Wohnungslose in der Habersaathstraße: Kalte Räumung droht
Die Menschen in der Berliner Habersaathstraße könnten schon bald wieder auf der Straße landen. Verhandlungen mit dem Eigentümer gibt es nicht.
Eine von ihnen ist Janet Amin. Die 45-Jährige sitzt in ihrer Wohnung auf dem Sofa und nippt an einer Kaffetasse. Um sie herum tollen ihre beiden Hundewelpen Pinsel und Chappi. Die Wohnung ist ordentlich und gemütlich eingerichtet. „Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt Amin. Seit Anfang des Jahres wohnt sie hier, seitdem kriege sie ihr Leben wieder in den Griff, sagt sie. „Ich war 20 Jahre heroinabhängig, habe gesoffen und andere Drogen konsumiert.“
Mehr als sieben Jahre war Amin obdachlos, zuletzt am Alex „auf Platte“. Als Frau ist das nicht ungefährlich, erzählt sie. In der Habersaathstraße sei sie wieder clean geworden, ohne eine eigene Wohnung und die Hausgemeinschaft hätte sie es nicht geschafft, ist sie überzeugt. Mittlerweile geht Amin zur Schuldenberatung und ist beim Jobcenter. „Ich würde gerne bleiben, wir haben uns hier etwas aufgebaut“, sagt die gebürtige Hamburgerin.
Im Oktober 2020 und im Dezember 2021 hatten Obdachlose gemeinsam mit Aktivist*innen der Initiative „Leerstand Hab-ich-saath“ das größtenteils leer stehende Gebäude besetzt. Der mittlerweile abgewählte Ex-Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) vereinbarte daraufhin eine Zwischennutzung. Mittlerweile sind auch ukrainische Geflüchtete in dem Gebäude untergebracht.
Ein Jahr später liegen die Verhandlungen mit dem Eigentümer auf Eis. Anfang September hat das Bezirksamt der Arcadia nach jahrelangem Rechtsstreit eine umstrittene Abrissgenehmigung für das fünfstöckige Gebäude erteilt, das erst in den 1980er Jahren mit öffentlichen Mitteln errichtet und 2008 energetisch saniert wurde. Laut Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine aktuelle Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schenker hat der Eigentümer im Gegenzug zugesichert, für alle 105 Wohnungen Ersatzwohnraum zu 7,92 Euro pro Quadratmeter zu schaffen.
Für die Bewohner*innen des Hauses gibt es jedoch bislang keine Lösung. Eine Einigung über den Verbleib der Obdachlosen bis zum Abriss scheiterte am Widerstand des Eigentümers. Dabei gebe es durchaus Spielraum für Verhandlungen, sagt Niklas Schenker zur taz. „Ohne Baugenehmigung bringt die Abrissgenehmigung dem Eigentümer wenig.“
Seit von Dassels Abwahl im September haben laut Bezirksamt aber keine Gespräche mehr stattgefunden. Das letzte Angebot der Arcadia kam Ende Oktober: Die Wohnungslosen würden „als temporäre Winterhilfe“ bis Ende März geduldet, wenn diese zusicherten, das Gebäude bis dahin zu verlassen.
Räumung im Prinzip jederzeit möglich
Eine befristete Duldung ohne „Perspektive für eine Nutzung über den genannten Termin hinaus“ lehnt der Bezirk jedoch ab, so Sozialstadtrat Carsten Spallek (CDU) zur taz. Solange der Eigentümer von seinen Forderungen nicht abrücke, seien Gespräche „nicht zielführend“. Ob die Arcadia – wie zuvor angekündigt – mittlerweile rechtliche Schritte eingeleitet hat, ist dem Bezirk nicht bekannt. Auf eine Anfrage der taz reagierte der Immobilienkonzern nicht. Ohne Einigung ist eine Räumung im Prinzip jederzeit möglich.
Der Sozialträger „Neue Chance“ musste sein Büro im Erdgeschoss bereits verlassen. Auch die Finanzierung wurde eingestellt. Die Beratung findet jetzt „im Notbetrieb“ ein paar Häuser weiter statt, wie auf einem Zettel an der Haustür zu lesen ist.
Die verbliebenen zwölf Altmieter*innen, die zum Teil seit fast 20 Jahren in dem Haus wohnen, haben eine Verwertungskündigung zum 1. Mai bekommen. Gemeinsam mit dem Mieterverein prüfen sie rechtliche Schritte gegen ihren Rausschmiss. Bis die Gerichte über die Gültigkeit ihrer unbefristeten Mietverträge entscheiden, könnten Jahre vergehen. So lange kann die Arcadia weder abreißen noch wie geplant Luxuswohnungen errichten.
Die Bewohner*innen wollen nun eine Rekommunalisierung des Gebäudes erreichen, das 2006 vom Land Berlin für zwei Millionen Euro verkauft und 2017 für das Zehnfache an die Arcadia weiterverkauft wurde. Auf der nächsten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 15. Dezember steht das Obdachlosen-Wohnprojekt auf der Tagesordnung. Während die Bewohner*innen draußen eine Kundgebung abhalten wollen, will die Linke im Rathaus die Einrichtung eines Runden Tischs beantragen. Bereits vor zwei Jahren hatte die BVV eine Rekommunalisierung beschlossen. Passiert ist seitdem jedoch nichts.
Laut Stadtrat Spallek sind dafür im Bezirkshaushalt „keinerlei finanziellen Mittel vorhanden“, und es gebe auch keine Anzeichen, dass der Senat die Kosten übernimmt. In der Senatsverwaltung für Finanzen zeigt man sich überrascht. Bislang sei „kein Antrag auf Erwerb des Grundstücks gestellt worden, auch nicht vom Bezirk Mitte“, so ein Sprecher zur taz.
Doch nicht nur von außen droht der Habersaathstraße 40–48 der Abriss, auch innerhalb des Hauses gibt es Konflikte. Laut dem Vorsitzenden des Mieterrats, Daniel Diekmann, kommt es sowohl zwischen den Obdachlosen als auch zwischen einigen der Neu- und den Altmieter*innen immer wieder zu Streitigkeiten. Dabei sollen auch schon Türen aufgebrochen und Drohungen an die Wände gesprüht worden sein.
Läuft erstaunlich gut
„Uns war klar, dass es schwierig wird“, sagt Valentina Hauser von der Initiative „Leerstand Hab-ich-saath“. Viele der neuen Bewohner*innen würden Suchterkrankungen, Gewalterfahrungen und Traumata mitbringen. Angesichts dessen liefe es erstaunlich gut. Und dass durch das Projekt 60 Menschen von der Straße in eine eigene Wohnung geholt werden konnten, sei ein großer Erfolg: „Für viele hat das ihr Leben verändert, sie sind clean oder trocken geworden und haben sich einen Job oder eine Ausbildung gesucht.“
Noch bis zum 8. Dezember findet in Berlin die Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe statt, auf der beraten wird, wie Obdachlosigkeit bis 2030 abgeschafft werden kann. Wenn der Senat es ernst damit meine, müsse das Projekt gerettet werden, sagt Hauser. „Sonst gibt es bald 60 Obdachlose mehr.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz