EU-Kommission will „Genpflanzen“ ins Essen schmuggeln

Ein Entwurf aus Brüssel sieht weitgehende Lockerungen für neue Methoden vor. Biobauern und Umweltschützer sind empört

Mit welchen Methoden soll er arbeiten? Techniker in einem Pflanzenzüchtungslabor Foto: Akos Stiller/Bloomberg/getty

Von Eric Bonse, Brüssel

Die EU-Kommission will die strengen europäischen Gentechnik-Regeln lockern und die Kennzeichnung bei Lebensmitteln aushebeln. Dies geht aus einem vorläufigen Entwurf der Brüsseler Behörde hervor, der der taz vorliegt. Offiziell vorgestellt werden soll der Plan erst am 5. Juli – doch schon jetzt gibt es massive Proteste.

„Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen. Er ist desaströs für das europäische Vorsorgeprinzip“, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Das wäre das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft“, warnt die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. „Die abzusehende Patentierungswelle wird den Zugang zu genetischen Ressourcen für die Züch­te­r:in­nen noch weiter erschweren oder unmöglich machen. Kleinere und mittlere ökologische und konventionelle Züch­te­r:in­nen stehen damit vor dem Aus.“

Konkret geht es um Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) wie der Genschere Crispr/Cas geschaffen wurden. Sie sollen von der Risikobewertung ausgenommen werden, wenn die erzeugten Sorten auch durch herkömmliche Verfahren wie Kreuzung oder Auslese hätten entstehen können. „Solche Pflanzen würden behandelt wie herkömmliche Pflanzen und würden keine Autorisierung, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung brauchen“, heißt es in dem Entwurf.

Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA habe festgestellt, dass NGT keine neuen Risiken bedeuten. Außerdem gebe es in der EU und weltweit einen „signifikanten Bedarf“ für NGT-Pflanzen etwa zur Anpassung an den Klimawandel. Ob die NGT das besser als herkömmliche Züchtungstechniken können, ist umstritten.

Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT-Pflanzen ist in dem Entwurf, der nach seiner offiziellen Vorstellung noch durch das Europaparlament und den Rat der EU-Mitgliedstaaten muss, nicht vorgesehen. Immerhin müsste Saatgut oder vermehrungsfähiges Material eindeutig deklariert werden. Im Biolandbau sollen NGT-Pflanzen weiter nicht erlaubt sein.

„Die Kommission und die Agrarindustrie argumentieren, dass der Einsatz von NGTs zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen kann“, sagt der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling, der selber einen Biolandhof betreibt. „Doch die Risiken für Biodiversität, Gesundheit, Züchtung und das Ernährungssystem sind hoch.“

Der Entwurf kommt inmitten einer ohnehin schon aufgeheizten Debatte über den Naturschutz und die Gentechnik. Am vergangenen Donnerstag konnte sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments nicht auf eine gemeinsame Position zum geplanten Renaturierungs-Gesetz einigen – Konservative und Rechtspopulisten lehnen den Entwurf ab.

Streit gibt es auch über den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Brüssel plant eine Reduzierung, doch auch hier gibt es Widerstand. „Konservative Politiker-*innen torpedieren die Pestizidreduktion und fordern gleichzeitig die Deregulierung des Gentechnikrechts“, kritisiert der BUND. Es drohe ein „politischer Kuhhandel“.

Wie das Tauziehen ausgeht, hängt auch von der Bundesregierung ab. Denn neben dem Europaparlament haben auch die 27 EU-Staaten noch ein Wörtchen mitzureden. Wie sich die Bundesregierung positioniert, ist noch offen. Aus dem grün geführten Agrarministerium hieß es, gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein.

Ob sich mit der neuen Technik tatsächlich Pflanzen besser an den Klimawandel anpassen lassen, ist umstritten

Dagegen signalisiert das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung. „Wir sollten die enormen Chancen nutzen, die in neuen Züchtungstechnologien stecken“, sagte Ministerin Bettina Stark-Watzinger. Doch der dritte Partner der Berliner Ampelkoalition, die SPD, steht auf der Bremse.

Der Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag, Matthias Miersch, spricht sich klar gegen die Pläne zur Lockerung der Gentechnikregeln aus. Sollte der bekannt gewordene Vorschlag Realität werden, wäre dies das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft, sagte er.

In einer repräsentativen Umfrage, die der Verband Lebens-mittel ohne Gentechnik in Auftrag gegeben hat, sprachen sich im Januar 58 Prozent der befragten Deutschen gegen eine Absenkung der Gentechnik-Standards aus. 25,2 Prozent antworteten mit „Ja“, 16,8 Prozent waren unentschieden.