Amna Elhassan in der Schirn Frankfurt: Zeitgenössisches Schlachtengemälde
Sie bespielt die Rotunde der Schirn mit überzeichneten Frauenkörpern. So holt Elhassan die Ereignisse ihres Heimatlandes nach Frankfurt.
Die Handschrift der Architektin meint man zu erkennen in diesen üppigen Figurationen. Ausgesprochen grafisch sind ihre Protagonistinnen (und wenige Protagonisten), oft mit scharfen Konturen, satten Farben, die allerdings im Druck stellenweise fleckiger werden können, sich gegenseitig überfärben, geradezu miteinander in Konkurrenz treten. Es sind Zustände der Transformation, die die Künstlerin interessieren. Gesellschaftliche Umbrüche, aber auch psychologische, individuelle, spirituelle, heißt es im Ausstellungstext dazu.
Die Frankfurter Schirn zeigt „Deconstructed Bodies – In Search of Home“ von Amna Elhassan in ihrem kleinsten, architektonisch aber auch spannendsten Ausstellungsraum – der Rotunde. Frei zugänglich, mit 360-Grad-Glaspanorama an der Außenseite des Museumskomplexes. Die sudanesische Künstlerin bespielt sie in einer für diesen Ort eher ungewöhnlichen Form. Mit einer fast schon klassischen Kabinettausstellung im Rundgang und einer großflächigen Glasbemalung an der Außenfassade, durch die man nun von innen durchblicken kann.
Amna Elhassan: „Deconstructed Bodies – In Search of Home“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 12. Februar 2023. Katalog 12 Euro
Elhassan wurde 1988 in Khartum geboren und ließ sich als Architektin im Sudan und in Italien ausbilden. Die prodemokratischen Aufstände im Land und deren brutale Niederschlagung im Jahr 2019 haben sie zur Kunst geführt. Klein- bis mittelformatige Malereien und Drucke, gefertigt aus Stempeln auf Papier, zeigen Menschen und oftmals komische Alltagsbeobachtungen.
Und kaum überraschend sind es wieder die Frauen, die im Fokus stehen, die Akteurinnen sind: Die Künstlerin zeigt sie in schillernden Porträts, beim gegenseitigen Haaremachen, mit gezwungenem Zahnpastalächeln bei der Hochzeit. Gliedmaßen und Körperpartien überzeichnet sie bisweilen, mit extragroßen Hintern, Brüsten, Mündern und Händen.
Die Figurenkonstellation hat etwas von einem Bechdel-Test in reverse: Männer sind hier fast ausnahmslos Staffage. Wenn sie überhaupt vorkommen. Amna Elhassan lässt sie eine Sängerin anhimmeln, einen gesichtslosen Ehemann mimen, einmal zeigt sie uns einen Protagonisten aus der Rückansicht beim Fahren.
Demokratiebewegung im Subtext
Die Demokratiebewegung im Sudan ist Subtext zur Ausstellung: Nach monatelangen Protesten hatte sie zwar den Diktator Omar al-Bashir im April 2019 zu Fall gebracht, doch dieser wurde zugleich von einem Militärrat ersetzt, der Freiheitskampf wurde von den Putschisten brutal unterdrückt. Die Künstlerin rückt politische Ereignisse in den (westlichen) Ausstellungsraum, die dort sonst nicht vorkommen. Ohne Vorwissen sind sie aber nur durch eine entsprechende Erklärung als solche auszumachen.
In diesem Sinne erscheinen auch Elhassans handgeschriebene arabische Texte, die Glasfronten und Ausstellungswände überziehen, dem nichtkundigen Auge wie Kalligrafien, ohne Hilfsmittel nicht entschlüsselbar. Der Clash aus Sujet und Ort, an dem jenes seine Öffentlichkeit erfährt, wird sinnhaft fortgeführt. Wer nicht lesen und entziffern kann, Bild und Text, muss bei Interesse selbst weiter recherchieren.
Wobei man dabei gar nicht unbedingt auf Übersetzungen, wohl aber auf aktuelle politische Entwicklungen im Sudan stoßen kann (gerade noch beschlossen die regierenden Generäle, das Land in eine Demokratie zu überführen). Ist das nicht ein viel besserer, kunstimmanenter Anreiz als lange Erklärungen, die sonst womöglich als ungelesene Wandtexte verhallen?
Die Glasfassade der Rotunde hat die Künstlerin zu einem Panoramabild mit drei Protagonistinnen und dem Nil, Hausfluss Khartums, verwandelt. Hier der direkte Rekurs auf die Proteste im Land und deren Niederschlagung, bei der über Hundert Menschen getötet, unzählige verletzt und vergewaltigt wurden: Eine Frau scheint sich am Nil zu sonnen, eine andere darin zu ertrinken. Gewalt und Hoffnung liegen bei Amna Elhassan nah beieinander. Auch in diesem zeitgenössischen Schlachtengemälde, in dem die Deutungshoheit nicht mehr, wie historisch üblich, den Mächtigen obliegt.
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