Bahnstrecken-Reaktivierung im Norden: Zurück aufs Gleis

Niedersachsen will stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren. Beim letzten Anlauf kam nicht viel heraus, doch jetzt schöpfen Bahnfans neue Hoffnung.

Ein Bahngleis endet im Nichts, rundherum sind Büsche und Bäume zu sehen.

Über Jahrzehnte sind Teile des Streckennetzes stillgelegt worden, allmählich setzt ein Umdenken ein Foto: Marijan Murat/dpa

HANNOVER taz | Niedersachsen unternimmt einen neuen Anlauf, alte Bahnstrecken zu reaktivieren. Am Dienstag traf sich zum ersten Mal der Lenkungskreis unter der Leitung von Staatssekretär Frank Doods (SPD) im Wirtschafts- und Verkehrsministerium.

Am Tisch sitzen dabei nicht nur die verkehrspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen, sondern auch die niedersächsische Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG), Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, der zuständigen Aufgabenträger, der Fahrgast- und Umweltverbände.

Es ist allerdings nicht der erste Anlauf in dieser Sache. Schon 2013 hatte Minister Olaf Lies (SPD) einen solchen Lenkungskreis einberufen. Das Ergebnis war ernüchternd. Drei Bahnstrecken bestanden die umfängliche Prüfung, nur zwei davon wurden tatsächlich reaktiviert: eine zwischen Einbeck-Salzderhelden und Einbeck und eine zwischen Bad Bentheim und Neuenhaus.

28 Strecken waren damals immerhin in die engere Auswahl gekommen. Mit dieser Liste soll nun erst einmal weitergearbeitet werden. Gleichzeitig rief Lies die Kommunen und Aufgabenträger dazu auf, weitere Strecken mit Reaktivierungspotenzial bis Mitte Mai an die Landesnahverkehrsgesellschaft zu melden.

Bedingungen haben sich geändert

Immerhin haben sich in der Zwischenzeit aber ein paar Bedingungen geändert. Das betrifft vor allem die politische Großwetterlage. In den Jahren der rot-schwarzen Koalition lag das Thema praktisch brach. Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) verwies bevorzugt auf Berlin – schließlich trägt der Bund bis zu 90 Prozent der Kosten für die Reaktivierung von Bahnstrecken – sofern sie bestimmten Kriterien entsprechen.

An diesen Kriterien ist in der Zwischenzeit immer wieder geschraubt worden – Umweltverbände hatten lange kritisiert, dass hier „weiche“ ökologische und soziale Aspekte zu wenig Berücksichtigung fänden und man zu sehr auf Kosten-Nutzen-Rechnungen abhebe. Das hat sich in der Zwischenzeit zumindest ein wenig geändert.

Gleichzeitig ist auch die Einsicht gewachsen, dass schon aus Klimaschutz-Gründen mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene muss.

Im gesamten Land gibt es Dutzende regionaler Initiativen, die seit Jahren für die Reaktivierung „ihrer“ Strecken trommeln – und sie zum Teil sogar mit erheblichem Einsatz, Museumsbahnfahrten und Ähnlichem, in Schuss halten. Das ist häufig als Partikular-Interesse belächelt worden – Niedersachsen ist immerhin ein Autobauer- und Autofahrerland. Doch dieser Wind scheint sich langsam zu drehen.

Busse sind billiger, Bahnen bewirken mehr

Der Antrag der Grünen für dieses neue Reaktivierungsprogramm wurde im Landtag im März immerhin einstimmig, quer durch alle Fraktionen, angenommen. Und auf Bundesebene erhofft man sich mit dem gerade eingeführten 49-Euro-Ticket eine gestiegene Nachfrage nach öffentlichem Nahverkehr – nur muss man dann gerade im ländlichen Raum auch ein entsprechendes Angebot schaffen.

In Niedersachsen scheiden sich jedoch traditionell die Geister, wenn es darum geht, wie das am besten zu bewerkstelligen ist. Die Schiene ist deutlich teurer als der Bus und deshalb nicht in jedem Fall das Mittel der Wahl, argumentieren vor allem die kommunalen Spitzenverbände.

Die Schiene ist deutlich teurer als der Bus und deshalb nicht in jedem Fall das Mittel der Wahl, argumentieren die Kommunen

Die Schiene zieht mehr Fahrgäste an und hat mehr positive Nebeneffekte, argumentieren die Bahnfans. Sie verweisen darauf, dass bei zahlreichen reaktivierten Strecken die Fahrgastzahlen am Ende höher waren als prognostiziert. Außerdem, darauf verweist etwa der Sozialverband (SoVD) in Niedersachsen, seien Züge in der Regel barrierefreier als Busse. Und die Strecken sind auch für den Güterverkehr nutzbar.

Man müsse überhaupt die Netzwerkeffekte viel stärker berücksichtigen, sagt Hans-Christian Friedrichs vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). „Natürlich brauchen wir für die Feinverteilung auf die Dörfer letztlich andere Verkehrssysteme, dafür gibt es ja mittlerweile auch viel intelligentere Lösungen.“

Aber die Anbindung der Mittel- und Unterzentren müsse doch eine viel größere Rolle spielen. Der Nutzen für Pendler, die lokale Wirtschaft, den Tourismus, aber auch die Weiterreise im überregionalen Bahnnetz werde chronisch unterschätzt, glaubt Friedrichs.

Wie viele Strecken es am Ende werden ist völlig offen

Wie viele Strecken am Ende reaktiviert werden, wagt er allerdings auch nicht vorherzusagen. Möglicherweise sind jetzt die Landkreise im Vorteil, die sich von der eher verhaltenen Förderung durch das Verkehrsministerium nicht haben beirren lassen und schon eigene Gutachten in die Wege geleitet haben – wie für die Strecke zwischen Lüneburg und Soltau. Auch die Strecke zwischen Stade und Bremen wäre schnell reaktivierbar.

Der Fahrgastverband Pro Bahn nannte dem NDR noch andere Favoriten: die Strecke Aurich–Abelitz, wo schon die Güterzüge des Windkraftanlagenbauers Enercon unterwegs sind, oder die Strecken zwischen Nordenham-Blexen–Nordenham oder Friesoythe–Cloppenburg.

Der Verband hatte schon im März gefordert, man müsse mindestens eine Strecke pro Jahr reaktivieren. Auch Wolfgang Konukiewitz vom Nahverkehrsbündnis Niedersachsen hofft, dass dieses Mal deutlich mehr Strecken tatsächlich reaktiviert werden als beim letzten Mal.

Minister Lies lässt sich natürlich auf keinen Fall so frühzeitig auf irgendeine Zielgröße festnageln. Es solle ein möglichst transparentes und ergebnisoffenes Verfahren geben und er sei „äußerst zuversichtlich, dass wir am Ende im Sinne der Mobilitätswende zusätzliche Bahnstrecken haben, die wir wieder an den Start bringen werden können“.

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