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Tagebuch-Roman von Dirk von LowtzowAus dem Schlund am Friedrichshain

In seinem Buch „Ich tauche auf“ skizziert Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow auch die Phase des Lockdowns. Ein Leben ohne Auftritte.

Der Volkspark Friedrichshain im Frühling 2021 Foto: Katja Hoffmann/laif

Erinnern wir uns noch an die Tage der Entschleunigung? Als das Leben stillzustehen schien. Bars, Restaurants, Kinos, Theater und Konzerthallen während der Pandemie schließen mussten. Keine Reisen mehr. Für viele war es ein gewaltiger Einschnitt. Man musste seine Gewohnheiten ändern. Zweisame Spaziergänge statt gesellige Runden. Parks und städtische Nah­er­holungsgebiete erlebten eine Renaissance.

Vieles was zuvor Spaß versprach, galt nun als risikobehaftet. Immerhin nahm für kurze Zeit die Feinstaubbelastung ab. Branchen standen ökonomisch unter Druck. Vielen Freischaffenden in der Kultur oder der Gastronomie ging es schlecht.

Bereits 2019 hatte Tocotronic-Sänger und Autor Dirk von Lowtzow in seinem ersten Buch „Aus dem Dachsbau“ von Kindheit und Jugend in der Schwarzwald-Hölle erzählt. In literarischen Miniaturen hier den Aufbruch geschildert und das was ihn biografisch und künstlerisch prägte.

„Ich tauche auf“ ist nun eine Art Fortsetzung. Als das Buch zwischen Verlag und Autor vereinbart wurde, war die Pandemie nicht in Sicht. Und auch nicht, dass das schon komponierte 13. Tocotronic-Album „Nie wieder Krieg“ erst nach dem Ausbruch eines Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine erscheinen würde.

Dirk von Lowtzow: „Ich tauche auf“. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 240 Seiten, 22 Euro

Schlafender Seehund unterm Bett

Für von Lowtzow hatte das Schreiben während der Pandemie sicherlich etwas Tröstliches. „Ich tauche auf“ nimmt die chronologische Form eines Tagebuchs ein. In der Aufzeichnung vom 25.Januar 2021 protokolliert er: „Es ist unvorstellbar, aber ich habe seit über einem halben Jahr meine Gitarre nicht angefasst. Der schwarze Koffer liegt unter dem Bett wie ein schlafender Seehund. Ich wage nicht, ihn zu wecken, geschweige denn, sein Maul zu öffnen. Es ist gut möglich, dass ich mir durch mein Verhalten alles, was ich mir die letzten Jahre aufgebaut habe, verdorben habe. Der Lord of Song bemerkt meine Verachtung. Er schweigt, doch er verzeiht nicht.“

Die Leser werden sich bei der Lektüre von „Ich tauche auf“ an eine Phase erinnern, die noch nicht weit zurückliegt und den Alltag allgemein bestimmte. „22.März Berlin: Im Park versuche ich, entgegenkommenden Spaziergängern weiträumig auszuweichen, und komme mir dabei vor wie eine Figur in einem Videospiel.“

Und er erzählt von seinen Ausflügen ins Umland zu den archaisch anmutenden, stillgelegten Rieselfeldern im Nordosten Berlins: „29. März Berlin: J. Und ich machen eine Expedition ins Marschland. Wir parken neben einem kleinen Imbiss, wie immer, wenn wir diese seltsame Landschaft aufsuchen, die dort beginnt, wo Berlin aufhört. Jenseits der elektrischen Zäune steht eine Gruppe von Eseln. Die Tiere blicken verschämt zu uns herüber, als hätten sie vor Kurzem etwas ausgefressen.“

Doch von Lowtzow ist kein Naturalist. Er versieht auch die Rieselfelder, ehemalige Kloake von Berlin, mit einer geheimnisvollen Stimmung: „Wir haben eine verbotene Zone aufgesucht, in deren Zentrum wir alles über unser Schicksal erfahren konnten.“ Zu diesem Tagebuch-Eintrag findet sich auf der gegenüberliegenden Seite eine assoziativ wirkende Schwarz-Weiß-Fotografie. Sie zeigt eine kleine Fußgängerbrücke, die über einen von dichtem Wald umsäumten, schmalen Kanal mit Sumpfgräsern führt.

Bären-Vignetten

Dirk von Lotzow Foto: Gloria Endres de Oliveira

Neben einigen vom Autor selbst gezeichneten Bären-Vignetten, sind dem Buch weitere atmosphärisch wirkende Aufnahmen beigefügt. Von Kellern, zerknautschter Bettwäsche, Containern am Straßenrand. Vom Himmel, von Ästen und Bäumen. Sind die Motive Hinweise auf eine Pararealität, wie sie bereits Lars von Trier in der Miniserie „The Kingdom“ (1994) inszenierte und der Bilderwelt des Mainstreams entgegensetzte? Schwarze Romantik?

Es stellt sich auch die Frage, wie stark man diese Literatur biografisch deuten sollte. Der Autor erzählt von Begegnungen mit Künstlerinnen und Musikern oder spricht über das, was er gerade liest. Und er gibt Einblicke in die erstaunlichen Assoziationsketten seiner Gedankenwelt.

„Im August des Jahres 2019 komponierte ich im Schatten eines Baumes an einem Brandenburger See, dessen Liegewiese von mit Runen tätowierten Badegästen in Beschlag genommen war, in Gedanken das Lied Sirius,“ erinnert er sich in einer Rückblende. Zuvor hatte er notiert: „Auch die Hitze machte mir zu schaffen, besonders in den letzten Tagen des August, den Tagen des Sirius, des Hundsterns, über den W. G.Sebald zu Beginn der ‚Ringe des Saturn‘ schreibt.“ Sebald, Von Lowtzow und ein Brandenburger See.

Ich ist ein Dritter

Die szenische Verkettung des Besonderen mit dem Alltäglichen macht die Notizen auf unprätentiöse Weise vielschichtig lesbar. In einer knappen Szene konfrontiert Theaterintendant René Pollesch den Autor: „Du bist erst dann zufrieden, wenn es in deiner Wahrnehmung nicht mehr du bist, der da singt, sondern ein Dritter.“

Ich ist ein Dritter. Eine elektrisierende Erkenntnis, attraktiv für einen Autor, der in seinen Songs zuweilen nicht nur von Schatten, sondern von der eigenen Hand gejagt wird.

Das Irdische, das Außerirdische und das Transzendente. Der lyrische Schlund kann den Musiker und Autor in die geheimnisvolle Unterwasserwelt Undines führen oder direkt zum Tocotronic-Song „Ich tauche auf“, dessen Titel das Buch trägt. Dieses Ich will kein Bildungsbürger sein. Doch konstatiert es auch: „Entdeckungen und Verweise machen die Arbeit erst zu dem, was sie ist.“

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