz am Anfang meiner Zeit als Bundeskanzler.“ Foto: Markus Schreiber/ap

Scholz: Zukunftsängste helfen der AfD

Weiter unklar bleibt aber auch, wie Unternehmen mit hohem Energieverbrauch dazu ermuntert werden, angesichts des derzeit teuren Stroms weiter in Deutschland zu investieren. Auf die Frage nach einem subventionierten Industriestrompreis, wie er von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften, aber auch vom Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gefordert wird, reagiert Scholz zurückhaltend. Die europäische Regulierung lasse da nicht viel zu. „Aber gucken darf man ja mal“, so Scholz. Helfen könnten der Industrie langfristige Abnahmeverträge mit den Herstellern erneuerbarer Energien. Außerdem müssten die Übertragungsnetze zügig ausgebaut werden.

Hier sieht Scholz Deutschland auf einem guten Weg. Man habe bereits alle Gesetze auf den Weg gebracht, damit Deutschland es schaffe, bis 2030 seinen Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Außerdem habe man den sozialen Zusammenhalt gefördert – Scholz referiert die Einführung des Mindestlohns, Steuerentlastungen und sagt noch einmal zu, dass die Kindergrundsicherung komme.

Doch gerade der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. Die AfD, vor einem Jahr noch viertstärkste Kraft, hat mittlerweile SPD und Grüne überholt und liegt in Umfragen bei 20 Prozent und nur noch hinter der CDU. Als Grund dafür nennt der Kanzler, dass man sich gerade in der größten Modernisierungsperiode seit Jahrzehnten befinde und sich viele Bürgerinnen und Bürger „nicht ganz sicher sind, was die eigene Zukunft angeht.“ Dagegen helfe gute Politik, Respekt und Gelassenheit. Er sei zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl genauso abschneide wie bei der letzten. Damals erhielten die Rechtsextremen 10,3 Prozent.

Philosophie und Freibäder

Doch Selbstkritik? Fehl am Platz. Das heiß diskutierte und immer noch nicht verabschiedete Heizungsgesetz, nach dem in den kommenden Jahren neue Heizungen zu 65 Prozent klimaneutral sein sollen, lobt Scholz. Es sei eine gute Lösung, wichtig sei vor allem gewesen, die Vorgaben zum Heizungsaustausch mit einer verbindlichen Wärmeplanung in den Kommunen zu verbinden.

Bei der Nachfrage, ob denn die Klimaziele mit einem verwässerten Heizungsgesetz noch einzuhalten seien, wird Scholz regelrecht philosophisch und formuliert in Anlehnung an den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant einen Scholz'schen Imperativ: „Wer Klimapolitik machen will, muss sich zutrauen, dass jede einzelne gesetzliche Regelung in einer Volksabstimmung eine Mehrheit fände.“ Er werbe dafür, dass man auch mal Fünfe gerade sein lasse und trotzdem konsequent die Klimaziele verfolge. Eine Entscheidung auf Instanzen zu verlagern, die sie dann durchdrückten, halte er nicht für richtig.

Zur Zerstrittenheit der Ampel lässt sich Scholz immerhin zu der Aussage hinreißen, dass ihm das auch nicht gefalle. Und ganz nebenbei bestätigt er, dass er im Streit um die Kindergrundsicherung ein zweites Mal von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat. Anfang Juli schrieb er an Familienministerin Lisa Paus, Grüne, einen Brief, sie möge bis Ende August einen geeinten Referentenentwurf vorlegen. Er gehe davon aus, dass das, was er freundlich aufgeschrieben habe, auch so komme, meint Scholz und lächelt schon wieder. Scholz hat Anfang Juli also mal wieder auf den Tisch gehauen, aber so sanft, dass es niemandem auffiel.

Seine Law-and-Order-Qualitäten stellt er auch unter Beweis, als er ein entschlossenes Vorgehen gegen gewalttätige Ausschreitungen in Freibädern fordert und auch eine Präsenz der Polizei in den Bädern für gerechtfertigt hält. Er selbst sei allerdings zuletzt vor über 40 Jahren im Freibad geschwommen.

Der Kanzler wirkt etwas abgespannt, urlaubsreif. Auf die Frage eines schwedischen Journalisten sagt er, er unterstütze den Nato-Beitritt der Ukraine, äh Schwedens. Gerade noch mal am Weltkrieg vorbei geschrammt. So wünscht Scholz allen nur einen schönen Urlaub. Er selbst wird wohl, so heißt es, ins befreundete europäische Ausland reisen.

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