Leere Bäuche, volle Häfen

Ägypten gehen die Dollardevisen aus: Importe können nicht mehr bezahlt werden, die Preise – auch für Lebensmittel – steigen rasant. Die Regierung hofft auf Hilfe aus dem Golf

Ein Mann verkauft Mais an der Straße

Auch bei Grundnahrungsmitteln steigt der Preis, benötigt werden sie trotzdem: ein Maisverkäufer in Kairo am 16. Januar Foto: Khaled Desouki/afp

Aus Kairo Karim El-Gawhary

Hassan Ahmad, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung sehen will, arbeitet als Lieferbote in Kairo. Er ist verzweifelt. Er und seine vierköpfige Familie gehören zu jenem Drittel der ägyptischen Bevölkerung, das nach offiziellen Zahlen mit weniger als einem Euro am Tag unter der Armutsgrenze lebt. Auf Facebook, erzählt er sichtlich schockiert, habe er ein Video von einem mehrfachen Vater gesehen, der sich den Balkon herunterstürzte, weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte. Bei vielen Familien gebe es nur noch eine Mahlzeit pro Tag, sagt Hassan. Auf jedem Markt, auf den er gehe, gebe es Streit wegen der Preise.

Hassan ist kein Einzelfall in Ägypten. Seit Mitte Januar, als die ägyptische Währung um weitere 13 Prozent gegenüber dem US-Dollar abgewertet wurde, gibt es in der Hauptstadt Kairo nur ein Thema: die Preissteigerungen.

Die katastrophale wirtschaftliche Lage im Libanon hat es in letzter Zeit immer wieder in die Schlagzeilen geschafft, manchmal auch die leeren Supermarktregale in Tunesien. Doch nun steht mit Ägypten das bevölkerungsreichste arabische Land mit seinen über 100 Millionen Einwohnern vor enormen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen.

Die ägyptische Währung hat seit vergangenem März die Hälfte ihres Wertes verloren. Die Menschen kämpfen mit einer Inflationsrate von über zwanzig Prozent. Für das erste Quartal 2023 haben einige Ökonomen sogar fünfundzwanzig Prozent prognostiziert.

Besonders dramatisch sind die Preissteigerungen bei Lebensmitteln. Die sind im letzten Jahr im Schnitt um mehr als ein Drittel teurer geworden – bei anhaltend niedrigen Löhnen für die Mehrheit der Ägypter. Der Grund für die Entwertung des Pfundes: Dem ägyptischen Staat gehen die Dollar aus.

Auf 155 Milliarden Dollar belaufen sich dessen Schulden und Zinsdienste im laufenden Finanzjahr, berichtet die arabische Bloomberg-Publikation Asharq. Linderung sollte ein mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 46 Monate verteilter Kredit geben, dessen erste Tranche von über 300 Millionen Dollar allerdings fast von den Schulden aufgefressen wurde.

Die negative Handelsbilanz trägt das ihre dazu bei. Laut der Tageszeitung Al-Shoruk sitzen derzeit in ägyptischen Häfen Waren im Wert zwischen 6 und 7,7 Milliarden Dollar fest. Da es im Bankensystem nicht genug Dollar gibt, können die Waren nicht ausgelöst werden. Die Entwertung des Pfundes sorgt hier aber für etwas Erleichterung. Laut der Zentralbank sind seitdem 925 Millionen Dollar auf den Markt geflossen.

Der ehemalige Militärchef und heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat die Schuld immer wieder von sich gewiesen und den Ukrainekrieg und die Coronapandemie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht. Er ruft sein Volk auf, nicht in Panik zu verfallen. „Schwätzt nicht so viel Unsinn“, forderte er in einer Rede von seinen Landsleuten. Stattdessen sollten die Ägypter auf ihn und seine Minister hören, führte er weiter aus.

Doch die Kritik im Land wird immer lauter, selbst im Parlament, das dem Präsidenten gegenüber als hörig gilt. „Seit Jahren haben wir davor gewarnt: Wenn ihr so weiter macht, werden wir am Ende mit dem Rücken zur Wand stehen und genau das passiert jetzt“, erklärte die stellvertretende Sprecherin Maha Abdel Nasser in einer Rede im Parlament.

Auch so manche Aussage von Regierungsvertretern, die versuchen, die Lage schönzureden, lässt sie nicht gelten. „Als würden viele sich nur vorstellen, dass sie nicht mehr genug Essen kaufen können, als ob der Dollar nur in ihrer Fantasie in den Himmel geschossen ist“, sagte Abdel Nasser.

Auch wenn die Regierung die Krise auf äußere Faktoren schiebt: Viele Ökonomen sehen das Ganze als hausgemachte Krise. Teure Prestigeprojekte wie der noch nicht fertige Bau einer neuen Hauptstadt haben die Dollarreserven des Landes zusammenschmelzen lassen.

Und selbst wenn Hilfe aus dem Ausland kommt, ist sie inzwischen an härtere Bedingungen geknüpft. Der IWF etwa fordert „kritische strukturelle Veränderungen“. Für weitere Kredite verlangt er erstmals, dass sich das Militär aus der Wirtschaft zurückzieht.

Denn in den letzten Jahren ist die Armee zu einem der größten Unternehmer im Land in zahlreichen Sektoren der Wirtschaft avanciert und hat den Privatsektor zurückgedrängt. Es dürfte al-Sisi nicht einfach fallen, hier zum Rückzug zu blasen, da das die Institution angreift, die seine wichtigste Machtbasis darstellt.

Bleibt die Hoffnung auf Hilfe aus den reichen Golfstaaten, die fürchten, dass Instabilität im bevölkerungsreichsten arabischen Land auch ihre autokratischen politischen Systeme gefährden könnte. Die haben zumindest klar gemacht, dass sie ihre Einlagen in der ägyptischen Zen­tralbank in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar verlängern.

Aber frisches Geld vom Golf ist alles andere als garantiert. Die Golfstaaten kaufen derzeit lieber profitable ägyptische Unternehmen auf, als ihr Geld in das schwarze Loch des Staates zu stecken. Inzwischen wird auch öffentlich diskutiert, ob es weise ist, Ägypten mit mehr Geld zu versorgen. Osama al-Schahin etwa, ein kuwaitischer Parlamentarier, warnte seine Regierung, blind weiteres Geld in die ägyptische Wirtschaft zu stecken, und forderte, dass die dort eingelegten öffentlichen kuwaitischen Gelder wieder abgezogen werden.

Für die Regierenden in Ägypten bedeutet das alles eine Gratwanderung. Nach innen müssen sie die Probleme herunterspielen und beruhigen, nach außen, vor allem in Richtung der Golfstaaten, aber auch gegenüber internationalen Institutionen müssen sie die Dramatik der Lage betonen – in der Hoffnung, dass diese Ägypten als zu groß erachten, um es wirtschaftlich abstürzen zu lassen.

lebensmittelkrise in nordafrika
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