Ausstellung von Nhu Xuan Hua: Kuss eines Schwans

Nhu Xuan Hua ist bekannt für ihre Mode- und Porträtfotografie. In Frankfurt zeigt sie nun seltsam surreale Dokumente der Gegenwart.

Eine Frau sitzt rauchend an einem Tisch, auf dem Blumen in einer Vase stehen und Mandarinen legen

Rauchende Heroine: „I’m home late, don’t you care where I’ve been?“ aus der Serie „Honey Babe“, 2020 Foto: Nhu Xuan Hua

Die Mandarine repräsentiert die Mutter, die Auster den Vater, und ein Guss aus Gold, Silber, Grau oder Weiß verheißt größte Wertschätzung für die so erstarrten Dinge. Nhu Xuan Huas Kunst braucht kein Glossar, um visuell rasch in den Bann zu ziehen – aber schaden kann ein gewisses Vorwissen als Einstieg in den symbolisch aufgeladenen Bildkosmos auch nicht.

Sonst könnte man die monochrom einbalsamierten Topfpflanzen, Stoffblumen und Gabentische leicht für eine triste Angelegenheit halten und nicht etwa für höchste Ehrerbietung.

Das Fotografie Forum Frankfurt zeigt „Hug of a Swan“, die erste große Einzelausstellung der vietnamesisch-französischen Künstlerin in Deutschland. Sie vereint fotografisches und fotokünstlerisches Werk, Auftrags- und freie Arbeiten bewusst ebenbürtig. Damit steht Nhu Xuan Hua stellvertretend für eine Generation, der die gestrengen Grenzen künstlerischen Ernsts herzlich egal sind.

Ihre Bilder zieren Kampagnen für Luxushäuser ebenso wie für Editorials: Auf ein Geschwisterpaar lässt sie Krawatten wie Konfetti über bronzefarbenen Grund regnen, eine andere Protagonistin wässert die Geranien oder cremt sich das Gesicht, die Bluse mit dem ikonischen Gucci-Doppel-G verrät den Auftraggeber.

Bilder aus der eigenen Familiengeschichte

Zu den messerscharf Abgelichteten gesellen sich gespenstisch verschwommene Figuren: Es sind die gesichts- und nahezu körperlosen Figuren aus Huas „Tropism“-Serie, die auf gefundenen Bildern aus dem Familienfundus basieren. Nhu Xuan Hua wurde in Frankreich geboren, ihre Eltern flohen vor dem Vietnamkrieg erst nach Belgien, dann ins Land der ehemaligen Kolonisierer. Die bewusste Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte kam für die Künstlerin erst nachträglich, aber mit Macht.

Nhu Xuan Hua: „Hug of a Swan“, Fotografie Forum Frankfurt, bis 9. April

Viele Jahre spürte sie den Menschen auf den Bildern, den intragenerationellen Traumata und der eigenen Sehnsucht nach Verbundenheit nach. Von den Personen, die Hua digital bearbeitet, bleiben nurmehr Silhouetten, die ihre Umgebung durchschimmern lassen. Als ob sie zwischen den Dimensionen von Zeit und Raum hin- und herswitchen, ohne sich je ganz zu materialisieren. Tragisches Manko oder vielmehr Superpower?

Nhu Xuan Hua ist nicht nur Foto-, sondern eine ebenso bildmächtige Raumkünstlerin. Mit schlafwandlerischer Präzision arrangiert sie Sets für ihre Fotografien und hernach noch die Bilder, die dabei entstehen. Ordnung muss sein, dieses Prinzip gefällt ihr auch als künstlerisches.

Das Ergebnis sind Fotoräume, die gleichzeitig hyper-artifiziell wie immersiv sich als Bühnen behaupten: Ein Red Room, der einem Kenneth-Anger-Filmset zur Ehre gereichen würde, tatsächlich aber auf vietnamesische Tempel rekurriert. Die Beletage mit Parkbank und Plastikrasen, Reminiszenz an die Familienwohnung im Pariser Vorort. Materielle Erinnerungsstücke sind wichtig. Das Empfinden der Diaspora ist auch ein ästhetisches.

Foto von einer Familie am Essenstisch, doch die Gesichter der Personen sind ausgeblendet oder überblendet

Diffuse Erinnerung: „Home in Gia Ðinh – Archive from year 72“ Foto: Nhu Xuan Hua

Aneignung von Diskursen

Dass Huas Bilder im Ausstellungsraum hier geradezu neu erscheinen (und im Modekontext deutlich vertrauter), ist aufschlussreich: So eignet man sich im westeuropäischen Kunstbetrieb gern US-amerikanische Diskurse an, ohne dass damit allerdings zugleich ein besonderes Interesse für die spezifischen Lebenswelten der eigenen Länder, hier also die der zweiten oder dritten postmigrantischen Generation, einherginge.

In Nhu Xuan Huas Bildern trifft ein kritischer auf einen liebevollen Blick, wobei ihre Sympathien klar bei der eigenen Familie liegen und bei den Anstrengungen, die Vater und Mutter auf sich nahmen, um den eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Staubtrockener Humor gehört dazu.

Im Celebration Room hängt das Bild einer asiatischstämmigen Heroine. Eisgefrorener Blick, schickstes Kettenkleid, rauchend – Hua inszeniert die Zigarette als Zeichen der Selbstbestimmung, die obligatorische Mandarine darf nicht fehlen. Darunter die Skulptur eines in mattes Grau getauchten Geburtstagstischs, wie ihn die Mutter der Künstlerin bereitete, mit genau abgezählten Flaschen Softdrinks, Kuchen, Leckereien. Vietnamese Style, mit europäischen Gaben darauf.

Alles sei persönlich, sagt Nhu Xuan Hua, die Fashionkampagnen und die freien Arbeiten. Mit dieser Schau habe sie jetzt ein für sie wichtiges Kapitel geschlossen. Im bunt illuminierten Wedding Room mit Karaokebühne, darauf das Porträt einer fantastischen Jadekriegerin, davor hübsch dekorierte Tischhälften zum Niedersitzen, kann man über einen QR-Code den passenden Soundtrack anwerfen.

Vietnamesischer Lambada sei besonders beliebt, erklärt die Künstlerin. Schön nostalgisch. Es ist eine doppelt und dreifach gewundene Nostalgie, die als europäisches Plagiat eines brasilianischen Paartanzes 1989 in Paris auftauchte, einen Bogen über die vietnamesischsprachige Welt schlug und nun also womöglich wieder in Frankreich landet, auf einem vietnamesischen Hochzeitskaraoke.

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