talk of the town
: Die totale Scheißaktion

In der Oper Hannover beschmierte der Ballettdirektor Marco Goecke eine Tanz-Kritikerin mit Hundekot. Doch beschissener als für die Kritik sind die Folgen für Goecke selbst

Negative Kritik ertragen ist auch eine Kunst, doch die beherrscht er weniger: Ballettdirektor Marco Goecke Foto: christoph gateau/ picture alliance

Von Benno Schirrmeister

Hundsscheiße kommt eher selten im Theater vor, außer in Bertolt Brechts „Johanna“ natürlich, und da nur ohne das Fugen-e, aber mit Fugen-s: das dort imaginierte größte Gebäude der Welt wurde versehentlich und weil’s billig war, aus Hundescheiße erbaut. Theodor W. Adorno hatte dieses Gebäude als Palast der Kultur gedeutet – um Kultur insgesamt zu skandalisieren.

Vielleicht auch, um über den Skandal der Kunst nicht allzu sehr nachzudenken, produziert sie zuverlässig immer mal wieder Skandale, in diesem Fall mit dem Kot des Dackels vom hannoverschen Ballettdirektor.

Dessen Exkremente hat Marco Goecke, der FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster ins Gesicht geschmiert. Das macht ziemlich sprachlos, zumal es sich eher nicht, wie in Jackie Thomaes Roman „Brüder“, wo ein ähnlicher Angriff geschildert wird, um eine Tat im Affekt gehandelt haben dürfte.

Im Theater sind Hunde nicht zugelassen. Goecke muss den Kot mitgebracht haben zur Premiere der neuen Produktion „Glaube, Liebe, Hoffnung“, die aus den drei Einaktern „Milk“, „Sway“ und „Hello Earth“ besteht.

Sie stammen von Goecke selbst und zwei anderen Choreografen. Über deren künstlerischen Wert will nun keiner mehr Näheres erfahren. Es wäre kaum möglich, darüber zu schreiben, ohne den Angriff zu thematisieren, der strafrechtlich zu verfolgen sein wird.

Die Macher der anderen Akte können darüber nicht glücklich sein. Der von Guillaume Hulot stammende erste Akt des Stücks mit dem Titel „Milk“ wurde in Hannover uraufgeführt und geht nun womöglich wegen des Eklats völlig unter. Kollegial würde man das nicht gerade nennen.

Vor allem muss man kein Prophet sein, um zu sagen: Mit der Aktion hat der Künstler Goecke verkackt. Für immer. Es ist ohnehin rückblickend fragwürdig, wie jemand, der seine Aggressionen gegenüber einer Frau offenbar so hemmungslos öffentlich auszuleben bereit ist, mit ihm anvetrauten jungen Tän­ze­r*in­nen so lange so unfallfrei und so ergiebig hat zusammenarbeiten können.

Dass jemand, der Menschen mit Scheiße beschmiert, um sich zu rächen, von einer Staatsoper weiter geduldet werden kann, war kaum vorstellbar. Am Montag Nachmittag suspendierte das Haus seinen Direktor. Der körperverletzende Angriff ist ein derart schrilles Signal, dass es auch das Lebenswerk dieses zurecht gefeierten Ballettkünstlers für immer übertönt: Als „Poet des Tanzes“ hatte ihn der SWR in einem einfühlsamen Porträt gehuldigt, regelrecht betrauert worden war sein Abschied von Stuttgart, wo er seit 2005 12 Jahre lang als Hauschoreograf eine eigene Handschrift entwickelt hatte.

Weltweit sind seine Arbeiten nachgefragt gewesen, er hat in Tel Aviv, Den Haag und New York Regie geführt. Und seit er in Hannover Chef der Tanzsparte geworden war, hatte ihn, mit Ausnahme von Wiebke Hüster, auch das deutsche Feuilleton bejubelt und gefeiert, fast unisono: Nach der Saison 2021/2022 war er in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Tanz zum Choreograf des Jahres gekürt worden, ein schönes Geschenk zum 50. Geburtstag. Ein Höhepunkt.

Als ein „Poet des Tanzes“ hatte ihm der SWR in einem einfühlsamen Porträt gehuldigt

Doch das war’s jetzt für ihn. Niemand wird mehr ein Ballett von ihm anschauen können, niemand überhaupt mehr den Namen Goecke hören, ohne an Goeckes Dackel Gustav zu denken: Auch wenn er die rechtliche Dimension seiner Tat nicht richtig beurteilt haben sollte – mindestens das hätte ihm, als jemand, der sich beruflich mit Inszenierungen beschäftigt, klar sein müssen.

Das ist tragisch, weil für die, die seinen Stil mochten, die Produktionen ohne Scheiß immer gut, oft sensationell waren – wichtige Stellungnahmen zur Lage der Tanznation und in dieser so muffigen Sparte, die an den ganz großen Häusern tatsächlich noch Schrittfolgen des 19. Jahrhunderts als Gipfel der Kunst präsentiert, ungewohnt und kompromisslos gegenwartsbezogen: Offenkundig, dass Hüster Goeckes Ideen und Stil abgelehnt hat. Immer wieder.

Wer ihre Kritiken von Goeckes Arbeiten liest, wird verstehen, dass sie als persönliche Angriffe interpretiert werden können: Was der Wert einer Kritik ist, die mechanisch eine Ablehnung wiederholt, darüber hätte man vor dem Attentat diskutieren können. Und sich fragen, ob in den Verrissen ein echter Vernichtungswille mitschwingt. So hat Goecke ihn verwirklicht: Der Mann hat sich selbst zerstört.