Einpeitschen am Heiligtum in Jerusalem

Israels neuer Minister für nationale Sicherheit, der rechtsextreme Itamar Ben-Gvir, besucht den Tempelberg. Das ist als Provokation gemeint und wird auch so wahrgenommen

Israelische Polizisten eskortieren jüdische Besucher zum Gelände der Al-Aksa-­Moschee Foto: Maya Alleruzzo/dpa

Aus Tel Aviv Judith Poppe

Es war eine seiner ersten Amtshandlungen: Der neue israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, besuchte am Dienstagmorgen den Tempelberg in Jerusalem. Der Chef der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke machte damit klar, dass er auch in seiner Funktion als Minister seine Agenda durchziehen und den dort herrschenden Status quo verändern will.

Der Tempelberg, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ist einer der am meisten umkämpften Orte im palästinensisch-israelischen Konflikt. Für Jü­d*in­nen ist der Berg heilig, weil dort bis zu seiner Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. der Zweite Tempel stand. Mit der Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum Sehnsuchtsort vieler Jü­d*in­nen wurde. Im Islam stellt er die dritthei­ligste Stätte dar. Das Gelände ist außerdem zu einem Symbol eines erhofften palästinensischen Staates geworden und verbindet die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Gazastreifen, im Westjordanland, Israel und weltweit symbolisch miteinander.

Die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert und sich den Schutz von Al-Aksa auf die Fahnen geschrieben hat, warnte, dass der Tempelberg-Besuch „die Situation in die Luft jagen“ werde. Auch die palästinensische Autonomiebehörde kritisierte ihn als „beispiellose Provokation“. Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid und verschiedene ­israelische Nichtregierungs­organisationen verurteilten den Besuch ebenfalls scharf. „Ben-Gvir ist an einer Eskalation interessiert“, erklärte Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem konzentriert. „Ben-Gvir hat in der Vergangenheit erklärt, dass die Moscheen auf dem Tempelberg vorüber­gehend seien. Sein politisches Lager glaubt, dass Eskalation der Weg ist, um ihre Ziele zur jüdischen Vorherrschaft auch auf dem Tempelberg durchzusetzen – jüdische Vorherrschaft, so wie sie in der Koalitionsvereinbarung dieser neuen extrem rechten Regierung festgehalten ist“, so Tatarsky.

Nach dem Besuch twitterte Ben-Gvir: „Die israelische Regierung, der ich angehöre, wird sich einer abscheulichen Mordorganisation nicht ergeben. […] Wenn die Hamas denkt, dass sie mich abschrecken wird, wenn sie mich bedroht, dann lasst sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben.“ Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zu dem Tempelberg-Besuch seines Ministers zunächst nicht, aber am Dienstag wurde bekannt, dass er nicht wie geplant nächste Woche nach Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) fliegen wird. Es wäre der erste öffentliche Besuch des neuen Regierungschefs in dem Golfstaat gewesen. Der Tempelberg-Besuch stieß international, auch in den Emiraten auf breite Ablehnung.

Verwaltet wird der Tempelberg von der jordanischen Waqf-Stiftung. Derzeit gilt laut ungeschriebenem Status quo, dass nur Muslime auf dem Tempelberg beten dürfen. Nichtmuslime dürfen den Tempelberg zu bestimmten Zeiten besuchen, jedoch nicht dort beten.

Besuche von jüdisch-israelischen Po­li­ti­ke­r*in­nen auf dem Plateau werden von palästinensischer Seite als besondere Provokation und als Bedrohung des Status quo verstanden. Gleichwohl setzen seit einigen Jahren verschiedene extrem rechte jüdische Knessetabgeordnete den Tempelberg als Priorität und besuchen den Ort regelmäßig – sie müssen diese jedoch zuvor genehmigen lassen. Zuletzt besuchte Ben-Gvir den Tempelberg im vergangenen März, als er noch nicht Teil der Regierungskoalition von Benjamin Netanjahu war.

Mit Sorge blicken viele Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nun auf das kommende Frühjahr. Wie schon 2022 überschneiden sich Ramadan und Pessach im April. Ramadan ist für gewöhnlich ohnehin eine Zeit erhöhter Spannung in Jerusalem, zumal wenn er mit dem höchsten jüdischen Fest zusammenfällt.