piwik no script img

Nur eine Frage der Liebe

Die Film-Enthusiasten Johannes und Wiebke Thomsen sollen Hannovers Kommunalkino in die Zukunft führen – und mit ihrer Leidenschaft auch ein jüngeres Publikum anstecken

Mit einer Szene, die nie gefilmt wurde, werben die Thomsens für ihr Sommer-Kinoprogramm Foto: Montage: Thomsen/Kommunalkino

Von Wilfried Hippen

„Wenn die Leute das Kino betreten, will ich ihnen die Hand geben und sagen: Schön, dass du gekommen bist!“ Für Johannes Thomsen war dies einer der Hauptgründe dafür, warum er Kinomacher geworden ist. Im kommunalen Kino von Hannover, das er jetzt gemeinsam mit seiner Partnerin Wiebke Thomsen betreibt, wird dies kaum noch zu leisten sein. Doch in ihrem eigenen Kino wurden die Gäste tatsächlich so herzlich empfangen: Ihr „Lodderbast“ war wohl das kleinste Kino Deutschlands.

Es war nicht viel mehr als ein kleiner, ehemaliger Plattenladen, in dem 20 Cocktailsessel im Stil der 50er-Jahre standen. Es gab dort einen Tresen, eine Unisex-Toilette und eine sechs Quadratmeter große Leinwand. Vor allem aber wurden dort ausgesucht gute Filme gezeigt: das schräge, wilde und wundersame Kino, das früher einmal in kleinen Programmkinos gepflegt wurde, aber in der heutigen Kinolandschaft kaum noch Platz findet.

„Lodderbast“ bedeutet im hannoverschen Platt so viel wie „Schmuddelkind“. Eröffnet worden war es 2018, und das Konzept funktionierte knapp zwei Jahre lang, bis das Kino im Frühjahr 2020 wie alle anderen Kinos schließen musste. Doch Johannes und Wiebke Thomsen hatten auch in der Krise gute Ideen und verwandelten das „Lodderbast“ in einen Straßenladen, in dem sie selbst gekochten Labskaus und Grünkohl verkauften. Ihr „kleines Baby“ – so Johannes Thomsen übers „Lodderbast“ – gaben sie erst auf, als sie im Winter 2021 ihr „Hasta-La-Vista-Festival“ kurzfristig wegen der erneut verschärften Kontaktbeschränkungen absagen mussten: Bei dem hatten sie geplant binnen 14 Tagen 120 Filme zu zeigen.

Doch auch danach machten die beiden in Hannover und Umgebung alternatives Kino. Im Winter 2022/2023 zogen sie etwa mit dem Live-Super-8-Projekt „Once upon a Time in Germany“ durch 12 Stadtteilkultureinrichtungen. Dort zeigten sie einen von ihnen selbst montierten Kompilationsfilm mit historischen Amateurfilmaufnahmen aus ihrer Heimatstadt. Im Juni und Juli dieses Jahres gingen sie mit „Lodderbast“ auf Tour und bauten ihren Projektor und ihre Leinwand auf dem niedersächsischen Gut Bennigsen auf. Dort präsentierten sie ein Filmprogramm mit „krachenden Independent-Neuerscheinungen, kuriosen Filmperlen und wüster Bildgewalt“. Diese Eigenwerbung mag etwas reißerisch klingen, sie trifft aber durchaus den Filmgeschmack der beiden.

Nachdem Corona ihr Mini-Lichtspielhaus erledigt hatte, gingen die zwei Kino-Begeisterten mit dem Projektor auf Landpartie

Umso erstaunlicher ist es, dass sie nun von der Kulturbehörde Hannover dazu ausgewählt wurden, gemeinsam das Kommunalkino im Künstlerhaus zu leiten. In der amtlichen Mitteilung ist von einer „Neuausrichtung des Kommunalen Kinos“ die Rede. Ein Grund dafür ist sicher, dass immer weniger junge Menschen in die Kommunalkinos (Koki) kommen.

Wiebke und Johannes Thomsen haben dagegen mit ihren alternativen Kinoprogrammen ein Publikum erreicht, das zum Teil vor den etablierten Kultureinrichtungen zurückschreckt, und diese Schwellenfurcht sollen die Thomsens mit ihrem alternativen Flair überwinden helfen. Beide nennen sich selbst „Ur-Hannoveraner“ und haben tatsächlich an ihrem ersten Abend miteinander im Kino im Künstlerhaus einen Film gesehen. Für Johannes ist dies sein „Traumjob“ – wohl auch, weil ihm zugesichert wurde, dass ihnen bei der Programmauswahl niemand reinredet. Ihre ersten Programmierungen zeigen, dass sie sich dessen bewusst sind, dass sie hier Kino für einen anderes, größeres Publikum machen.

Die Thomsens haben sich im Kommunalkino kennengelernt. Jetzt leiten sie es Foto: Thomsen

So heißt ihre erste Veranstaltungsreihe, das Sommerkino im Hof, in diesem Jahr eingängig „…unter goldenen Palmen“ – und dort zeigen sie zwischen dem 27. Juli und 12. August Filme, die bei den Filmfestspielen in Cannes als bester Langfilm ausgezeichnet wurden, also die Palme d’Or gewonnen haben. Es beginnt diesen Donnerstag nach einem Warm-up mit Gegrilltem und Getränken im Hof mit Federico Fellinis „La Dolce Vita“ von 1960, am Freitag folgt der Sieger des Vorjahres: „Triangle of Sadness“. Später kommen dann Klassiker wie „Der dritte Mann“, „Paris, Texas“ von Wim Wenders, „Barton Fink“ von den Coen-Brüdern und zum Abschluss „Pulp Fiction“.

Aus Quentin Tarantinos Klassiker scheint auf den ersten Blick auch das Foto auf dem Plakat und auf dem Programmzettel des Koki zu sein. Aber gibt es darin tatsächlich eine Szene, in der John Travolta und Samuel L. Jackson sich leidenschaftlich küssen? Tatsächlich wurde das Bild aber von einer künstlichen Intelligenz gepixelt. Johannes Thomsen wollte ursprünglich das ikonografische Bild der beiden Schauspieler verwenden, wurde dann aber von seinem Vorgänger Ralf Knobloch-Ziegan gewarnt: Die Rechte dafür liegen nicht beim Filmverleih. Eine Nutzung könnte extrem teuer werden. Deshalb entschied sich Thomsen für die billigere „Fälschung“, mit der er gleichzeitig ein Zeichen für diverse Kultur setzten wollte. Das Ergebnis ist ein frecher Hingucker. Das fängt ja gut an.

Sommerkino im Hof, Kommunales Kino im Künstlerhaus, Sophienstr. 2, Hannover. Start am 27. 7. mit „La Dolce Vita“, Warm-up ab 21 Uhr, Film ab 22.30 Uhr. Die Reihe läuft bis zum 12. 8.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen