Bomben gegen die Klimakrise

Der Spielfilm „How to Blow Up a Pipeline“ von Daniel Goldhaber lässt Aktivisten diskutieren und gegen die Mineralölkonzerne zur Tat schreiten

Ernst machen: Vorbereitungen zum Sprengen einer Pipeline Foto: fugu films

Von Michael Meyns

Erst vor ein paar Tagen wurde die linke Aktivistin Lina E. wegen Überfällen auf Rechte zu einer mehrjährigen Haftstraße verurteilt. Ein Urteil, das bei beiden Seiten auf Kritik stieß: Für die einen war es ein Skandalurteil, das eine Antifaschistin anging, die das tat, was der Staat versäumt hatte, für die anderen das viel zu milde Urteil gegen eine Linksterroristin, die Selbstjustiz ausübte. So oder so befürchtet Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine zunehmende Radikalisierung.

Nicht der einzige Bereich, in dem immer häufiger Gewalt zu beobachten ist: die Klimaprotestler der Letzten Generation sehen sich zunehmend brutalen Reaktionen von Autofahrern ausgesetzt, die sich in ihrem Recht auf freie Fahrt eingeschränkt sehen und den „Klima-Klebern“ Nötigung vorwerfen. Auch hier wird eine Radikalisierung befürchtet, konservative Politiker sprechen schon von der Gefahr, dass eine Art „Klima-RAF“ im Entstehen ist.

Genau zum richtigen Zeitpunkt kommt nun ein Film in die Kinos, der ein Szenario durchspielt, das zwar fiktiv ist, aber zunehmend realistisch erscheint. Dessen Möglichkeiten und Konsequenzen werden in Kreisen der Klima-Aktivisten vielleicht auch schon kontrovers diskutiert. Der von einem Kollektiv um den Regisseur Daniel Goldhaber produzierte Film „How to Blow Up a Pipeline“ basiert lose auf dem gleichnamigen Buch von Andreas Malm, in dem der schwedische Geograph und Journalist die Frage diskutierte, warum sich die Klimabewegung einem gewaltfreien Protest verschrieben hat.

Denn eigentlich, so führt Malm überzeugend aus, waren weder die Proteste von Gandhi noch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und schon gar nicht die Proteste, die zum sehr kurzlebigen Arabischen Frühling führten, gewaltfrei, auch wenn sie gerne als solche verklärt werden. Sie alle bedienten sich mehr oder weniger direkt auch gewalttätigen Formen des Protests, zumindest war die Möglichkeit von Gewalt und Radikalisierung ein Grund, warum die friedlicheren Aspekte einer Protestbewegung von Politik und Gesellschaft als bessere Alternative akzeptiert wurden. Konkret bedeutet das etwa in Bezug auf die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung: Nicht zuletzt der Druck, der durch den gewaltbereiten Malcolm X ausgeübt wurde, ließ den friedlicheren King als akzeptablere Alternative erscheinen.

Das Radikale, auch Gefährliche und Faszinierende an der Filmversion von „How to Blow Up a Pipeline“ ist, dass dieser Ansatz nicht einfach aufgezeigt und durchgespielt, sondern aktiv propagiert wird. Erzählt wird von acht Aktivisten, die sich in Texas zum Anschlag auf eine Pipeline zusammenfinden.

In Rückblenden wird angedeutet, warum diesen Menschen kein anderer Weg als sinnvoll erscheint: Theo (Ariela Barer) etwa leidet an Leukämie, die vermutlich durch Abgase der Ölraffinerie ausgelöst wurde, in deren Schatten sie aufwuchs. Der Texaner Dwayne (Jack Weary) wiederum soll enteignet werden, um Platz für den Bau einer Pipeline zu schaffen, der Native American Michael (Forrest Goodluck) fühlt sich grundsätzlich von der weißen Mehrheitsgesellschaft unterdrückt, während das Paar Rowan (Kristine Froseth) und Logan (Lukas Gage) eine ganz eigene Agenda zu verfolgen scheint, die sich erst nach und nach offenbart.

Minutiös, fast dokumentarisch zeichnet der Film die Vorbereitung zu einem Anschlag nach, wenn auch nicht so genau, dass der gezeigte Bau von Bomben als Anleitung zu verstehen wäre: Eine präzise Bauanleitung wie das legendäre „The Anarchist Cookbook“ ist dieser Film dann doch nicht. Zumal da die Bomben ganz bewusst nicht gegen Menschen gerichtet sind, sondern gegen Sachen. An drei Stellen soll eine Pipeline zerstört werden, die Ölversorgung gestört und damit der Ölpreis in die Höhe getrieben werden.

Ein naiver Plan? Vielleicht. Aber angesichts einer Extremsituation wie dem Klimawandel möglicherweise der einzige Weg, die Trägheit des Systems in den Grundfesten zu erschüttern. Oder würden solche Anschläge eher das Gegenteil bewirken und die hehren Ziele diskreditieren? Immer wieder lässt Goldhaber die Figuren diese Fragen diskutieren, werden Zweifel angedeutet, ohne dass es schließlich zu einem um Ausgleich bemühten, oberflächlich betrachtet „vernünftigen“ Ende kommt.

Mit welcher Verve „How to Blow Up a Pipeline“ seinen radikalen, anarchistischen Ansatz durchzieht, lässt an das agitatorische Kino der 60er Jahre denken, das auf eine im Nachhinein bisweilen vielleicht naiv anmutende Weise an Revolution und die Kraft gesellschaftlicher Änderung glaubte. Angesichts einer zunehmend hoffnungslos wirkenden Lage, einer erschreckenden Trägheit der Gesellschaft, die notwendigen Wandel zwar diskutiert, aber viel zu langsam auf die akuten Gefahren des Klimawandels reagiert, könnte in Formen der Radikalisierung tatsächlich die einzige Hoffnung liegen. Ob „How to Blow Up a Pipeline“ als Blaupause für den Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe dienen kann und vor allem sollte, das werden die nächsten Jahre zeigen.

„How to Blow Up a Pipeline“. Regie: Daniel Goldhaber. Mit Ariela Barer, Kristine Froseth u.a. USA 2022, 106 Min.