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Urteil gegen Putin-Gegner Kara-MursaMoralisch verrottet

Kommentar von Barbara Oertel

In Russland ist ein Oppositionspolitiker zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Präsident Putin ist im Kampf gegen das eigene Volk.

Dieses vom Moskauer Stadtgericht veröffentlichte Foto zeigt Wladimir Kara-Mursa während der Urteilsverkündung Foto: The Moscow City Court/ap

R usslands Justiz hat im Auftrag des Kremls wieder einmal ein Exempel statuiert: 25 Jahre Lagerhaft unter verschärften Bedingungen lautet der Schuldspruch gegen den Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa – unter anderem wegen Verunglimpfung der russischen Armee und Staatsverrats.

Seit dem Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 sind das die gängigen Paragrafen des Strafgesetzbuches, aufgrund derer unbequeme Zeitgenossen zur Strecke gebracht werden. Das Verdikt gegen Kara-Mursa, der gesundheitlich stark angeschlagen und eigentlich haftunfähig ist, könnte einem Todesurteil gleichkommen. Aber ein Menschenleben mehr oder weniger – was macht das schon.

Aufhorchen lässt auch eine Äußerung des Staatsanwalts in der vergangenen Woche. Er bezeichnete Kara-Mursa als „Feind“, der bestraft gehöre. Das erinnert an die Schauprozesse der Stalin-Zeit, wo vermeintliche „Volksfeinde“ gleich reihenweise abgeurteilt und exekutiert wurden. Aber es braucht gar nicht so exponierte Persönlichkeiten wie Wladimir Kara-Mursa oder Alexej Nawalny, der seine Haft womöglich ebenfalls nicht überleben könnte, um den Hass des Regimes auf sich zu ziehen.

Im Reich von Wladimir Putin reicht heute schon eine harmlose Kinderzeichnung, eine unbedachte Äußerung im Klassenzimmer, um den russischen Inlandsgeheimdienst FSB auf den Plan zu rufen. Es ist so erschütternd wie wahr: Russland ist nicht nur im Krieg gegen die Ukraine und den „kollektiven Westen“, sondern auch gegen sein eigenes Volk. Das sagt einiges über den Zustand dieses Landes aus, das sich schon längst aus dem Kreis zivilisierter Staaten verabschiedet hat. Das System hat abgewirtschaftet und ist moralisch verrottet. Dessen Fortbestand allein mit der Person Wladimir Putins zu verbinden, wäre aber reichlich naiv.

Der Tag werde kommen, an dem die Dunkelheit, die Russland überziehe, sich lichten werde, hatte Kara-Mursa in seinem Schlusswort gesagt. Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg, aber der Ukrainekrieg könnte der Anfang vom Ende sein.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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4 Kommentare

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  • Putin und seine Kumpane wollen offensichtlich den Stalinismus wiederhaben, Angst verbreiten , jeden Gesprächspartner als evtl. Spion diffamieren und so eine Stimmung erzeugen in der es niemand mehr wagt seine Meinung öffentlich zu machen. Eine SU 2.0 .

  • Wie manche selbst jetzt noch Pro-Russland sein können, werde ich nie verstehen. Gibt es eigentlich schon eine offizielle Stellungnahme der AfD zu dieser Verurteilung, oder schweigt sie es einfach tot.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Putin und seine willfährigen Spießgesellen müssen ja wirklich schlottern vor Angst, dass das Volk ihr blutiges Geschäft irgendwann nicht mehr mitmacht.



    Wie wäre es sonst zu erklären, dass sie einen Ihnen eigentlich völlig ungefährlichen Kritiker vernichten wollen!



    Dass dem ganzen Operettenregime Menschenrechte völlig wurscht sind, das sollte inzwischen jeder erkannt haben.

    • @655170 (Profil gelöscht):

      "Wie wäre es sonst zu erklären, dass sie einen Ihnen eigentlich völlig ungefährlichen Kritiker vernichten wollen!"



      "Kremlkritiker" klingt immer so nach Leuten, die auf dem Sofa sitzen und lamentieren, was alles schlecht ist. Kara-Murza ist kein "Kritiker" sondern, ganz ohne politisches Mandat, ein erfolgreicher politischer Praktiker (ein russischer Kommentator hat ihn gestern einen "Volksdiplomaten" genannt). Zusammen mit dem 2015 ermordeten Boris Nemtsow hat er das Instrument eines individuellen Sanktionsmechanismus für Menschenrechtsvergehen ersonnen und viele westliche Staaten überzeugt, es zum Gesetz zu machen (in den USA bekannt als Global Magnitsky Act).



      Das war der Grund der Mordanschläge gegen ihn 2015 und 2017, und das ist der Grund für dieses Urteil. E ist auch eine Bestrafung dafür, dass er nach den Anschlägen Russland nicht verlassen hat, sondern geblieben ist und seine Arbeit fortgesetzt hat.



      "Ich sehe das Urteil als Auszeichnung für meine Arbeit, ich habe die höchstmögliche Punktzahl gekriegt", hat Kara-Murza nach der Urteilsverkündung gesagt.