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Werbeverbot für ungesundes EssenBesser zuckerwerbefrei

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Werbung für Zuckriges und Fettiges fernhalten von Kindern, fordern die Krankenkassen AOK und TK. Bevormundung? Nein, notwendiger Gesundheitsschutz.

In Maßen ist das ja ok Foto: Waldmüller/imago

J etzt geht das Gejaule wieder los: Ein Werbeverbot für Junkfood sei eine Bevormundung der VerbraucherInnen. Der Staat solle den Leuten bitte die Freiheit lassen, sich zu ernähren, wie sie wollen. So klagen die Lobby der Lebensmittelindustrie und manche BürgerInnen.

Anlass ist eine Forderung von 40 Organisationen – Krankenkassen, Ärzteverbänden und Verbraucherschutzvereinen – an die Ampel. Von 6 bis 23 Uhr solle Werbung für ungesunde Nahrungsmittel in allen Fernseh- und Radiosendungen verboten werden, ebenso bei nach Uhrzeit geschalteten Anzeigen im Internet. So heißt es in dem am Montag veröffentlichten Appell. In sozialen Netzwerken aktive WerberInnen („Influencer“) sollten für Nahrungsmittel, die mehr Zucker, Fett und Salz enthalten als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, überhaupt nicht mehr werben dürfen. Für Plakatwerbung solle eine 100-Meter-Bannmeile im Umkreis von Kindergärten, Schulen und Spielplätzen gelten, so die ExpertInnen.

Die Organisationen wollen also mitnichten vorschreiben, was wir essen. Sie wollen weder Cornflakes noch Bonbons oder Kartoffelchips verbieten. Sie sprechen sich aber sehr wohl dafür aus, dass der Staat Werbung für solche Produkte stark einschränkt. Für das Publikum würde es etwas schwieriger, sich Werbung für die Frühstücksflocken „Smacks“ anzugucken. Als Freiheitseinschränkung ist das kaum der Rede wert.

Die Freiheit der Lebensmittelindustrie und der Werbebranche würde dagegen tatsächlich bedeutend beschnitten. Doch dafür gibt es gute Gründe. Denn Junkfood trägt dazu bei, dass viele Menschen zu dick sind. Kinder und Jugendliche verzehren etwa doppelt so viele Süßwaren, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. „Auch der Fleisch- und Wurstverzehr ist deutlich zu hoch“, kritisiert der Appell der 40 Organisationen.

Kinder sind leichte Beute

Laut Robert-Koch-Institut sind 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig. Durch falsche Ernährung mitbedingte Krankheiten wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder Herzinfarkt nehmen auch in Deutschland zu.

Studien zeigen, dass Kinder, die Werbung für Lebensmittel sehen, tatsächlich mehr Kalorien zu sich nehmen. Eigentlich ist das logisch: Wenn Kindermarketing nicht funktionieren würde, gäben die Konzerne auch kein Geld dafür aus. Kinder sind eine leichte Beute für sie. Sie sind stärker beeinflussbar als Erwachsene. Bis zum Alter von 4 Jahren können sie noch gar nicht zwischen Werbung und dem normalen Fernsehprogramm unterscheiden. Dass sie trotzdem durch Werbung manipuliert werden dürfen, ist ein Skandal.

SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“ Die Koalition will offenbar nur Werbung mit einem bestimmten Anteil an Kindern unter den Rezipienten untersagen. Das wird aber nicht reichen. Denn oft ist der Kinderanteil nur gering, aber ihre absolute Zahl riesig. Die bei 3- bis 13-Jährigen erfolgreichsten Sendungen im Fernsehen waren 2021 Übertragungen von zwei Fußballspielen, berichtet die Fachzeitschrift Media Perspektiven. Auf Platz 3 lag das Comeback von „Wetten, dass..?“. Unter den rund 14 Millionen ZuschauerInnen waren 0,7 Millionen Kinder.

Der Lebensmittelverband der Wirtschaft argumentiert dagegen, es gebe „bereits umfassende Regelungen im Bereich der Werbung, die sich an Kinder richtet“. Aber diese Regelungen reichen eben nicht, sonst würde nicht so viel Junkfood im Beisein von Kindern beworben.

Die Industrie sagt auch, statt Werbung für bestimmte Lebensmittel zu verbieten, sollten die Menschen lieber dazu angehalten werden, sich mehr zu bewegen. Für mehr Fitness zu werben ist sicherlich richtig. Aber das schließt ja nicht aus, durch ein Werbeverbot eine bessere Ernährung zu fördern.

Deshalb sollte die Ampelkoalition diesem Vorstoß Aufmerksamkeit schenken. Sie muss Werbung für unausgewogene Lebensmittel nicht nur in Kindersendungen, sondern in allen Formaten verbieten. Ein kleiner Preis dafür, dass millionenfaches Leid durch Gesundheitsprobleme vermieden wird.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik und die Lebensmittelindustrie. Journalistenpreis "Faire Milch" 2024 des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. 2018, 2017 und 2014 gewann er den Preis "Grüne Reportage" des Verbands Deutscher Agrarjournalisten. 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis (Essay "Mein Krieg mit der Waffe"), 2013 für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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