Gewalt im Westjordanland und Jerusalem: Tage der Unruhe
Anschläge militanter Palästinenser, Militäreinsätze im Westjordanland: Vor der Wahl ist die Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten volatil.
BERLIN taz | Wenige Wochen vor der israelischen Parlamentswahl eskaliert die Gewalt im Westjordanland und in Jerusalem weiter. Die zweite Nacht in Folge kam es am Donnerstag zu schweren Ausschreitungen in verschiedenen Stadtvierteln im mehrheitlich arabisch bewohnten Ost-Jerusalem.
Am Freitagmorgen meldeten Polizei und Rettungsdienste in Israel 18 Festnahmen und mehrere Verletzte. Am Wochenende könnte sich die Lage weiter verschärfen: Palästinensische Gruppen haben zu einem “Tag des Zorns“ aufgerufen, während rechtsextreme israelische Politiker und Aktivisten die Eskalation für ihren Wahlkampf nutzen.
So besuchte der rechtsextreme israelische Parlamentsabgeordnete Itamar Ben Gvir am Donnerstag nach Auseinandersetzungen zwischen arabischen und jüdischen Bewohnern das mehrheitlich arabisch bewohnte Stadtviertel Scheich Dscharrah. Dabei zog er eine Pistole und forderte von Polizisten, auf arabische Steineschmeißer zu schießen.
Ben Gvir ist dafür bekannt, anti-arabische Ressentiments in Israel salonfähig zu machen. Sein national-religiöses Parteienbündnis kann bei den Parlamentswahlen Anfang November laut Umfragen mit einem massiven Stimmenzuwachs rechnen und eine der stärksten Fraktionen in der Knesset werden.
Videos zeigen Auseinandersetzungen
Auf palästinensischer Seite nutzen radikale Gruppierungen wie die in Gaza regierende Hamas die Frustration und bestehende Ablehnung Israels unter jungen Palästinensern, um zunehmend auch im Westjordanland Fuß zu fassen.
Die palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter dem langjährigen Präsidenten Mahmud Abbas hat bei der jungen Generation jede Glaubwürdigkeit verloren, auch weil Abbas seit langem überfällige Wahlen immer weiter verschiebt und politische Gegner mit Terrorvorwürfen ausschaltet.
In sozialen Medien wurden Videos von mehreren Auseinandersetzungen zwischen jüdischen Siedlern und Palästinensern in Jerusalem und im Westjordanland veröffentlicht. Im Flüchtlingslager Dschenin wurde am Freitagmorgen bei einem Schusswechsel zwischen bewaffneten Palästinensern und der israelischen Armee ein 25-jähriger Palästinenser getötet sowie ein palästinensischer Notarzt schwer verletzt, wie das Gesundheitsministerium der palästinensischen Autonomiebehörde mitteilte. Er erlag schließlich seinen Verletzungen. Laut der Times of Israel soll er Teil der militanten Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden gewesen sein.
Die israelische Armee bestätigte den Einsatz. Bewaffnete hätten die Sicherheitskräfte “mit Sprengsätzen und Schüssen“ angegriffen. Bei der Aktion seien drei Verdächtige verhaftet worden, darunter ein Mitglied der Terrormiliz Hamas. Bei einem weiteren Einsatz in Dschenin am Samstag waren zuvor zwei palästinensische Jugendliche erschossen worden.
Ein palästinensischer Terrorist erschoss eine Soldatin
Unmittelbarer Auslöser der Gewalt: Am Samstag erschoss ein palästinensischer Angreifer eine 18-jährige israelische Soldatin an einem Checkpoint nahe des Shuafat-Flüchtlingslagers in Ost-Jerusalem. Die Armee riegelte daraufhin das Viertel auf der Suche nach dem 22-jährigen mutmaßlichen Täter weitgehend ab und verhaftete dessen Familie.
Die palästinensischen Bewohner hatten Anfang der Woche zunächst mit einem Generalstreik und Demonstrationen reagiert und die massiven Einschränkungen für zehntausende Bewohner des Viertels kritisert. Schulen und Läden blieben am Mittwoch geschlossen, Arbeiter gingen nicht zur Arbeit.
Am Dienstag wurde ein weiterer israelischer Soldat im Westjordanland nahe Nablus erschossen, während er eine Demonstration israelischer Siedler begleitete. Im Laufe der Woche weiteten sich die Proteste von Palästinensern gegen die Abriegelung des Shuafat-Lagers auf weitere Viertel Jerusalems aus.
In der Nacht zu Donnerstag griffen hunderte Palästinenser mit Brandsätzen, Feuerwerkskörpern und Steinen Sicherheitskräfte an. Omer Barlev, Israels Minister für öffentliche Sicherheit, ordnete daraufhin am Donnerstag an, die Einschränkungen am Shuafat-Checkpoint zu lockern.
Anspannung durch die anstehende Wahl
Die Spannungen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern haben seit Monaten stetig zugenommen. Anfang des Jahres wurden bei einer Serie von Terroranschlägen mindestens 20 jüdische Israelis getötet. Daraufhin starteten die israelischen Sicherheitskräfte eine groß angelegte Anti-Terror-Operation im besetzten Westjordanland. Seit Anfang des Jahres wurden dabei mehr als einhundert Palästinenser getötet, darunter auch Kinder.
Angesichts der zunehmenden Gewalt, des schwindenden Einflusses der PA sowie des wachsenden Frust in der palästinensischen Bevölkerung steigen die Sorgen vor einer weiteren Eskalation oder gar einer dritten Intifada.
Aktuell sorgen neben den anstehenden Parlamentswahlen auch die Feierlichkeiten zum jüdischen Sukkot-Fest für erhöhte Anspannung. Viele gläubige Juden besuchen im Rahmen der Feierlichkeiten die Jerusalemer Altstadt. Die israelische Polizei mobilisierte am Freitagmorgen vier zusätzliche Einheiten. Regierungschef Jair Lapid betonte nach einem Treffen mit Vertretern der Sicherheitsbehörden, Israel sei “entschlossen“, die Sukkot-Feierlichkeiten stattfinden zu lassen und gegen “Terror und gewalttätige Ausschreitungen“ vorzugehen.
Leser*innenkommentare
31841 (Profil gelöscht)
Gast
Jede Siedlung auf der Westbank ist ein Anschlag auf die Rechte und die Lebensmöglichkeiten der palästinischen Bürger durch militante jüdisch-israelische Siedler unter dem Schutz der israelischen Besatzungsregierung.
Pepi
@31841 (Profil gelöscht) Die Antwort kann nur die 2-Staatenlösung sein, mit Jerusalem als Freier Hauptstadt unter Internationaler Kontrolle. Der Tempelberg gehört allen Religionen und ist den 3 Religionen Judentum, Christentum und zuletzt den Muslimen heilig. Wenn dort eine Einigung nicht gelingt, wo denn sonst?
michaelfrf
@31841 (Profil gelöscht) Es ist eine Angriffshandlung, von der israelischen Armee geschützt. Und damit ein kriegerischer Akt.