Regelabfrage beim Verfassungsschutz: Kein Gesinnungs-TÜV für Richter

In Niedersachsen will die CDU Rich­te­r*in­nen vom Verfassungsschutz überprüfen lassen. SPD und Grüne sagen Nein und erinnern an den Radikalenerlass.

Historisches schwarz-weiß Bild einer Demo gegen den Radikalenerlass in den 70er Jahren.

Protest gegen Radikalenerlass in den 70ern – Betroffene kämpfen bis heute um Rehabilitation Foto: Rolf Haid/dpa

HANNOVER taz | Eigentlich haben die aktuellen Ereignisse der CDU doch in die Karten gespielt: Im Dezember bei der großen Reichsbürger-Razzia ist schließlich auch die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin am Landgericht Berlin, Birgit Malsack-Winkemann, festgenommen worden.

Noch so ein Problemfall im Justizapparat, nachdem ja auch schon die angestrebte Rückkehr des offen rechtsextremen AfD-Abgeordneten Jens Maier in sein Richteramt in Sachsen für Aufregung gesorgt hatte. Und in Niedersachsen wurde obendrein bekannt, dass sich ein Familienrichter früher in rechtsextremen Organisationen getummelt hatte.

Gute Gründe also beim Einstellungsverfahren für Richter*in­nen nachzuschärfen? Die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag sieht das so und hat schon zu Beginn des vergangenen Jahres eine entsprechende Gesetzesinitiative angekündigt. Solange sie noch an der Regierung beteiligt war, kam die allerdings nicht mehr zu Stande.

Nun legte die CDU als Oppositionspartei einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Wichtigster Punkt: Angehende Rich­te­r*in­nen sollten künftig mit einer sogenannten Regelabfrage beim Verfassungsschutz überprüft werden – wie es für Po­li­zis­t*in­nen auch schon vorgeschrieben ist.Das soll, betont der justizpolitische Sprecher der CDU, kein neuer Radikalenerlass werden. Man wolle, so Christian Calderone, ein rechtlich einwandfreies, transparentes Verfahren schaffen, dass im Zweifelsfall auch gerichtlich überprüft werden könne.

Spätere Radikalisierungen werden nicht erfasst

Die rot-grüne Mehrheit im Parlament positioniert sich trotzdem dagegen. Die Erkenntnisse beispielsweise über die Reichsbürgerbewegung zeigten doch, dass die Radikalisierung oft erst später erfolge, sagt etwa Evrim Camuz von den Grünen.

Es ginge da um gescheiterte Existenzen, Männer in den 40er- oder 50er-Jahren ihres Lebens – da helfen Überprüfungen bei der Einstellung nun einmal nicht viel.

Auch Jan Schröder von der SPD glaubt, dass Verfassungsschutzerkenntnisse, die immer nur eine Momentaufnahme darstellten, niemals hinreichend transparent gemacht werden könnten. Erfahrungsgemäß möchte sich der Dienst ja nicht allzu tief in die Karten gucken lassen.

Im Übrigen setzt Schröder quasi auf die Selbstheilungskräfte des Apparates: Auf dem langen Weg zum Richteramt, wo immer wieder Beurteilungen durch Vorgesetzte fällig werden, müsste es auf anderem Wege möglich sein, ungeeignete Be­wer­be­r*in­nen herauszufiltern.

Betroffene kämpfen bis heute um Wiedergutmachung

Beide verweisen zudem auf die schlechten historischen Erfahrungen mit dem Radikalenerlass. Ab 1972 waren damit – vor allem linke – Be­wer­be­r*in­nen aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten worden, die man verdächtigte, staatsfeindliche Gesinnungen zu haben.

Das geschah zum Teil auf höchst wackliger Grundlage, wie spätere Gerichtsurteile feststellten, aber mit weitreichenden Auswirkungen: Betroffen waren viele Lehrer*innen, aber auch Post- und Bahnbeamte. Für sie alle kam das häufig einem Berufsverbot gleich.

Erst unter der ersten rot-grünen Landesregierung unter Gerhard Schröder in den 1990er-Jahren wurde diese Praxis eingestellt. Die Opfer dieser Regelung kämpfen allerdings noch immer um eine Wiedergutmachung.

Zwar hatte der niedersächsische Landtag – damals wegweisend – 2017 eine Kommission zur Aufarbeitung unter der Leitung der SPD-Politikerin Jutta Rübke eingesetzt und das Unrecht eingestanden. Mehr als warme Worte erwuchsen daraus aber nicht.

Am kommenden Freitagmittag, 27. Januar, wollen insgesamt 17 Betroffene individuelle Petitionen vor dem Landtag an die Leiterin des Petitionsausschusses übergeben. Sie fordern, dass sich der Landtag noch einmal ausführlich mit dem Bericht der Rübke-Kommission befasst und einen Runden Tisch einrichtet, der sich mit der Rehabilitation und Entschädigung befasst. Außerdem soll das Thema Eingang in die politische Bildung finden.

Bundesweit hatte es in den 1970er- und 1980er-Jahren etwa 11.000 Verfahren zum Berufsverbot und rund 2.200 Disziplinarverfahren gegeben. In 1.256 Fällen sollen Bewerber*in­nen aufgrund des Erlasses abgelehnt und 265 Menschen aus dem Dienst entlassen worden sein. Eine Vielzahl der Betroffenen habe bis heute erhebliche materielle Nachteile, etwa in der Altersversorgung, erklärt die „Niedersächsische Initiative gegen Berufsverbote“.

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