piwik no script img

Endlich frontal aufnehmen

Für den Kunstraum Kreuzberg hat Andrea Pichl eine Ausstellung mit 50 Künstlerinnen aus der DDR kuratiert. Sie ist ein Appell, strukturelle Benachteiligung stärker im Blick zu haben

Von Sarah Alberti

Zwei Sessel, eine Spüle im Einbauschrank, ein bunt gemusterter Teppich: Bei den farbigen Zeichnungen von Andrea Pichl kommt Ostalgie auf. Doch der Titel lässt einen zusammenzucken: „Stasizentrale“. Im einstigen Zentrum der Überwachung hat Pichl Fotos gemacht und Details, etwa von Erich Mielkes Daybett, in das Medium der Zeichnung übertragen.

Die Ästhetik der Macht ist der des privaten Raums erstaunlich ähnlich. Dass wiederum die Stasi vor Privaträumen nicht Halt machte, hat die Künstlerin, geboren 1964 in der DDR, selbst erlebt. Auch ihr Studium wurde erst mit Maueröffnung möglich: „Der Stasi-Chef in Weißensee war der Bildhauerei-Chef“, erzählt sie im Gespräch. „Ich habe mir meine Stasi-Akte nie angesehen, aber er hat das offensichtlich verhindert.“

Andrea Pichl konnte sich als Künstlerin international etablieren. Nicht all ihren Kolleginnen ist eine solche Karriere nach 1990 gelungen. Werke von Künstlerinnen aus der DDR sind in der Kunstwelt bis heute unterrepräsentiert, auch in Ausstellungen zu Kunst aus der DDR. Unter dem Titel „Worin unsere Stärke besteht“ zeigt Pichl im Kunstraum Kreuzberg nun ihren Gegenentwurf: Werke von 50 Künstlerinnen mit Ost-Biografie. Vertreten sind drei Generationen, von Ruth Wolf-Rehfeldt, Jahrgang 1932, bis Therese Koppe und Katharina Warda, beide Jahrgang 1985. „Nach 1990 hatten Frauen mit einem doppelten Ausschluss zu kämpfen“, erklärt Pichl. „Für Künstlerinnen ist es im Kunstbetrieb generell schon schwieriger als für Künstler. Woher man kommt, schafft zudem strukturelle Zugänge.“ Wie die Beteiligten mit ihrer ostdeutschen Herkunft umgehen und nach 1990 direkte oder strukturelle Ausschlüsse erfahren haben, lassen die im Begleitheft abgedruckten Kurzbiografien nur erahnen. Die kuratorische Klammer ist mit Geschlecht und Geburtsland eine soziologische. Gemeinsame Ästhetiken oder Themen, unter denen sich die Werke subsumieren lassen, sucht man vergebens. Jeweils drei Generationen treffen in den Räumen aufeinander.

Zwischen deren Kunstwerken spinnen sich dann feine Linien. Im ersten Raum schaut man auf sechs Jugendliche, fotografiert in den 80er Jahren von Helga Paris (seit 2012 tourt eine Ausstellung über Paris des Instituts für Auslandsbeziehungen durch die Welt) und auf die nächtliche Frontalaufnahme eines Unfallwagen, fotografiert von Ricarda Roggan (Studium in Leipzig und London, heute Professorin an der Kunsthochschule in Stuttgart). Die grafischen Arbeiten von Ruth Wolf-Rehfeld (sie hörte nach Maueröffnung auf mit der Kunst, war 2017 auf der documenta 14 zu sehen) treten in Dialog mit den dekonstruierten Leinwänden von Franziska Reinbothe (nach Studium in Leipzig nun künstlerische Mitarbeiterin ebenda).

Jeweils drei Generationen treffen in den Räumen aufeinander

Neben Pichls Zeichnungen sind weitere Werke vertreten, die DDR erzählen. Gerade die der jüngsten Generation widmen sich dem Staat, in den sie hineingeboren wurden, zum Teil mit ironischer Distanz: Nadja Buttendorf (geboren 1984) inszeniert in einer Art Soap Opera den Alltag beim VEB Kombinat Robotron, dem größten Computerhersteller der DDR.

Gern hätte man sich die Videos auf Kinoleinwanddimension angeschaut. Auch die vier Kleinformate der Leipziger Malerin Henriette Grahnert (geboren 1977) gehen versteckt im letzten Raum bedauerlicherweise unter. Mehr Platz, ja eine im wahrsten Wortsinn größere Kunstinstitution hätte man den überzeugenden Positionen und dem relevanten Thema gewünscht. Auch fehlt ein Katalog, der die Künstlerinnen und Werke entsprechend vorstellt. Umso überzeugender ist das diskursive Begleitprogramm. Für jede Woche der Ausstellungsdauer organisiert Andrea Pichl eine Führung mit anschließenden Filmscreenings, Lesungen und Podiumsdiskussionen. Die von ihr zusammengestellte Textsammlung enthält wichtige Beiträge, etwa von der Kunsthistorikerin Hildtrud Ebert. Die formulierte schon 2003 einen Erklärungsversuch über das Verschwinden einer ostdeutschen Künstlerinnengeneration. Demnach hätten Förderprogramme für Künstlerinnen kaum gegriffen und eine zielgerichtete Karriereplanung wären vielen fremd gewesen. Es fehlten „die Rituale der Selbstinszenierung und die Souveränität in der Artikulation eigener Interessen“.

Diese Ausstellung ist ein Appell an aktuelle wie künftige Ausstellungsmacher, strukturelle Benachteiligung noch stärker im Blick zu haben. Bleibt zu hoffen, dass weitere Häuser die Präsentation übernehmen werden. Auch über einen zweiten Aufschlag denkt Andrea Pichl nach. Denn es gibt weit mehr als 50 relevante Künstlerinnen aus der DDR.

„Worin unsere Stärke besteht. 50 Künstlerinnen aus der DDR“, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, bis 30. Oktober

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen