Umverteilt – auch mit Zwang

Die Bremer Sozialsenatorin will wieder Zwangsmaßnahmen anwenden, um junge Geflüchtete umzuverteilen – für die Linkspartei ist das eine rote Linie. Bremen hatte sich mit besonders harschen Umverteilungen hervorgetan

Sollen notfalls auch unfreiwillig woanders hin: junge unbegleitete Geflüchtete bei einem Schwimmkurs Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Lotta Drügemöller

Alle sind sich einig, dass es ein Problem gibt: Minderjährige Geflüchtete, die ohne Begleitung nach Bremen gekommen sind, werden in der Stadt wieder in der Messehalle untergebracht, und in einem Großzelt auf dem Gelände eines Übergangswohnheims. „Nicht kindgerecht“ finden das Regierungsfraktionen und Opposition, auch die zuständige Sozialbehörde, ebenso der Bremer Flüchtlingsrat und der Verein Fluchtraum.

Für Kinder und Jugendliche sind eigentlich Wohngruppen vorgesehen, möglichst familiär und mit enger sozialpädagogischer Betreuung – nicht große Hallen mit wenig Privatsphäre. 400 unbegleitete Minderjährige sind dieses Jahr bisher in Bremen angekommen, mit 300 weiteren bis Jahresende rechnen die Behörden. Nun hat Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) in der Senatssitzung am Dienstag angekündigt, dass die jugendlichen Geflüchteten umverteilt werden müssten – und zwar notfalls auch mit Zwangsmitteln. Aber in der Koalition ist dieser Zwang eine rote Linie.

Die Umverteilung ist im Prinzip ein gängiger Rechtsakt. Die Bundesländer haben sich 2015 auf einen Verteilungsschlüssel für minderjährige Geflüchtete verständigt; in Bremen leben aktuell dreimal so viele, wie es dieser Schlüssel vorsieht. Doch das prinzipielle Einverständnis zwischen den Bundesländern übersieht, dass die umverteilten Menschen der Verteilung nicht gleichermaßen zustimmen müssen.

Bremen hatte bis 2020 eine besonders krude Verwaltungsanweisung für den Ablauf: Schriftlich festgehalten worden war dort, dass bei der Umverteilung der Minderjährigen auch „Hand- und Fußfesseln“ zum Einsatz kommen könnten. „Eine koloniale, rassistische Praxis, vor der die Sozialsenatorin offenbar in der Jugendhilfe nicht zurückschreckt“, sagt heute Gundula Oerter vom Bremer Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat und der Verein Fluchtraum hatten die Anweisung öffentlich gemacht und Fälle aufgedeckt, bei denen Jugendlichen Fesseln angelegt worden waren (taz berichtete).

Der Aufschrei von Kin­der­rechts­ex­per­t*in­nen war groß. Auf Druck vor allem aus der Linkspartei beschloss der Koalitionsausschuss, dass die Verwaltungsanweisung geändert werden müsse. Davon wieder abrücken wolle man nicht, so Sophia Leonidakis, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Seit der Änderung ist ein mehrschrittiges Verfahren empfohlen: Falls die Jugendlichen nicht umziehen wollen, folgen drei maximal Beratungsgespräche. Sollte es dann immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sein, wird die Verteilung abgebrochen.

„Seitdem findet so gut wie gar keine Umverteilung mehr aus Bremen statt“, sagt Wolf Krämer als stellvertretender Pressesprecher der Sozialsenatorin. Zwang müsse auch in Zukunft gar nicht immer zur Anwendung kommen, beschwichtigt er. „Es ist nur ein allerletztes Mittel. Aber wenn die Betroffenen von Anfang an wissen, dass wir keinerlei Instrumente haben, dann gibt es auch keine Bewegung.“ Die Koalition müsse sich in dieser Frage neu zusammensetzen.

Leonidakis dagegen sieht wenig Sinn darin, in Zukunft wieder Zwangsmittel einzusetzen. Sie und ihre Fraktion setzen weiter auf Beratung; wer nicht überzeugt, sondern gezwungen worden sei, umzuziehen, könne schließlich auch wieder zurück nach Bremen reisen. „Die Idee, dass man Menschen hin und her schiebt, funktioniert nur sehr begrenzt“, so Leonidakis.

Bis 2020 konnten in Bremen bei der Umverteilung der Minderjährigen auch „Hand- und Fußfesseln“ zum Einsatz kommen

Warum aber wollen die Jugendlichen überhaupt trotz der eher mäßigen Bedingungen in Bremen bleiben? Laut Behörde ist die weit überwiegende Anzahl der jungen Geflüchteten Selbstmelder – das heißt, „dass sie sich selbst für Bremen entschieden haben“, erklärt Behördensprecher Krämer. Städte haben ohnehin eine größere Attraktivität auf Jugendliche. Dazu kommt: Nicht alle Landstriche in Deutschland können für Schwarze Geflüchtete und People of Colour als sicher gelten. Diskriminierungserfahrungen sind nicht gleich über die Republik verteilt.

Die naheliegende Alternative zur Umverteilung wäre es, zusätzliche Plätze für junge Geflüchtete zu schaffen. Erste Hotels hat die Behörde für diesen Zweck angemietet; doch es reicht nicht. Ein weiteres Nadelöhr: die Fachkräfte. „Es gibt den Vorwurf, wir hätten uns nicht vorbereitet“, so Krämer, „doch das war hier keine Frage des Willens oder Geldes, sondern der Verfügbarkeit von Personal.“ Auch Dagmar Koch-Zadi vom Verein Fluchtraum bestätigt: „Der Markt für Sozial­pädagogen ist leergefegt.“

Für Leonidakis ist das kein ausreichendes Argument. Schließlich müssten auch die Zielkommunen für die Umverteilung Päd­ago­g*in­nen einstellen – mit zusätzlichen finanziellen Anreizen könnte man Personal nach Bremen locken, ist sie sich sicher. Auch Oerter vom Flüchtlingsrat akzeptiert die Argumentation des Sozialressorts nicht. Sie sei nicht bereit, die Probleme der Behörde zu lösen. „Aber wir können sagen, wie die Probleme nicht gelöst werden dürfen. Nämlich auf dem Rücken derjenigen, die besonderen Schutz benötigen.“

Eins ist klar: Kurzfristig helfen auch höhere Löhne nicht. Der Verein Fluchtraum hofft deshalb aktuell auf die Hilfe von Ehrenamtlichen, so wie vor Jahren: Nach den großen Fluchtbewegungen ab 2015 hatten sich zahlreiche Menschen in Deutschland engagiert und im Jugendhilfesystem die größten Härten abgefedert. Fluchtraum veranstaltet kommenden Dienstag einen Infoabend in der Bremer Pius-Gemeinde, um zusätzliche Men­to­r*in­nen für die jungen Geflüchteten zu finden.