Kunstprojekt „Edit Wars“ in Bremen: Künstlerische Intelligenz

Russland setzt auf Fehlinformationen und Hetze. Die Bremer Gruppe „Edit Wars“ hat die Propaganda mit KI analysiert und künstlerisch interpretiert.

In einem leeren Raum steht ein quadratisch angeordneter Zaun. An diesem sind Diagramme angebracht.

Propaganda und ihre Grenzen: die audiovisuelle Rauminstallation des Projekts Edit Wars in Bremen Foto: Lucy Saribegyan

BREMEN taz | Bildende Kunst, Datenanalyse und Journalismus sind Bereiche, die selten zusammengedacht werden. Mit einem Ausgangspunkt in der Medienforschung soll eine Ausstellung in Bremen nun zeigen, wie die Synthese von Wissenschaft und Kunst nicht nur informativ, sondern auch zukunftsweisend sein kann. Die Gruppe Edit Wars zeigt noch bis zum 5. Februar im Bremer Güterbahnhof ihre Rauminstallation „Propaganda narrative soundscapes“.

Zur sechsköpfigen Grup­pe Edit Wars gehören Medienkünstler*innen, Web-Ent­wickler*innen und -Desig­ner*innen der Hochschule für Künste Bremen. Dazu kommen Da­ten­ana­ly­ti­ke­r*in­nen aus Georgien.

Mit ihrem Namen bezieht sich Edit Wars auf die politische Einflussnahme auf redaktionelle Prozesse als Kern­aspekt der Verbreitung von Kriegsrhetoriken. Ziel ist es, auf internationaler Ebene Bewusstsein für die einseitige Kriegsrhetorik russischer Medien zu schaffen und Propagandatechniken des russischen Staats seit dem Angriff auf die Ukraine zu analysieren und zu dekonstruieren.

Für das Team war wichtig zu begreifen, dass Medienpolitik eine Schlüsselkomponente dafür ist, wie über Ereignisse berichtet wird, so Slava Viacheslav Romanov, einer der Künst­le­r*in­nen des Projekts. Zunächst, so Romanov, hätten sie propagandistische russische Medien analysiert. „Viele aggressive Aussagen, viele Lügen“, so der Student, der sich viel mit Menschenrechten in Russland auseinandergesetzt hat.

Mit maschinenlernenden Tools hat „Edit Wars“ 250,000 Nachrichten russischsprachiger Medien analysiert

Um die Unmengen von Schlagzeilen zu bearbeiten, nutzte die Gruppe sowohl Künstliche Intelligenz als auch qualitative Methoden. Das Team analysiert also nicht nur große Datensätze in der Masse, sondern kombiniert diese Analyse auch mit der Interpretation einzelner Beispiele.

Grundlage der Daten ist das Projekt GDELT, eine offene Datenbank, die täglich Nachrichten aus aller Welt in Print-, Rundfunk-, und Webformaten in über 100 Sprachen erfasst. Mit dessen „Global Difference Graph“ hat Edit Wars 250.000 Nachrichten russischsprachiger Medien analysiert, mit maschinenlernenden Tools wie dem BERTopic-Algorithmus wurden die Daten in Cluster geordnet, um relevante Themen und die Dynamik ihrer Veränderung zu erfassen. Mit dem Tool Tableau wurden typische Worte und Phrasen der Propaganda herausgefiltert. Die Ergebnisse wurden schließlich in einem Netzwerk-Graphen visualisiert.

„Propaganda Narrative Soundscapes – deconstructing propaganda through data and art“: bis So, 5. 2., je 17–21 Uhr, Tor 40 (Güterbahnhof), Bremen. Eintritt frei. Infos und Ergebnisse der Analyse: editwars.org

Die Erkenntnisse aus der Datenforschung veröffentlicht Edit Wars auf der Webseite editwars.org. Dort finden sich die gängigsten und aggressivsten Narrative russischer Propaganda über den laufenden Krieg, beispielsweise, dass die Ukraine ein Nazi-Staat sei. Oder dass die von Europa verhängten Wirtschaftssanktionen keine Wirkung zeigten. „Unsere Aufgabe bestand darin, diese Narrative zu entlarven und zu sehen, wie sie sich in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 weiterentwickelten oder sonst veränderten“, sagt Romanov.

Der zweite Teil der Arbeit habe darin bestanden, einen Weg zu finden, die wichtigsten Ergebnisse künstlerisch zu interpretieren. Die Ausstellung am Güterbahnhof sei als audiovisuelle Rauminstallation zum Mitmachen angelegt, um eine Verbindung zwischen verschiedenen Wahrnehmungen von Propaganda herzustellen. Auf der einen Seite stünden die Menschen jenseits der russischen Grenzen, erklärt Romanov, auf der anderen Seite stünden diejenigen, die der Propaganda permanent ausgesetzt sind und keinen Zugang zu alternativen Sichtweisen haben.

Im deutschen Kontext wird der Begriff der Propaganda immer mit der Verbreitung von rassen­ideologischem Gedankengut des Nazi-Regimes verbunden. Wie mächtig dessen Methoden waren, verdeutlichen nicht nur die furchtbaren Verbrechen, die von der deutschen Bevölkerung getragen wurden. Auch im heutigen Sprachgebrauch zeigt sich noch immer, wie stark das kollektive Bewusstsein durch Hetze und Fehlinformation beeinflusst wurde.

Ein Aspekt, der heute im historischen Vergleich zu vorherigen Propagandastrategien hinzukommt, ist der Prozess der Digitalisierung. Durch sie seien wir konfrontiert mit einem „Informationsfluss, der konstant und fast unmittelbar wurde“, so Romanov. Die beabsichtigte Überschwemmung der Medien mit widersprüchlichen Informationen trage, davon ist er überzeugt, zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit bei. Auch das Vertrauen in Behörden und Grundrechte wie Redefreiheit seien bedroht.

Die Kunst wiederum sei eine Möglichkeit, gegen den Strom der Falschinformation anzuschwimmen und dort zu intervenieren, wo die Politik bislang scheitert – oder selbst verantwortlich ist. Perspektivisch will die Gruppe weiterforschen und ihre Ergebnisse veröffentlichen, um Handlungspotenziale sichtbar zu machen. Romanov: „Manchmal kann die Kunst schneller handeln, als es das Gesetz je könnte“.

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