Osteuropa-Historiker über Propaganda: „Ähnliche Muster früher und heute“

Eine Vortragsreihe des Nordost-Instituts beleuchtet Medien und Macht im östlichen Europa. David Feest über Propaganda in Geschichte und Gegenwart.

Ein Plakat am Rand einer großen Straße in Samara wirbt für den Eintritt in das Samara-Bataillon für den Kampfeinsatz in der Ukraine.

Armee-Werbung in Russland: „Wir haben sie damals gestoppt – und werden sie jetzt stoppen“ steht da Foto: dpa / Ulf Mauder

taz: Herr Feest, was hat sich für Sie als Osteuropa-Historiker seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine geändert?

David Feest: Der Krieg erschwert das Reisen und die Archivrecherchen. Doch er führt auch zu einer veränderten Perspektive: Wir werden das russländische Imperium zukünftig weniger vom Zentrum Moskau aus sehen!

Sie beschäftigen sich in Ihrer Vortragsreihe mit Propaganda, wie hermetisch sind die Weltbilder, die da vermittelt werden?

Propaganda ist die gerichtete Kommunikation zur Erreichung politischer Ziele – sie hat ein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit. Bei Aufenthalten in Russland wurde mir klar: Viele Menschen in Russland leben nach über 20 Jahren unter Putin in einer anderen Welt als wir im Westen, sehen vieles durchgehend anders. Uns am Nordost-Institut interessiert, wie diese von Propaganda geschaffene Welt funktioniert.

53, ist Osteuropa-Historiker am Nordost-Institut und Vorstandsmitglied des Verbands der Osteuropa-Historiker:innen.

Wie sehen Sie das Wechselverhältnis zwischen Krieg und Propaganda?

Was wir jetzt, während des Krieges sehen, ist eine aufgepeitschte Form bereits existierender propagandistischer Behauptungen. Der Boden dafür war längst bereitet.

Sie haben zur Zwangskollektivierung in Estland gearbeitet und halten einen Vortrag dazu. Wie versuchte die sowjetische Propaganda nach 1945 dort zu wirken?

Man hat behauptet, die Kolchos-Ordnung sei effizienter als die Einzelhof-Landwirtschaft. Gleichzeitig kamen aus den russischen Grenzregionen hungernde bettelnde Menschen zu den estnischen Bauern. Diese sogenannten „Sack-Jungs“ dementierten durch ihr Betteln also die laufende Propaganda und deren falsche Versprechungen.

„Für Frieden und Neutralität!' Deutsche Reaktionen und Proteste im Kontext des polnisch-sowjetischen Krieges 1919/1920“ mit Matthäus Wehowski: 1.11., 18 Uhr, Lüneburg, Nordost-Institut, Lindenstraße 31; Eintritt frei, Anmeldung erbeten per Mail an sekretariat@ikgn.de;

Der Vortrag findet statt im Rahmen der Vortragsreihe „Alles Propaganda?, Infos, Programm und Zugang zu Streams der Vorträge: www.ikgn.de/veranstaltungen/alles-propaganda.html

Was hat die Komposition der achtteiligen Vortragsreihe bestimmt?

Unser Propaganda-Thema umfasst historische, kommunikations- und kulturwissenschaftliche Aspekte. Wenn wir Polen 1920, Estland 1947 und Russland 2022 betrachten, ergeben sich ähnliche Muster in Geschichte und Gegenwart. Die wollen wir sichtbar machen.

Der russische Schriftsteller und Dramatiker Wladimir Sorokin meinte kürzlich, wenn Russen Ukrainer töten und ihnen Gewalt antun, zeige das, dass nach 20 Jahren Putin’scher Propaganda die Menschen zu Zombies wurden.

Ich stimme ihm zu. Auch wenn es durch die sozialen Medien kein Propaganda-Monopol mehr gibt, wird in totalitären Gesellschaften die Rationalität permanent unterhöhlt. Das betreibt Putin offensiv. Aber auch die Herrschenden sind abhängig von Informationen. Und im Krieg scheinen Informationen noch unsicherer als sonst. Clausewitz hat es treffend gesagt: „Drei Viertel derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit.“

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