Alleingang der Innensenatorin: Spranger schockt mit Taser-Kauf

Noch vor der Evaluation des Testlaufs verspricht die Innensenatorin der Polizei, 300 neue Taser anzuschaffen. Auch die Koalitionspartner übergeht sie.

4 Polizisten stehen hintereinander und halten Taser in der Hand

Polizisten mit Taser Foto: Imago

BERLIN taz | In der im Oktober vorgestellten Rassismusstudie zur Berliner Polizei wird die sarkastische Bemerkung eines Polizeibeamten beschrieben: Angesichts eines vermeintlichen Drogendealers, den man „etwas gesprächiger“ machen müsse, fragt er seine Kolleg:innen, warum sie denn nicht den „Translator“ benutzen würden. Gemeint ist eine auf dem Tisch liegende Elektroschockpistole.

Die in Fachkreisen auch als „Taser“ bekannte Waffe, die elektrisch geladene Pfeile über eine Distanz von bis zu sechs Metern abschießen kann, ist höchst umstritten. Die Polizei und ihre Gewerkschaften werden nicht müde, ihre grundsätzliche Ausstattung mit den Geräten zu fordern.

Viele andere, darunter Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sehen die Gefahr, dass die Waffe die Einsatzschwelle verringert, und halten sie für hochgefährlich. Erst im Oktober kam in Dortmund ein herzkranker Mann infolge eines Taser-Einsatzes durch die Polizei ums Leben. Es ist der siebte Todesfall in Deutschland innerhalb der vergangenen drei Jahre.

In Berlin gehören die Geräte zur Ausstattung des Sondereinsatzkommandos, im regulären Streifendienst sind sie bislang nicht flächendeckend verbreitet. Seit 2017 jedoch werden Taser in zwei Polizeiabschnitten in Mitte und Kreuzberg sowie bei der Polizeidirektion 5 (City) erprobt. 34 Geräte, auch für die Aus- und Fortbildung, wurden dafür bislang angeschafft.

Die im September zum mittlerweile dritten Mal verlängerte Testphase soll endgültig Ende des Jahres abgeschlossen und dann evaluiert werden. Bis März soll ein polizeiinterner Abschlussbericht vorliegen. Eine Einigung, wie es dann weitergeht, steht in der Koalition aus, denn während die SPD Taser befürwortet, lehnen Grüne und Linke das Gerät ab.

300 Geräte

Nun aber hat Innensenatorin Iris Spranger (SPD) einfach Fakten geschaffen und der Polizei die Zusage für die Beschaffung von 300 Geräten gegeben – ohne die Evaluierung abzuwarten, ohne die Koalitionspartner zu informieren oder mit ihnen über die Finanzierung zu sprechen. Gefragt zum Grund für das Vorgehen, teilt die Innenverwaltung lapidar mit: „Grundsätzliche Zielsetzung ist die Einführung des Distanzimpulsgeräts im täglichen Dienst der Polizei Berlin.“

Die Finanzierung der neu anzuschaffenden Geräte erfolge „gemäß Neupriorisierung im Rahmen der Haushaltswirtschaft“. Als würde Spranger nicht bereits Fakten schaffen, hält sie an einer „Evaluation des Probelaufes“ fest. Der Abschlussbericht der Polizei werde der Innenverwaltung vorgelegt.

In einer kaum beachteten Mitteilung von Ende September nannte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die geplante Anschaffung einen „wichtigen Meilenstein für die flächendeckende Einführung“ des Tasers. Die GdP bedankte sich bei der edlen Spenderin Spranger, „die hier trotz des durchaus spürbaren Konflikts zwischen den drei Koalitionspartnern ein klares Signal aussendet“.

Der Zusage Sprangers vorausgegangen war ein wütender offener Brief des für den derzeitigen Probelauf zuständigen Personalrats der Direktion 5. Darin wird der Taser als lebensrettendes Gerät beschrieben: 43-mal sei er in der Testphase zur Anwendung gekommen, meist als Drohung, nur fünf Mal tatsächlich. Verhindert worden sei dadurch jeweils der Schusswaffengebrauch. Ergo: „Der Taser rettet Leben.“ Der Brief war eine Reaktion auf die förmliche Mitteilung von Sprangers Staatssekretär Torsten Akmann im August, in der er darüber informierte, dass der Probelauf wie geplant am 31. Dezember beendet werde.

Koalitionspartner düpiert

Spranger hatte daraufhin öffentlich verkündet, den Taser beibehalten zu wollen, und gesagt: „Wie Taser eingesetzt werden, werden wir nach der Evaluierung des Modellprojekts entscheiden. Dafür werde ich mir die Ergebnisse der Evaluierung genau ansehen.“ Doch anscheinend konnte es ihr nun nicht schnell genug gehen: Wenige Wochen nach dem offenen Brief stand ihre Zusage an die Polizei zur Beschaffung einer Vielzahl neuer Geräte. Mit dem Schritt düpiert die Innensenatorin ihren eigenen Staatssekretär – und die Koalition.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco, kritisiert: „Die Ausweitung des Taser-Einsatzes kommt überraschend und entbehrt jeder faktischen Grundlage.“ Er spricht von „eigenmächtigem“ Handeln und einem „Aktionismus, der die Risiken des Einsatzes völlig ignoriert“. Außerdem wirft er Spranger vor, den Haushaltsgesetzgeber zu ignorieren. Das sei „inakzeptabel“, so Franco. Die Koalition hat keine Mittel für die Anschaffung bereitgestellt. Die Anschaffung würde die Senatorin über Umschichtungen ihres Etats finanzieren. Nur wenn die Kosten einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, müsste der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zustimmen.

Sollten Taser in dieser Größenordnung eingeführt werden, bräuchte es dafür eine Gesetzesgrundlage, sagt der innenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schrader. Bislang fehlt diese, mit der Folge, dass Taser Schusswaffen gleichgestellt sind. Be­für­wor­te­r:in­nen der Elektroschockpistole wollen sie deshalb als milderes Mittel im Waffengesetz festschreiben lassen. Schrader aber stellt sich dagegen: „Das werden wir nicht machen.“ Auch einer geplanten Beratung über die Evaluation im Innenausschuss werde er unter diesen Umständen nicht zustimmen.

In Sprangers Vorgehen erkennt Schrader ein Muster. Sie habe auch schon die Polizeiwache am Kotti gegen alle Bedenken durchgezogen oder sich entgegen anderen Absprachen im Koalitionsvertrag für den flächendeckenden Einsatz von Bodycams ausgesprochen. „Es entsteht der Eindruck, dass sie auf Zuruf und im Schlagzeilenmodus handelt“, so Schrader.

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