Krieg in der Ukraine: Tod im Morgengrauen

Russische Truppen haben mehrere Regionen in der Ukraine unter Beschuss genommen. Unter den Opfern sind mindestens zwei Kinder.

Eine Frau steht vor einem Wohnblock und hält ihre Hand vor den Mund

Uman, Ukraine: Fassungslosigkeit angesichts der Zerstörungen nach dem russischem Angriff Foto: Bernat Armangue/ap

LUZK taz | Die Prä­si­den­t*in­nen Tschechiens und der Slowakei, Petr Pavel und Zuzana Čaputová, waren am frühen Freitag gerade im Zug auf dem Weg zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw und der Kommandeur der Luftwaffe Nikolai Oleschuk im Begriff, ein Selfie mit der zweiten Patriot-Division zu machen, da starteten russische Langstreckenbomber vom Typ Tu-95 im Gebiet des Kaspischen Meeres.

Die russischen Truppen ziehen schon seit längerer Zeit Raketen für die nächsten Angriffe zusammen. Der letzte massive Beschuss hatte Mitte März stattgefunden. Am Freitag um vier Uhr morgens feuerte die russische Armee 23 Kh-101- und Kh-555-Marschflugkörper ab, die ukrainische Luftverteidigung antwortete mit 21 Raketen.

Elf Marschflugkörper seien, laut offiziellen Angaben, im Luftraum von Kyjiw eliminiert worden. Infolge niedergehender Trümmer im Bezirk Obolonsky wurde die Stromleitung unterbrochen. In der Nähe der Hauptstadt fielen Trümmer auf ein Wohnhaus und beschädigten Wohnungen in den oberen Stockwerken, ein Kind wurde verletzt. In Uman (Region Tscherkassy) in der Zentralukraine – ein Ort traditioneller chassidischer Wallfahrten – trafen zwei russische X-101-Raketen ein Hochhaus und ein Lagergebäude.

Am Freitag wurden dort mindestens 20 Leichen geborgen, darunter drei Kinder. Dutzende Menschen wurden verletzt. Die Aufräumarbeiten werden mehrere Tage dauern. Julia, eine Bewohnerin von Uman, sagte dem TV-Sender 1+1 zu dem Angriff: „Es ist sehr beängstigend. Viele Nachbarn haben Uman verlassen. Die Ärzte haben meinem Mann eine große Glasscherbe aus dem Kopf geholt. Meine Beine sind voller Schnittwunden. Die Kinder stehen unter Schock. Sie wurden zur Großmutter ins Dorf gebracht.“

27 Wohnungen komplett zerstört

Den ersten Aufgang dieses Hauses, in dem 109 Menschen lebten, gibt es nicht mehr. Von den 46 Wohnungen wurden 27 vollständig zerstört. Die Druckwelle beschädigte weitere 10 Mehrfamilienhäuser, 40 Autos gerieten in Brand.

Auch der Fluss Dnjepr wurde von russischen Raketen getroffen. Dort wurde ein Privathaus zerstört, in dem eine 31-jährige Frau und ein zweijähriges Mädchen starben. Drei Menschen, darunter eine 70-jährige Frau, wurden bei einer Explosion in einer Industriehalle verletzt, ein Baugrundstück ging in Flammen auf.

Diesem Beschuss war ein russischer Angriff auf Mykolajiw in der Südukraine voraus gegangen. Am Donnerstag waren vier Iskander-K-Raketen in der Stadt eingeschlagen. Der Vertreter des Kommandos der Luftwaffe der Streitkräfte der Ukraine, Juri Ignat, sagte, dass die russische Armee schwer zu ortende Raketen eingesetzt habe.

„Die Iskander-K ist ein Marschflugkörper, der sehr niedrig fliegt, was es schwieriger macht, sie zu erkennen und abzuschießen“, so Ignat.

Neue Angriffstaktik

Zuvor hatte das Institute für Kriegsstudien (ISW) berichtet, dass die Russen eine neue Taktik des Raketenangriffs angewandt habe, um die ukrainische Luftverteidigung zu umgehen. Sie nutzten unter anderem unterschiedliche Starthöhen und zahlreiche Flugbahnänderungen, um es schwieriger zu machen, diese abzuschießen.

Die ISW-Experten hielten auch fest, dass die russische Armee ihren massiven Beschuss wieder aufnehmen könnte – jedoch mit der Anwendung neuer Taktiken, um die Bestände an präzisionsgelenkten Raketen aufrecht zu erhalten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete den Beschuss als eine weitere Nacht russischen Terrors. Auf Twitter schrieb er, „das russische Übel kann nur mit Waffen gestoppt werden“, aber die internationale Gemeinschaft müsse das Sanktionsregime gegen die Russische Föderation verstärken.

Raketenangriffe, die unschuldige Ukrai­ne­r*in­nen im Schlaf töteten, insbesondere ein zweijähriges Kind, seien Russlands Antwort auf alle Friedensinitiativen, lautete die Reaktion des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba. Er fügte hinzu, dass die Besatzer erst aus der Ukraine vertrieben werden müssten und Kyjiw F-16-Flugzeuge erhalten müsse – erst dann könne es Frieden geben.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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