Kommunistische Bürgermeisterin Österreichs: Lennon statt Lenin

Das Buch "Es geht auch anders" zeichnet den Weg der Bürgermeisterin Elke Kahr nach. In "Imagine" findet sie das Idealbild.

Eine Frau steht neben einem Bücherregal

Die Bürgermeisterin von Graz im Büro des Rathauses Foto: Marylise Vigneau/The New York Times

Es ist John Lennon, nicht Karl Marx oder gar Wladimir Iljitsch Lenin, der Elke Kahr als wichtigste Inspirationsquelle dient. Das suggeriert zumindest ihr aus Interviews komponiertes Buch, in dem die KPÖ-Bürgermeisterin von Graz zu erklären versucht, was sie unter Kommunismus versteht. In der utopischen Ballade „Imagine“ findet sie das Idealbild einer kommunistischen Welt ohne Ausbeutung und Krieg verwirklicht.

Elke Kahr im Gespräch mit Silvia Jelincic: „Es geht auch anders“. Edition a, Wien 2023. 119 Seiten, 20 Euro

Kein Wunder, dass Elke Kahr solche Bilder bemüht. Bevor es um Inhalte geht, muss sie sich in praktisch jedem Interview zuerst einmal vom Stalinismus distanzieren und zuletzt auch klar zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Stellung beziehen.

Das tut sie auch in dem Buch „Es geht auch anders“, dessen knapp 120 Seiten Text von der Journalistin und Bloggerin Silvia Jelincic in Form gebracht wurden: „Wladimir Putin hat einen jahrelangen Frieden auf unserem Kontinent zerstört. Er schmückt sich mit den Insignien der Sowjetunion, aber er ist kein Sozialist.“

Auch ihre Partei nimmt Kahr nicht aus der Pflicht. Dass sie zu den Gräueln des Stalinismus geschwiegen habe, „hat sicher nicht dazu beigetragen, ihr Ansehen in Österreich zu stärken“.

KPÖ im Telefonbuch

Ihren Beitritt zu der Kommunistischen Partei Österreichs als junge Frau erklärt sie damit, dass ihr viele Leute gesagt hätten, sie spreche wie eine Kommunistin. Darauf habe sie die KPÖ Graz im Telefonbuch nachgeschlagen und dort das Gespräch gesucht.

Seit 1985 ist sie dabei und auch nicht gewillt, das stigmatisierende Etikett Kommunismus abzulegen. Dass auch die Bevölkerung die Berührungsängste verliert, zeigen die Grazer Kommunalwahlen von 2021, die Elke Kahr zur Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs machten.

Bis der Stadtrat Ernest Kaltenegger die KPÖ in Graz in den 1990er Jahren durch konsequente Basisarbeit und den Einsatz für leistbares Wohnen wieder salonfähig machte, fristete die Partei ein Schattendasein. Dass sie im Widerstand gegen die Nationalsozialisten eine führende Rolle gespielt hatte, war für viele Linke Motivation genug, sich weiter zu dieser Partei zu bekennen, die 1945 bei den ersten Wahlen in der Zweiten Republik aber mit 5 Prozent Zustimmung nur knapp den Einzug in den Nationalrat schaffte. Bei den Wahlen 1959, vier Jahre nach Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen, flog die KPÖ aus dem Parlament.

In Erinnerung bleibt ein gescheiterter Generalstreik, bei dem den Kommunisten 1950 – zu Unrecht – Putschgelüste unterstellt wurden. Großes Prestige genoss der kommunistische Katholik Viktor Matejka, der als Kulturstadtrat in Wien nach dem Krieg dem kulturellen Leben neue Impulse einhauchte und zu den wenigen Politikern zählte, die sich für die Rückkehr vertriebener Juden und Jüdinnen einsetzten.

Interne Streitigkeiten

Auch in Wien verschwand die KPÖ aber bald aus dem Gemeinderat. Auf nationaler Ebene kam sie selten über 1 Prozent der Stimmen hinaus. Der von der Sowjetunion niedergeschlagene Ungarnaufstand 1956 und der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen 1968 in die Tschechoslowakei, der den Prager Frühling beendete, sorgten bei der KPÖ für interne Streitigkeiten und prominente Parteiaustritte.

Ralf Leonhard (3. 3.1955 bis 21. 5. 2023) ist überraschend gestorben. Als Experte für Zentralamerika und Korrespondent aus Wien schrieb er regelmäßig für das Feuilleton der taz. Posthum veröffentlichen wir eine Reihe von Kritiken, die er kurz vor seinem Tod verfasst hat. Nachruf unter: taz.de/Nachruf/!5936490

Themen wie Arbeit, Bildung, Umwelt, Umverteilung und Demokratie werden in ihrem Buch „Es geht auch anders“ jeweils auf wenigen Seiten abgehakt. Aber das Geheimnis von Elke Kahr ist ohnehin ihre Nahbarkeit und ihre Bereitschaft zu helfen. Drei Viertel ihres Nettoeinkommens fließen in einen Topf, in den sie für soziale Notlagen greift. Über 1 Million Euro hat sie im Laufe der Jahre selbst eingezahlt, über 2,5 Millionen sind es mit den Beiträgen der Parteikollegen.

„Unsere Bürgermeisterin hat ein Helfersyndrom“, spottet das sozialkritische Theater am Bahnhof, „alle wissen es. Nur sie weiß es nicht.“ Aber das Rezept funktioniert. In der Stadt Salzburg wurde die KPÖplus damit Ende April zur zweitstärksten Kraft. Und auch in anderen Gemeinden und Bundesländern spüren die Kommunisten Aufwind.

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