schlagloch: Wider den Fatalismus
Wenn ohnehin alles schon zu spät wäre, könnten wir uns die Mühe gleich sparen. Ist es aber nicht und Panikmache allenfalls kontraproduktiv
Zu spät“, sagte die Frau im Radio. „Es ist zu spät.“ Die Politikerin wiederholte ihre Klage ein Dutzend Mal. Um das Zögern des Bundeskanzlers bei Panzerlieferungen anzugreifen. Auf Kosten der deutschen Sprache, denn wenn etwas zu spät ist, kann man es auch gleich bleiben lassen. Wer zu spät zum Bahnhof kommt, verpasst den vorgesehenen Zug. Endgültig. Aber es gibt – bei der Bundesbahn wie auch im richtigen Leben – meist einen anderen Zug, einen nächsten. Laut Fahrplan und Lebenserfahrung. Einen Zug, in den man trotz vorangegangenen Gejammers einsteigen wird.
Wir sind derartige Hysterisierung inzwischen gewohnt. Seit einigen Jahren mit endzeitlichem Horizont. Ob beim Krieg gegen die Ukraine oder im Kampf gegen die Klimazerstörung, stets handelt es sich um unsere letzte Chance. Um einen finalen Showdown mit dem Schicksal. Als spielten wir beim Poker all-in. Ob es um unsere Freiheit oder das Überleben der Menschheit geht: It’s now or never!
Das Endgültige zeichnet sich dadurch aus, dass es selten vorkommt – die Apokalypse hat ein solides Alleinstellungsmerkmal. Das Hierundjetzt hingegen wiederholt sich unzählige Male, täglich, stündlich, augenblicklich. Es eignet sich schlecht zur Überdramatisierung, zur existenziellen Reizüberflutung. Und die Gelassenheit, die sich aus dem Wissen um eine weitere Chance ergibt, ermöglicht einen aufgeklärteren Diskurs als das Drohen mit dem Weltuntergang, das uns in die Arme der Alternativlosigkeit treiben soll.
Strukturell ist das Kröchsen der Krähen von allen Kriegstürmen herab dem Sirenengeheul an Bord des untergehenden Planeten Erde ähnlich. Natürlich bin auch ich angesichts der Faktenlage überzeugt, dass wir nur durch radikale Transformation schwerste ökologische Schäden vermeiden können. Weder technologische Lösungen noch grüner Habitus werden uns dabei wesentlich helfen. Aber ich bezweifle, angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, dass krypto-religiöser Alarmismus einen wertvollen Beitrag leistet.
Zumal die apokalyptische Erwartung wenig mit der Realität zu tun hat. Unsere Freiheit wird natürlich nicht nur in der Ukraine verteidigt. Zum einen, weil sie sich vieler anderer Angriffe erwehren muss (das Erstarken autoritärer und repressiver Kräfte, Vermögenskonzentration, Überwachungskapitalismus, die globale Ungerechtigkeit usw.). Zum anderen, weil es gute Gründe gibt zu bezweifeln, dass eine geschwächte Armee, die nicht einmal einige Provinzen des Nachbarlandes okkupieren kann, in absehbarer Zeit Länder der Nato angreifen oder gar besetzen wird.
Ilija Trojanow ist Schriftsteller, Weltensammler und Autor zahlreicher Bücher. Im August 2020 erschien sein Roman „Doppelte Spur“ bei S. Fischer.
Die Schlagloch-Vorschau 22. 2. Jagoda Marinić
1. 3. Mathias Greffrath
8. 3. Georg Diez
15 3. Robert Misik
Ähnlich verhält es sich bei den ökologischen Herausforderungen. Die Erde wird nicht untergehen, sondern wenn überhaupt die Menschheit. Das Gleichnis von der Arche Noah, das uns hierzulande stark geprägt hat, entstand in einer Wüste, wo es wenige Tiere gab. Die Indigenen im Amazonas, umgeben von allem, was fleucht und kreucht, wären nie auf so eine Geschichte gekommen, weil sie wussten, dass es auch Tiere im Wasser gibt. Jede Dystopie trägt ihre eigenen Scheuklappen. Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln wie eine lästige Erkältung und ohne uns weiter existieren. Und wer die Natur liebt oder verehrt, wird diese Aussicht vielleicht als beglückend empfinden – schließlich ist schwer erträglich, dass wir das Wunder des Urwaldes zerstören, um veganen Käse zu produzieren. Was untergehen könnte, ist unsere dekadent-destruktive Lebensweise.
Panische Zuspitzungen verhindern, dass wichtige Entwicklungen Beachtung finden. Ein Beispiel hierfür war die Berichterstattung über Lützerath. Die Medien servierten uns ein „High Noon in Niederrhein“: Bagger gegen Baumhäuser. Und übersahen dabei, dass sich dort lebendige und belebende Formen eines alternativen Miteinanders bildeten, wie mir drei Teilnehmerinnen erzählten. Das selbstorganisierte Wirken von Tausenden von Menschen (ein beeindruckendes Panorama der Klimabewegung von gemäßigt bis radikal), die auf basisdemokratische Weise ein funktionierendes Kollektiv formten.
Die Küche für alle musste auf die Teller gebracht, ein hierarchiefreies Plenum moderiert werden. Übungen in Zukunft, Aussichten auf Utopie. Wenn von einem Kristallisationspunkt gesprochen wurde, so meinte das auch die Errichtung eines Labors der Solidarität, einer lokal fokussierten Universalität. Es gab, so berichten alle drei Aktivistinnen, ein Gefühl der Dringlichkeit, aber nicht der Panik. Dieses Zurückerobern von Freiräumen ist Teil des utopischen Projekts, das jeder wirklichen Veränderung vorausgeht. Das verstehen die führenden Asphaltköpfe der Grünen nicht. Es geht nicht um legalistische Sachzwänge, es geht um ein Gelegenheitsfenster, inmitten von Zerstörung etwas Neues erblühen zu lassen, und somit den Hauch einer anderen, besseren Heimat.
Da die Apokalypse nur apodiktisch funktioniert, unkte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Kurzem, die vereinbarten zwei Prozent (des BIP) an Militärausgaben würden nicht ausreichen. Kein Wunder, dass eine wichtige Publikation von unseren Medien geflissentlich übersehen wurde, der Bericht „Climate Collateral“ des renommierten „Transnational Institute“ – im Untertitel: „wie Militärausgaben die Klimakrise beschleunigen“. Diese fundierte Analyse beginnt mit dem Satz: „Die reichsten Länder, die am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind, geben mehr für Militär als für Klimaprojekte aus.“ Und belegt danach ausführlich, wie ökologisch katastrophal Militärbudgets und Kriege sind. Bemerkenswert, dass in diesem Fall eine apokalyptische Beschwörung eine andere potenziert.
Vielleicht bin ich ein vorgestriger Romantiker, aber mir scheint, wir benötigen bei politischen Diskussionen und Kämpfen eine gute Mischung aus Sorge und Zuversicht, aus Trauer und Hoffnung. Und keine Prediger, die mir schon früh am Morgen ins Ohr brüllen, es sei „zu spät“.
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