„Zwarte Piet“ in den Niederlanden: Zwischen Brauch und Blackfacing

Die rassistische Darstellung des Nikolaus-Gehilfen „Zwarte Piet“ sorgt in den Niederlanden für Streit. Nun eskalierte eine geplante Protestaktion.

Aktivisten mit Rauchbomben blockieren eine Straße

Um die Figur des „Zwarte Piet“ eskaliert im niederländischen Staphorst ein gesellschaftlicher Streit Foto: ANP/picture alliance

Dichte Rauchwolken verhüllen den Kleinwagen. Sie kommen offenbar von Feuerwerkskörpern. Aufgebrachte Menschen umringen das Auto und verhindern die Weiterfahrt. So zeigen es Videoaufnahmen, die in den letzten Tagen in den niederländischen Medien für Diskussionen sorgten. Jemand, verkleidet als Nikolaus-Helfer „Zwarte Piet“, wirft aus kurzer Distanz ein Ei auf eine der Türen. Auf anderen Videos sieht man ein zweites Auto, dem sich mehrere Personen in den Weg stellen, auch sie in Kostümen der beliebten Brauchtumsfigur. Sie versuchen das Auto zurückzuschieben. Über die Heckscheibe fließt Eidotter. Die Umstehenden johlen.

Zugetragen haben sich diese Szenen am 19. November in Staphorst. Das Dorf liegt im Nordosten der Niederlande, etwa eine halbe Autostunde von der deutschen Grenze entfernt, und ist bekannt für seine streng reformierten calvinistischen Bewohner*innen. Stap­horst feiert an diesem Tag die Ankunft von Sinterklaas, dem Nikolaus. Zu dem Volksfest, das überall im Land Jahr für Jahr begeistert gefeiert wird, gehören traditionell auch die Pieten genannten Helfer des Nikolaus. Sie tragen Pluderhosen, Kragen und Barett – und waren bis vor wenigen Jahren noch überall schwarz geschminkt, mit breiten roten Lippen und Ohrringen. Nach heftigen Debatten über die rassistische Darstellung verzichten die meisten niederländischen Kommunen inzwischen auf dieses Element.

Nicht so Staphorst.

Und so machten sich von Amsterdam aus an jenem Morgen des 19. November ein Reisebus sowie mehrere Kleinbusse und Pkws auf den Weg in den 120 Kilometer östlich gelegenen Ort. Es sind Ak­ti­vis­t*in­nen der antirassistischen Initiative „Kick Out Zwarte Piet“. Diese kämpft seit 2011 für ein Sinterklaas-Fest ohne kolonialen Bezug. Seither sind sie mit friedlichem Protest bei den Umzügen präsent. Beschimpft werden sie dabei immer, bedroht regelmäßig, Angriffe sind keine Seltenheit. „Zwarte Piet ist Rassismus“, lautet ihre Losung. „Sinterklaas ist ein Kinderfest“, halten jene dagegen, die sich ihr Brauchtum ohne Blackfacing nicht vorstellen können. Die Kinder lieben doch den Gehilfen des Sinterklaas, so die Argumentation – wie soll so etwas also rassistisch sein?

Am Mittag treffen die Protestfahrzeuge in Zwolle mit weiteren Ak­ti­vis­t*in­nen aus anderen Landesteilen zusammen. Von dort sind es noch 20 Minuten bis Staphorst. Auch drei Mitglieder von Amnesty International sind mit einem Auto aus Amsterdam gekommen: Gerbrig Klos, spezialisiert auf Polizeigewalt und seit Jahren als Beobachterin auf Demonstrationen unterwegs, und zwei Freiwillige. Mehrfach hat sie auf den Protesten von Kick Out Zwarte Piet brenzlige Situationen erlebt. Wie zuvor vereinbart, wird das letzte Stück des Weges in einem Konvoi zurückgelegt, an dessen Anfang und Ende ein ziviler Polizei-Pkw fährt.

Eier fliegen, die Menge wird aggressiv

Jerry Afriyie, Mitgründer der Initiative, hat all das schon oft erlebt. „Ein solcher Polizeikonvoi sollte einen eigentlich ohne Zwischenfälle an den Ort der Demonstration bringen, auf einer sicheren Route“, wird er später sagen. Auf den 20 Kilometern bis Staphorst aber funktioniert das nicht. Da es keine Motorradbegleitung gibt, fällt der Konvoi bald auseinander, und so bekommt Afriyie im Reisebus die Nachricht, dass zwei Pkws den Anschluss verloren haben. Auch das Auto mit den Amnesty-Be­ob­ach­te­r*in­nen ist außer Sicht. Im Bus wird es unruhig. Man hat zu viel erlebt, um sich um die Ge­fähr­t*in­nen keine Sorgen zu machen. Die Polizei leitet den Bus an eine Tankstelle beim Städtchen Meppel.

Unterdessen haben die besagten Autos die Ausfahrt nach Staphorst erreicht. Auch Gerbrig Klos und ihre Kol­le­g*in­nen von Amnesty International sind auf eigene Faust weitergefahren, nachdem sie den Rest des Konvois aus den Augen verloren haben. Die Ausfahrt macht einen Bogen, bevor sie in den Zubringer mündet. Schon von weitem sieht Klos, dass sich in der Kurve eine große Menschenmenge versammelt hat.

Manche stehen etwas erhöht und beobachten den Verkehr auf der A28, andere auf der Straße. Als Beifahrerin hat Klos gute Sicht auf die Szenerie. Sie ist umgehend alarmiert.

Kurz darauf wird das Auto angehalten und umzingelt. „Sie sind von Amnesty! Sie gehören dazu!“, schreit jemand. Das erste Ei fliegt, die Menge wird aggressiv. Klos und ihre Kol­le­g*in­nen schließen die Fenster, rufen die Notfallnummer an. Sie versuchen ein Stück weiterzufahren, doch man drängt sie zurück.

Mehr Eier fliegen, auch Pfeffernüsse, also Süßigkeiten, die normalerweise der Sinterklaas wirft. Schließlich ist dies ja ein Kinderfest, und das von Stap­horst soll gleich auf dem Marktplatz, wenige Kilometer entfernt, beginnen. Öl wird über das Auto gekippt, Scheibenwischer abgebrochen, jemand prügelt mit einem Pfahl auf die Seite ein, es hagelt Schläge und Tritte. Aus einem Reifen wird die Luft gelassen, das Auto hin und her geschüttelt. Erst nach einer halben Stunde gelingt es den Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Amnesty International, sich einen Weg zu einem Polizeibus in einiger Entfernung zu bahnen, der sie schließlich aus der Gefahrenzone eskortiert.

Auch Jerry Afriyie und die anderen Ak­ti­vis­t*in­nen in ihrem Reisebus werden inzwischen belagert. Eine Menge hat sich an der Tankstelle versammelt, wo man warten wollte, bis die anderen Autos in Sicherheit sind. „Nicht nur Hooligans, auch Familien mit Kindern“, so wird Afriyie sie später beschreiben. Sie werfen Feuerwerkskörper auf den Bus – „an einer Tankstelle!“–, ein Auto fährt vor und rammt ihn. Der Fahrer versucht auszuweichen, das Manöver lässt die Passagiere durcheinanderfallen. Erst nach einer Weile taucht wieder ein Polizeifahrzeug auf, das den Bus von der Tankstelle wegbringt.

Allseits verhärtete Fronten

Der Bürgermeister von Staphorst hat die zuvor genehmigte „Kick Out Zwarte Piet“-Demonstration inzwischen abgesagt – um den feierlichen Sinterklaas-Umzug nicht zu gefährden.

Vier Tage später ist man im Dorf damit sehr zufrieden. „Es ging darum, dass der Einzug stattfinden kann. Das hat funktioniert, die Kinder haben nichts davon mitbekommen“, sagt ein überaus freundlicher älterer Mann, der zwischen Feldern und sauber geharkten Zufahrten zu Einfamilienhäusern seinen Dackel ausführt. Also eine gelungene Aktion? „Ja. Natürlich darf jeder demonstrieren, aber bitte nicht beim Einzug von Sinterklaas!“ Im Übrigen wohne er nahe bei der Ausfahrt und habe nichts von allem mitbekommen. „Die Medien übertreiben das!“

Der gleichen Meinung ist eine Frau, die wenig später an der besagten Autobahnausfahrt entlanggeht. Ihren Namen möchte sie nicht sagen. Wichtig aber ist ihr, dass „Kick Out Zwarte Piet hier nichts zu suchen hatten. Jedes Jahr rufen sie irgendwo zu Krawallen auf.“ Die Menge habe lediglich Autos, die aus dem Konvoi ausscherten, gefragt, was sie hier wollen. „Und dann haben einige Eier und Rauchdinger geworfen, aber das wird schwer übertrieben.“ Von der Gewalt distanziert sich die Frau schließlich, gibt aber zu bedenken: „Es war Samstag, und es waren eben alles junge Leute.“

Im Dorfzentrum, wo blonde Grundschulkinder ohne Mütze durch die Kälte nach Hause radeln, ist man beim Thema inzwischen vorsichtig. „Kein Interesse“, schnaubt ein junger Mann und dreht sich abrupt weg. Ein Dorfgenosse mittleren Alters erwähnt, dass Bilder von der Blockade am Vorabend in einer Polizeisendung im Fernsehen ausgestrahlt worden seien – mit den Aufnahmen Verdächtiger, die daran beteiligt waren. „Ich wusste, dass das aus dem Ruder läuft und es hinterher Probleme gibt. Sonst wäre ich dabei gewesen“, sagt der Mann, der „zu 100 Prozent hinter der Aktion“ steht. Und die Gewalt? “Das geht natürlich nicht. Aber das waren auch Leute, die von außerhalb kamen.“

Amnesty International hat inzwischen Anzeige wegen Bedrohung, Gewalt und Sachbeschädigung sowie der Behinderung unabhängiger De­mons­tra­ti­ons­be­ob­ach­te­r*in­nen erstattet. Gerbrig Klos arbeitet an einem ganzen Dossier darüber, wie „Zwarte Piet“-Geg­ne­r*in­nen in den letzten Jahren am Demonstrieren gehindert wurden. Klos nennt die Ereignisse von Staphorst „einen neuen Tiefpunkt“. Die Inspektion des Justiz- und Sicherheitsministeriums will das Auftreten der Polizei daraufhin untersuchen lassen, ob sie die De­mons­tran­t*in­nen unzureichend geschützt habe. Nicht nur Jerry Afriyie fragt sich, wieso sich an einer Route, die von der Polizei als sicher eingestuft wurde, eine solch drohende Menge versammeln kann.

In sozialen Medien dagegen kriegen sich so manche Use­r*in­nen vor Begeisterung kaum noch ein. Staphorst, heißt es dort, habe niederländische Tradition und Kultur verteidigt – und dafür gesorgt, dass ein Kinderfest ein Kinderfest bleiben könne.

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