Spielfilm „Der Sommer mit Anaïs“ auf DVD: Zwischendurch brennt die Küche

„Der Sommer mit Anaïs“ ist das Regiedebüt der französischen Schauspielerin Charline Bourgeois-Tacquet. Die Komödie ist virtuos und klug.

Anaïs (Anaïs Demoustier) auf einem sonnigen Feld.

Die Titelheldin Anaïs (Anaïs Demoustier) rennt durch ihr Leben Foto: Prokino

Schon in der ersten Einstellung rennt sie, immer muss sie oder will sie dringend wohin, zum Termin mit der Vermieterin, ins Kino mit dem Freund (oder Ex-Freund, es ist kompliziert und wird noch viel komplizierter), meist kommt sie zu spät: Das ist Anaïs, die denselben Vornamen trägt wie ihre Darstellerin, Anaïs Demoustier.

Sie ist um die dreißig, schreibt an ihrer Dissertation, die sie allerdings nicht mit dem letzten Eifer verfolgt, es gibt zu viel anderes, das sie interessiert. Auf das sie zurennt, und manchmal läuft sie davon. Zu viel Nähe und Enge verträgt sie nicht, die U-Bahn nicht, Aufzüge nicht, und wenn sie in den 16. Stock im Treppenhaus hochhasten muss.

Bei einer solchen Gelegenheit, sie besucht Freunde im Hochhaus, drängt sie einem deutlich älteren Herrn ihr Fahrrad auf, er nimmt es, während sie die Treppe nimmt, im Aufzug nach oben. Der Herr ist Verleger, und zwar ein renommierter, es spielt ihn Denis Podalydès, der seit Jahr und Tag eine feste Größe im Pariser Schauspielbetrieb ist, außerdem – nach wie vor steht das in französischen Filmabspännen hinter dem Namen – Sociétaire de la Comédie-Française, also Mitglied der Trägergesellschaft des bedeutendsten Nationaltheaters des Landes, von Molière her berühmt.

Mit ihm, also Daniel, beginnt Anaïs, also im Film, eine Affäre. Oder er mit ihr, egal, sie wollen es beide. Nun ist ihre Wohnung, deren Miete sie seit zwei Monaten schuldet, schon nicht klein, aber seine ist standesgemäß riesig. Natürlich ist er verheiratet beziehungsweise seit zwölf Jahren in einer eheähnlichen Beziehung, und zwar mit einer Schriftstellerin, sie heißt Emilie und wird von der immer und hier auch wieder sehr großartigen Valeria Bruni-Tedeschi gespielt.

„Der Sommer mit Anaïs“ (Frankreich 2021, Regie: Charline Bourgeois-Tacquet). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Sie taucht erst im zweiten Teil des Films auf, als Anaïs sich in sie, also Emilie, sehr entschlossen verliebt. Viel Rennen, viel Drängen, komische Szenen, zwischendurch brennt die heimische Küche, peinliche Begegnungen und dann eine sehr romantische Begegnung am Strand. Das Ende ist erst sehr intensiv, dann bewusst ein bisschen zerflattert, vielleicht mehr Traum als real.

Das Begehren drängt und rennt

Das alles klingt unfassbar französisch. Und bourgeois, was es auch ist. Das Milieu ist sehr weiß, sehr kultur-akademisch, Geldprobleme können nur sehr vorübergehende sein, die Eltern haben, versteht sich, ein Anwesen auf dem Land. Dieser ausgesprochen enge Rahmen wird so wenig thematisiert, von kritisch betrachtet ganz zu schweigen, dass seine Enge den Beteiligten vermutlich gar nicht richtig bewusst ist.

Solche Filme werden in Frankreich seit Jahrzehnten gedreht, wenn auch lange sehr viel eher von Männern als Frauen: Junge Frauen, ihre Affären, eine Abtreibung gibt es auch, fällt aber in eine narrative Ellipse, die Mutter hat Krebs, das Begehren drängt und rennt.

Es ist ein Spielfilmdebüt, das will man kaum glauben, so vertraut ist das alles, aber auch so virtuos und in seinem engen Rahmen klug und überraschend und witzig gemacht. Die Regisseurin Charline Bourgeois-Tacquet kennt sich im Milieu bestens aus, hat Literatur studiert, einen ersten Job beim renommierten Verlag Grasset gehabt, sich dann aber aufs Schreiben und Inszenieren von Filmen verlegt.

Kleine Rollen in Filmen zeugen von ihrer Vernetztheit, seit ein paar Jahren ist sie zudem die Lebensgefährtin von Frankreichs zweitberühmtestem Schriftsteller Emmanuel Carrère, in dessen eigenem jüngsten Film „Ouistreham“ ist sie ganz kurz zu sehen.

Ein Leben, das klingt wie ein französischer Film; ein Film, in dem es zugeht wie unter Pariser Regisseurinnen und Literaten. Es hat alles einigen Charme. Und dieser Charme hat seine deutlichen Grenzen.

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