Finanzausgleich in Schleswig-Holstein: 100 Gemeinden gegen das Land

Kommunen in Schleswig-Holstein finden es unfair, wie die Landesregierung Geld unter ihnen verteilt. Jetzt klagen sie vor dem Landesverfassungsgericht.

Ein Luftbild zeigt Wiesen, ein Dorf mit Kirchturm im Hintergrund und Wälder

Weltberühmte Wiesen, aber nur eine „Ländliche Zentrale“: das Dorf Wacken Foto: Axel Heimken/dpa

SCHLESWIG taz | Fritz Blaas, Bürgermeister des Dorfes Barkelsby an der Ostsee, sitzt mit gut zwei Dutzend weiteren Gemeindeoberhäuptern im Zuschauerbereich des Verhandlungssaals in Schleswig, in dem gleich das Landesverfassungsgericht zusammentritt. Blaas vertritt eine von knapp 100 Gemeinden in Schleswig-Holstein, die sich ungerecht behandelt fühlen.

Denn beim Finanzausgleich, mit dem die Regierung landesweit für gleiche Lebensbedingungen sorgen will, erhalten einige Kommunen mehr Geld als andere, weil sie als Zentrale Orte eingestuft sind. Vor dem Landesverfassungsgericht wollen die Gemeinden, rund ein Zehntel aller Orte in Schleswig-Holstein, das Finanzausgleichsgesetz (FAG) prüfen lassen. Im Mittelpunkt stehen Kernfragen: Braucht es Zentralorte und tragen heute die richtigen Gemeinden diesen Titel?

1.600 Ein­woh­ne­r*in­nen leben in Barkelsby, und im Prinzip halte die Ostseegemeinde alles vor, was zum Leben nötig sei: „Schule, Kita, Feuerwehr, Läden“, zählt Blaas auf. Die benachbarte Kleinstadt Eckernförde „brauchen wir eigentlich nicht“. Dass Eckernförde als Zentraler Ort aus einem Extra-Topf Landesmittel erhält, sei daher ungerecht.

Aktuell gibt es laut der Homepage des Innenministeriums 132 „Zentrale Orte und Stadtrandkerne“ in Schleswig-Holstein. Sie gelten als „Schwerpunkte der Versorgungsinfrastruktur“, halten sie Gewerbe und Dienstleistungen vor, die in Nachbargemeinden fehlen. Größe allein spielt dabei keine Rolle: In schwach besiedelten Gegenden können Dörfer mit einigen Tausend Menschen den Titel tragen. Wichtig ist aus Sicht des Landes ihre „überörtliche Versorgungsfunktion“. Dafür erhalten sie vom Land Geld aus einem eigenen Topf. Diese Mittel fehlen entsprechend den kleineren Kommunen.

Gemeinden haben sich „emanzipiert“

Dabei hätten die Gemeinden sich seit 1970, als das System der Zentralen Orte eingeführt wurde, emanzipiert und hielten viele Angebote selbst vor, sagt Gunnar Bock, als Direktor des Amtes Schlei-Ostsee einer der Klageführer. Inzwischen erhielten einige Orte „die Zentralort-Mittel nur noch, weil sie sich an das Geld gewöhnt haben“.

Der Anwalt der Gemeinden, Matthias Dombert, verlangte eine „handwerkliche Kontrolle“ des heutigen FAG. Auch Jörg Bülow, Vorstand des Gemeindetags, der kleine wie größere Orte im Land vertritt, sah „Reformbedarf“. Denn seit Jahren sei das System der Zentralen Orte unverändert, obwohl sich die Aufgaben verändert hätten: „Auch andere Gemeinden kümmern sich um Glasfaserausbau und siedeln Arztpraxen an.“

Verwaltungsrechtler Wolfgang Ewer, der die Regierung vertritt, widerspricht. Es sei nicht sinnvoll, zentralörtliche Aufgaben zu definieren, sondern was ein Zentraler Ort tue, sei „qua Verleihung des Status“ eben zentralörtlich. „Auch eine 300-Einwohner-Gemeinde kann Flächen für ein Factory-Outlet zur Verfügung stellen – aber das ist ja nicht gewollt“, so Ewer. Das Land betreibe seine Planung und ordne den Raum, indem es Gemeinden Verantwortung zuweise. Zu den Aufgaben gehörten nicht nur Feuerwehr und Straßen, sondern Mehrzweckhallen für Vereine, Gewerbeansiedlungen und vieles mehr.

Bereits 2017 hatte es einen Rechtsstreit um den Finanzausgleich gegeben. Damals hatte die Landesregierung die Auflage erhalten, bis Anfang 2021 ihre Vergabe-Regeln zu überprüfen. Der Landtag befasste sich mehrfach mit der Reform des FAG und gab ein externes Gutachten in Auftrag.

Kleine Verschiebungen

Am Ende erhielten die Kommunen mehr Geld: 2021 waren es rund 65 Millionen Euro mehr, in den Jahren 2022 bis 2024 gibt es pro Jahr weitere fünf Millionen Euro obendrauf. Zudem wurden die Verteilungsschlüssel zwischen Gemeinden, Kreisen und Kreisfreien Städten sowie Zentralen Orten leicht verändert. Insgesamt blieb das Land aber beim „bewährten System“, heißt es auf der Homepage des Innenministeriums.

Den Gemeinden reichen die kleinen Verschiebungen nicht: Die Vorgaben des Gerichts seien nicht erfüllt, der Rat des Gutachtens nicht umgesetzt worden, stattdessen habe es „politische Kompromisse“ gegeben, sagt Amtsdirektor Gunnar Bock. Die Entscheidung zu klagen, sei nicht überstürzt gewesen: „Wir haben den Prozess lange begleitet, unsere Fragen wurden nie sachgerecht beantwortet.“ Ewer kontert, das Land habe die Auflagen erfüllt, die Kriterien für die Zentralen Orte seien objektiv.

Im Februar will das Gericht sein Urteil verkünden. Bürgermeister Fritz Blaas hat zumindest ein gutes Gefühl: „Da bewegt sich was“, glaubt er.

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