Urteil gegen Putin-Gegner Kara-Mursa: Moralisch verrottet
In Russland ist ein Oppositionspolitiker zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Präsident Putin ist im Kampf gegen das eigene Volk.
R usslands Justiz hat im Auftrag des Kremls wieder einmal ein Exempel statuiert: 25 Jahre Lagerhaft unter verschärften Bedingungen lautet der Schuldspruch gegen den Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa – unter anderem wegen Verunglimpfung der russischen Armee und Staatsverrats.
Seit dem Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 sind das die gängigen Paragrafen des Strafgesetzbuches, aufgrund derer unbequeme Zeitgenossen zur Strecke gebracht werden. Das Verdikt gegen Kara-Mursa, der gesundheitlich stark angeschlagen und eigentlich haftunfähig ist, könnte einem Todesurteil gleichkommen. Aber ein Menschenleben mehr oder weniger – was macht das schon.
Aufhorchen lässt auch eine Äußerung des Staatsanwalts in der vergangenen Woche. Er bezeichnete Kara-Mursa als „Feind“, der bestraft gehöre. Das erinnert an die Schauprozesse der Stalin-Zeit, wo vermeintliche „Volksfeinde“ gleich reihenweise abgeurteilt und exekutiert wurden. Aber es braucht gar nicht so exponierte Persönlichkeiten wie Wladimir Kara-Mursa oder Alexej Nawalny, der seine Haft womöglich ebenfalls nicht überleben könnte, um den Hass des Regimes auf sich zu ziehen.
Im Reich von Wladimir Putin reicht heute schon eine harmlose Kinderzeichnung, eine unbedachte Äußerung im Klassenzimmer, um den russischen Inlandsgeheimdienst FSB auf den Plan zu rufen. Es ist so erschütternd wie wahr: Russland ist nicht nur im Krieg gegen die Ukraine und den „kollektiven Westen“, sondern auch gegen sein eigenes Volk. Das sagt einiges über den Zustand dieses Landes aus, das sich schon längst aus dem Kreis zivilisierter Staaten verabschiedet hat. Das System hat abgewirtschaftet und ist moralisch verrottet. Dessen Fortbestand allein mit der Person Wladimir Putins zu verbinden, wäre aber reichlich naiv.
Der Tag werde kommen, an dem die Dunkelheit, die Russland überziehe, sich lichten werde, hatte Kara-Mursa in seinem Schlusswort gesagt. Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg, aber der Ukrainekrieg könnte der Anfang vom Ende sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen