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„Pension SchöllerInn“ in München„Dein wahres Selbst ist boring!“

Die neue Selbstoptimierungs-Normalität ist nah an dem, was wir früher Wahnsinn nannten. Das zeigt „Pension SchöllerInn“ am Münchner Volkstheater.

Schräg, laut und grell rules. Das geht gut in dem queer besetzten Cast des Stücks Foto: Amelie Kahn-Ackermann

Krank oder gesund: Das Begriffspaar benutzen wir noch. Verrückt oder normal: eher nicht! Dass die Grenzen zwischen diesen vermeintlichen Gegensätzen fließend sind, darum geht es in „Pension Schöller“. In der 1890 uraufgeführten Posse von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby will der Großgrundbesitzer Philipp Klapproth gerne mal echte Geisteskranke sehen. Sein Neffe Alfred, der auf Philipps Geld spekuliert, zeigt ihm aus Mangel an Alternativen die Gäste der Pension Schöller. Und der ganz normale Wahnsinn dieser schrägen Gesellschaft überzeugt und amüsiert den Mann aus Kyritz an der Knatter – bis die vorgeblichen Irren vor der Tür seines Landguts stehen.

Ein Schenkelklopfer ist dieses von Boulevard- und Laienbühnen rauf und runter gespielte Stück. Dass es sich auch gut anspitzen lässt, hat Frank Castorf gezeigt, als er es 1994 vor Hakenkreuzfahnen spielen ließ und mit Heiner Müllers Kriegs-Parabel „Die Schlacht“ kreuzte, bis der deutsche Kartoffelsalat nur so spritzte. Denn in den Marotten der abgehalfterten Majore, verhinderten Schauspieler und sonstigen Ex­zen­tri­ke­r*in­nen steckt auch die spießbürgerliche Saat, aus der der Faschismus wuchs.

Selfcarebeflissene Kombucha-Junkies

Was noch darin wurzeln könnte, haben nun Nele Stuhler und Jan Koslowski am Münchner Volkstheater erkundet. In ihrer pseudobritisch gegenderten, neopossierlichen „Pension Schöl­le­rInn!“ gehen selfcarebeflissene Kombucha-Junkies und Boreout-Opfer aus und ein. Wer 1890 seine Hecken trimmte, doktert 2023 an seiner Selbstoptimierung herum.

Und noch ein Dreh ist neu: Der reiche Onkel Philipp hält sich selbst für verrückt und will endlich normale Menschen sehen. Neffe Alfred, der sich auf Philipps Kosten einen lauen Lenz macht, hat ihm vorgeflunkert, dass er ein Resilienz-Retreat betreibt. Damit der Geldfluss nicht versiegt, müssen die Gäste der Pension ihm nun eines vorspielen. Ohnehin erledigen die hier die ganze Arbeit, weil die Pen­si­ons­be­trei­be­r*in­nen es ausnutzen, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts allesamt (Self-)Workaholics sind.

Die Litanei der täglichen To-dos wird immer absurder

Durch diesen Kniff könnte der alte Stoff zu aktuellem Zunder werden. Es gibt auch einige Textpassagen, wo das gelingt: „Trink jeden Tag ein Glas warmes Wasser am Morgen. Und mach ein bisschen Yoga. Nicht lang. Hauptsache jeden Morgen. Das kann Wunder wirken … Lies drei bis fünf Zeitungen. Und creme dich ein … Mindestens mit Lichtschutzfaktor 30.“ Das sagt Major Gröber, gespielt von Jan Meeno Jürgens, der den Onkel mit riesenhaften Akupunkturnadeln spickt, während seine Litanei der täglichen To-dos immer absurder wird: „Beobachte Wolken. Rieche an etwas. Albere rum. Lache. Mache etwas kaputt. Repariere etwas. Lösche einen negativen Kontakt.“

Derweil filmt die Kamera Anne Steins Gesicht, die als Onkel unter einer riesigen Turmfrisur ihr feines Mienenspiel bewahrt, obwohl das Autor*innen- und Regieteam alle von Beginn an auf maximale Expressivität und Crazyness eingeschworen hat. Zu steigern gibt es da nichts mehr, und Fallhöhe ist auch nicht. Das sind gleich zwei Probleme dieses Abends, der nach einer witzigen chorischen Intro, die das Theater mit dem Sanatorium verschränkend vor großen Emotionen warnt und die alles mit allem kombinierenden Kostüme von Marilena Büld zur Bewunderung freigibt, nicht mehr zur Ruhe kommt.

„Besteuert mich!“

Schräg, laut und grell rules, was in dem queer besetzten Cast im Einzelnen sogar gut gehen kann: Lorenz Hochhuth als Schriftstellerin Josephine, die sich eine neue Biografie klaut, weil in ihrer alten alles zum Heulen glatt lief, wäre problemlos für eine Soloshow gut. Und Steffen Link treibt Friederiken Schöller bald in die comichafte Überzeichnung, bald in Richtung eines fragilen Tim-Fischer-Lookalikes.

Textlich dagegen huldigen Stuhler und Koslowski dem Motto „Mehr ist mehr. Zwischen einigen guten Ideen wird viel zerredet. Der Witz dreht bald so hohl, dass man sich ebenso „durchgenudelt“ fühlt wie der gute Onkel Philipp, dem die vermeintliche Normalität dieser Selbstoptimierer und Selbsterkenntnisverweigerer (Die Schöllerinn: „Dein wahres Selbst ist boring!“) zu anstrengend ist. Da ist er lieber wieder so verrückt wie bisher und macht mit seiner Mission Milliardärs­besteuerung weiter: „Besteuert mich!“ So viel Zeitgeist – von der Millionenerbin Marlene Engelhorn über Tiny-House- und Green-Smoothies-Purismus – ist in das Stück hineingepresst worden.

Gegen Ende wird es mit Tanzeinlagen von „Little Snowflake“ Alfred (Anton Nürnberg) und floralen Gemeinschafts­choreos in die Länge gezogen. Wenig kommt unter dem Strich dabei heraus. Nur ein paar flapsige bis exaltierte Variationen von Adornos Diktum von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen und die auch nicht neue Erkenntnis, dass das dauernde Kreisen um sich selbst eine besonders perfide Art der Weltflucht ist. Oder, wie es nun im Volkstheater heißt: „What kind of tea would be hard to swallow? Reali-tea!“

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