Netanjahus Politik spaltet Washington und Tel Aviv

Kontroverse um die Rede des israelischen Staatspräsidenten Itzachak Herzog in Washington. Biden lädt Netanjahu ein. In Israel protestieren erneut Tausende gegen die Justizreform

Die Uhr tickt und die Protestbewegung versucht, den Druck zu erhöhen: Demonstrierende am Dienstag in Tel Aviv Foto: Oded Balilty/ap

Von Bernd Pickert
und Jannis Hagmann

Vor dem Staatsbesuch des israelischen Präsidenten Itzchak Herzog, der am Dienstag in Washington begann, hat US-Präsident Joe Biden seine monatelange Linie aufgegeben und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Einladung ausgesprochen. Seit Amtsantritt von dessen rechtsextremer Regierung Ende Dezember hatte Biden diesen Schritt gescheut. Er äußerte deutliche Kritik an Netanjahus Politik und sagte, er habe „bis auf Weiteres“ nicht vor, Netanjahu zu treffen.

Die Einladung, die laut John Kirby, dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, bei einem Telefonat zwischen Biden und Netanjahu am Montag ausgesprochen wurde, beinhaltete allerdings noch keinen Termin. Selbst die Frage, ob es eine Einladung ins Weiße Haus sei oder lediglich der Vorschlag, sich im Herbst am Rande der UN-Generalversammlung in New York zu treffen, ließ Kirby offen.

Auch der Besuch von Staatspräsident Herzog in Washington führt in den USA zu Kontroversen. Während ihn die meisten als Bekräftigung der US-Solidarität mit Israel unter Beibehaltung der Kritik an Netanjahu und seiner geplanten Justizreform verstehen, wollen etliche demokratische Abgeordnete des linken Progressive Caucus der für Mittwoch geplanten Rede Herzogs vor beiden Kammern des Kongresses fernbleiben. Sie sehen in dem Besuch zu diesem Zeitpunkt eine Normalisierung der israelischen Rechtsregierung – auch wenn Herzog als Präsident nicht Teil davon ist und vor zehn Jahren selbst Herausforderer Netanjahus war.

Die Chefin der linken Abgeordneten-Gruppierung, Pramila Jayapal, bezeichnete Israel am Wochenende bei einer Konferenz als „rassistischen Staat“, sah sich daraufhin einer Welle der Kritik auch aus den Reihen der Demokraten ausgesetzt und musste zurückrudern. Nicht die Idee eines israelischen Staates an sich sei rassistisch, sagte sie in ihrer Entschuldigung, aber Teile der Politik dieser Regierung trügen klar rassistische Züge.

Im US-Repräsentantenhaus sprang die republikanische Mehrheit sofort auf die Kritik auf: Noch am Dienstag wollten sie eine Resolution verabschieden, in der die Beschreibung Israels als rassistisch oder als Apartheidsstaat zurückgewiesen und als antisemitisch gebrandmarkt wird.

In Israel ist derweil die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Protestbewegung auf einem Höhepunkt. Bevor sich das Parlament Ende des Monats in die Sommerpause verabschiedet, will die Regierung noch einen Teil der Justizreform in Gesetz gießen. Dagegen gingen am Dienstag wieder Tausende auf die Straße. Ein Protestkonvoi behinderte den Verkehr auf der zentralen Ayalon-Schnellstraße bei Tel Aviv. Hunderte protestierten zudem vor den religiösen Rabbinergerichten in Tel Aviv und Rechovot, die durch die Justizreform mehr Befugnisse bekommen sollen. Auch das Armeehauptquartier in Tel Aviv wurde blockiert. Landesweit wurden bis zum Nachmittag 21 Protestierende festgenommen.

Die Uhr tickt, denn schon am Sonntag, 30. Juli, könnte das machtvolle oberste Gericht um eine seiner Kernkompetenzen beschnitten werden. Während andere Teile der Justizreform eingefroren sind, dreht sich aktuell alles um die „Angemessenheitsklausel“, die dem Gericht derzeit noch die Möglichkeit gibt, Entscheidungen von Regierungsmitgliedern und anderen Amtsträgern als „unangemessen“ einzustufen, wenn sie nach Meinung der Rich­te­r*in­nen nicht im Interesse der Allgemeinheit sind. Vergangene Woche hatte das Parlament in erster Lesung für die Abschaffung der Klausel gestimmt. In diesem Fall würde die Justiz der Regierung künftig nicht mehr so leicht dazwischenfunken können. Andere Kontrollmöglichkeiten blieben der Justiz allerdings erhalten. Die Angemessenheitsklausel, die ihre Wurzeln im britischen Recht hat, existiert in Israel seit der Staatsgründung 1948.

„Beende das verrückte Chaos“

Arnon Bar-David, Vorsitzender des Dachverbands der Gewerkschaften (Histadrut)

Diese und nächste Woche sind die Augen auf den mächtigen Gewerkschaftsführer Arnon Bar-David gerichtet. Der hat vergangene Woche mit einem Generalstreik gedroht. „Beende das verrückte Chaos“, forderte er Netanjahu auf. Bislang ist er aber auf die Forderung der Protestbewegung nicht eingegangen, seine Drohung in die Tat umzusetzen.

Einflussreiche Un­ter­neh­mer*in­nen kündigten ein Protestcamp am Donnerstag in Jerusalem an. „Unilaterale Gesetzgebung wird die Wirtschaft und das Land zerstören“, hieß es als Erklärung. Sie riefen zu Verhandlungen und einem Kompromiss auf. Im Gesundheitssektor ist ein kurzer Warnstreik für Mittwoch geplant.