Vor allem Bauern schuld am Vogelsterben

Die pestizid- und düngerlastige Landwirtschaft belastet Vogelpopulationen in Europa bei Weitem stärker als beispielsweise die zunehmende Urbanisierung, zeigt eine Studie

Armer Goldregenpfeifer: Er steht auf Deutschlands Roter Liste der vom Aussterben bedrohten Arten Foto: imago

Von Jost Maurin

Die Landwirtschaft ist im Vergleich zu Verstädterung und Temperaturanstieg laut einer neuen Studie die Hauptursache des Vogelsterbens in Europa. Vor allem Pestizide und Dünger seien der wichtigste Treiber des Rückgangs von Vogelpopulationen, schreibt eine Gruppe um Stanislas Rigal und Vincent Devictor von der Universität Montpellier in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences. Damit widersprechen die ForscherInnen zum Beispiel dem Deutschen Bauernverband, der seiner Meinung nach einseitige Schuldzuweisungen gegen die Landwirtschaft kritisiert hat. Die Studie beruht Experten zufolge auf sehr umfangreichen Daten zum Vogelbestand auf 20.000 Untersuchungsflächen in 29 Ländern von 1980 bis 2016.

„Der Rückgang der Vögel spiegelt wider, dass viele andere Arten zurückgehen, zum Beispiel Wildkräuter, Bestäuber, andere Insekten und womöglich sogar Bodenorganismen“, sagte Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, laut Science Media Center. Zudem hielten Vögel die Insekten im Wald sowie in der Landwirtschaft im Zaum und sie verbreiteten Pflanzensamen, ergänzte Christian Hof, Biologe an der Technischen Universität München. „Sie haben aber auch einen ästhetischen Wert. Es konnte in verschiedenen Studien des Senckenberg Instituts nachgewiesen werden, dass es Menschen in Gebieten mit mehr Vögeln besser geht.“

Doch die Bestände von mehr als 100 analysierten Arten fielen der Studie zufolge im 37 Jahre langen Untersuchungszeitraum um ein Viertel. Am stärksten war der Rückgang mit 57 Prozent bei den Arten, die in Agrarlandschaften leben. Vogelspezies, die vor allem in urbanen Gebieten vorkommen, seien lediglich um 29 Prozent zurückgegangen.

Die ForscherInnen verglichen, wie sich die Vogelpopulationen und der Anteil der Fläche im Lauf der Zeit entwickelt haben, auf der besonders viel Pestizide und Dünger genutzt werden. Die WissenschaftlerInnen analysierten auch die statistischen Zusammenhänge der Vogelbestände einerseits und der versiegelten oder bewaldeten Fläche sowie der Durchschnittstemperaturen andererseits. Das Ergebnis: Die Ausweitung intensiver Landwirtschaft mit mehr Pestiziden und Düngern belasteten die Vogelzahlen mit Abstand am stärksten. Zunehmende Urbanisierung hatte ebenfalls einen negativen, wenn auch geringeren Effekt. Die steigenden Temperaturen schadeten Populationszahlen insgesamt, aber einige Arten profitierten. In manchen statistischen Tests hatten die zunehmende Flächen mit Bäumen keinen Effekt, in anderen einen positiven.

Die Bestände von mehr als 100 Arten schrumpften der Studie zufolge in 37 Jahren um ein Viertel

„Die neue Errungenschaft der Studie ist der große Umfang, die Datenqualität und die explizite Verknüpfung der Vogeldaten mit der Intensität der Landwirtschaft und anderen Faktoren“, sagte Biologe Hof. Jörg Hoffmann vom bundeseigenen Julius Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen dagegen kritisierte die Studie als „nicht überzeugend“. Die verwendeten Daten zum Verkauf von Pestiziden und Düngern zum Beispiel seien „in dieser Form“ nicht geeignet, um Ursachen und Wirkungen zu erkennen.

Biologe Hof dagegen bezeichnete die Daten ausdrücklich als „solide“: „Denn was als intensiv genutzte Fläche gilt, hängt davon ab, wie viel Geld pro Hektar für Pestizide und Düngemittel ausgegeben wird.“ Zwar seien genauere Angaben für einzelne Flächen besser, aber auf diese hätten Ökologen aus Datenschutzgründen keinen Zugriff. Deshalb sei es legitim, „dass die Kollegen hier Daten auf Länderbasis verwenden“.