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„Das ist ausgrenzend“

Parkplätze? Auch Projekte der Mobilitätswende können Menschen behindern. Doch bis jetzt wird darüber wenig gesprochen, kritisiert die Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin

Interview Claudius Prößer

taz: Frau Bendzuck, wie viele Menschen in Berlin sind in ihrer Mobilität eingeschränkt?

Gerlinde Bendzuck: Das lässt sich nur schätzen. Es gibt eine halbe Million Menschen mit Behinderungen, da sind aber diejenigen nicht dabei, die kein amtliches Feststellungsverfahren zur Ermittlung eines Behinderungsgrads durchlaufen haben. Viele davon, weil sie schon älter und nicht gut vernetzt sind oder den Gang aufs Amt scheuen. Und dann gibt es noch Menschen, die sich ein Bein gebrochen haben, oder Familien mit kleinen Kindern. Insofern ist die Zahl nicht aus der Luft gegriffen, dass ein Drittel aller BerlinerInnen eine mindestens temporäre Mobilitätsbeeinträchtigung hat.

Vor Kurzem hat der Mobilitätsausschuss InklusionsexpertInnen angehört, unter anderem Sie. Deutlich wurde dabei, dass die Verkehrswende neue Barrieren schafft – zumindest gibt es diese Sorge. Ein zentraler Aspekt dabei sind Parkplätze. So wird es anscheinend schwieriger, als Mensch mit Behinderung einen individuellen Parkplatz zu bekommen.

Gerlinde Bendzuck: Anspruch auf einen personengebundenen Parkplatz hat man nur mit dem sogenannten aG-Ausweis, was für „außergewöhnliche Gehbehinderung“ steht. In der Praxis ist die Voraussetzung mindestens eine doppelte Unterschenkelamputation, also schwerste Einschränkungen. Viele Bezirksämter handhaben die Verordnung so restriktiv, dass beispielsweise Menschen mit einer schweren Herzkrankheit, die nur ein paar Schritte gehen können, kaum Chancen auf einen solchen Ausweis haben. Im Rahmen unserer Antidiskriminierungsberatung erfahren wir regelmäßig von solchen Fällen. Und den Tausenden von Long-Covid-Betroffenen wird es nicht anders gehen.

Thomas Seerig: Ich finde die unterschiedliche Genehmigungspraxis der Bezirke sehr fragwürdig. Es kann passieren, dass Sie einen individuellen Parkplatz haben, aber keinen mehr bekommen, wenn Sie in einen anderen Bezirk umziehen. Und es kommt auch dazu, dass eine Straßenverkehrsbehörde den Bedarf anhand der Parkplatzsituation prüft – nach dem Motto: „Wenn es sowieso genug freie Parkplätze gibt, brauchst du keinen eigenen.“ Das führt unter Umständen zu kuriosen Situationen. Ich wohne am Schlachtensee, da habe ich vor meiner Haustür an 315 Tagen im Jahr kein Problem. Ich habe nur eines, wenn das Wetter schön ist. Wenn ich dann überhaupt einen Parkplatz finde, liegt der so weit weg, dass auch Menschen ohne Beeinträchtigung zehn Minuten zu Fuß brauchen. Zugegebenermaßen würde aber wohl auch ein reservierter Parkplatz rücksichtslos zugeparkt werden.

Es liegt an der Praxis der Ämter, nicht an veränderten Zielzahlen oder Ähnlichem?

Thomas Seerig: Das kann schon deswegen nicht sein, weil die Ämter gar keinen Überblick haben. In der letzten Legislaturperiode habe ich als Abgeordneter über den Senat angefragt, wie sich die Anzahl der personengebundenen Parkplätze entwickelt hat. Die Antwort der Bezirke lautete: Wissen wir nicht. Aber wer soll das wissen, wenn nicht das Straßenverkehrsamt? Übrigens müssen Sie für einen personengebundenen Parkplatz auch ein eigenes Auto besitzen. Das schließt die Nutzung von Carsharing aus, und wenn Sie einen freundlichen Nachbarn haben, der Sie öfters mal fährt, gilt das auch nicht.

Gerlinde Bendzuck: Es betrifft auch viele, die Eingliederungshilfen beziehen – Menschen, die in der Einkommensfalle stecken, weil sie vielleicht eine psychische Erkrankung haben und nun aufgrund ihrer Erkrankung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind. Viele haben mal den Führerschein gemacht und sind auch fahrfähig, haben aber schon wegen der Anrechnung von Einkünften und Vermögen große Probleme, ein Fahrzeug zu halten bzw. zu erwerben. Auch wenn sie sich im ÖPNV unwohl fühlen, weil es dort eng ist und unvorhergesehene Situationen auftreten, haben sie nach geltender Gesetzgebung bzw. -auslegung 0,0 Chancen auf einen personengebundenen Parkplatz.

Wenn ich es richtig verstehe, macht Ihnen auch der Trend zum Kiezblock Sorgen.

Thomas Seerig

1960 geboren, gehört ebenfalls dem Vorstand der LV Selbsthilfe Berlin an. Diplom-Kaufmann; im Management eines Trägers der Jugendarbeit tätig. Als FDP-Politiker von 1990–95 sowie von 2016–21 im Abgeordnetenhaus.

Gerlinde Bendzuck: Unter den übrigen Aspekten – Sicherheit für zu Fuß Gehende, Aufenthaltsqualität, Klimaschutz – sind Kiezblocks eine super Idee. Aber wenn man sich als Mensch mit einer Behinderung in der ganzen Stadt autonom und spontan bewegen will, möchte man natürlich auch Menschen in diesen Kiezblocks besuchen. Im Rahmen der Sozialmobilität braucht es in diesen geschützten Räumen geregelte Bedingungen für Personengruppen, die darauf angewiesen sind. Das gilt natürlich auch für andere Kfz-Fahrende, etwa Pflegedienste. Für sie alle sollte es ein niedrigschwelliges Antragsverfahren geben. Bislang haben wir weder von der Senatsverwaltung noch von den Bezirken konkrete Angaben bekommen, wie das geregelt werden kann, bevor diese Projekte starten. Aber diese Lernprozesse dürfen nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden.

Thomas Seerig: Dass viele Anwohnende in solchen Zonen auf Parkplätze angewiesen sind, ist vielleicht in der Verkehrsverwaltung angekommen. Das Problem des gelegentlichen Verkehrs, ob für ein privates Treffen oder einen Praxisbesuch, noch nicht so ganz.

Gerlinde Bendzuck: Da werden benachbarte Parkhäuser angemietet – alles schick für die meisten, aber verschiedene sehr vulnerable Zielgruppen fallen hinten runter. Ich halte das für einen Diskriminierungstatbestand, gegen den Verbände wie unserer in Bezug auf Vorenthaltung angemessener Vorkehrungen klagen können.

Gerlinde Bendzuck

Jahrgang 1967, ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Landesvereinigung (LV) Selbsthilfe Berlin, dem Dachverband der Berliner Selbsthilfeorganisationen. Beruflich betreibt sie das Institut für Kultur-Markt-Forschung, engagiert sich daneben außer bei der LV Selbsthilfe bei weiteren Verbänden, u. a. im Vorstand der Rheuma-Liga Bundesverband und ist Teil des Präsidiums des Berliner Behindertenparlaments.

Was ich noch gelernt habe: Für Menschen mit Behinderung, ob sie nun selbst Auto fahren oder gefahren werden, kann es ein Problem sein, wenn Hauptstraßen mit geschützten Radspuren ausgestattet werden und die Haltemöglichkeiten wegfallen.

Gerlinde Bendzuck: Ja, und wer wohnt an so einer vielbefahrenen und lauten Hauptstraße? Wieder mal die nicht so Zahlungskräftigen, die anderswo nichts finden. Ich selbst bin übrigens begeisterte Nutzerin der Protected Bike Lanes, ich habe ein elektrisches Zuggerät für meinen Rollstuhl. Aber wenn ich mich in die Anfangsjahre meiner rheumatischen Erkrankung zurückversetze … In Berlin gibt es rund 70.000 Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, dazu kommen degenerative Erkrankungen, 10 Prozent der Gesamtbevölkerung haben Arthrose – da tut jeder Schritt weh, da sind 200 Meter eine lange Strecke. Wenn ich dann an so einer Straße wohne und man sagt mir, na, du musst ja nur zweimal um die Ecke, da ist vielleicht ein Parkplatz für dich, dann ist das ausgrenzend.

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