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Berliner Pannenwahl 2021Die Wahl auf Wiedervorlage

Die Wahl vor einem Jahr war voller Pannen. Vielleicht zu viele: Am Mittwoch verhandelt das Landesverfassungsgericht über eine Wiederholung der Wahl.

Viel gab es zu zählen in Berlin bei der Wahl 2021. Vielleicht muss bald wieder neu gezählt werden Foto: picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow

Berlin taz | Mittwoch wird ein besonderer Tag für die Berliner Landespolitik. Nicht bloß, weil an diesem Tag die lang erwartete Ministerpräsidentenkonferenz tagt, bei der Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) einen bundesweiten Energiedeckel durchsetzen will, der aus ihrer Sicht der einzige Schutz gegen breite Verarmung ist. Nein, es ist auch der Tag, der eine abrupt verkürzte Amtszeit Giffeys einleiten könnte. Denn das Berliner Verfassungsgericht verhandelt dann über Einsprüche gegen die Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vor genau einem Jahr, am 26. September 2021 – und an deren Ende könnte eine Wahlwiederholung stehen. Das Urteil kommt zwar erst später, die mündliche Verhandlung lässt aber oft Rückschlüsse zu. Die taz dröselt auf, worum es im Kern geht, wer die wichtigsten Akteure und was die Folgen sind.

Worum geht es eigentlich?

Der Wahltag am 26. September 2021 war geprägt von zahlreichen Pannen. Vielerorts fehlten Wahlzettel oder es gab die falschen. Wegen der Coronaregeln gab es in den Wahllokalen weniger Wahlkabinen, was für längere Wartezeiten sorgte. Wahlwillige standen oft über eine Stunde an, brachen die Warterei ab oder wählten teils auch noch nach 18 Uhr, als es bei ARD und ZDF schon Prognosen zum Wahlausgang gab.

Was verschlimmerte die Situation?

Zwei Dinge: zum einen die Mehrfachabstimmung an diesem Tag, zum anderen der zeitgleiche Marathon, der zu zahlreiche Straßensperrungen führte. Es waren nicht nur zwei Stimmen für die Abgeordetenhauswahl und eine für die Bezirkswahl abzugeben, sondern auch noch zwei Kreuze auf dem Stimmzettel für die Bundestagswahl zu machen – und eine Entscheidung beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zu treffen.

Wieso beschäftigt sich das Verfassungsgericht damit?

Weil es beim Gericht 35 Einsprüche gegen die Berliner Wahlen gegeben hat, die als Wahlprüfungsaufträge gelten.

Werden diese 35 Einsprüche alle am Mittwoch verhandelt?

Nein, nur vier davon: die Beschwerden der Landeswahlleitung, der Innenverwaltung des Senats sowie die von zwei politischen Parteien (AfD und Die Partei). Die seien geeignet, „alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen abzudecken“, heißt es vom Gericht. Über die anderen soll später entschieden werden.

Wo findet das statt?

Zum allerersten Mal bei einer mündlichen Verhandlung nicht im Plenarsaal oder einem anderen Saal des Kammergerichts an der Elßholtzstraße. Schauplatz ist stattdessen der Große Hörsaal B.001 des Fachbereichs Chemie, Biologie und Pharmazie der Freien Universität in Dahlem, ein nüchterner Neubau gegenüber dem Museum Europäischer Kulturen.

Warum der Umzug?

Wegen der großen Zahl von Betroffenen und Anzuhörenden – bis Ende vergangener Woche hatten sich schon über 200 Personen angekündigt. Der über zwei Etagen reichende Hörsaal hat rund 600 Plätze.

Wann kommt denn das Urteil?

Das ist offen. Einen Termin hat das Gericht noch nicht festgelegt. Spätestens verkündet werden müsste das Urteil eigentlich am 28. Dezember – denn im Gesetz über den Verfassungsgerichtshof steht: „Zwischen dem Abschluss der mündlichen Verhandlung und der Verkündung der Entscheidung sollen nicht mehr als drei Monate liegen.“ Eine „Soll“-Bestimmung, keine zwingende Vorschrift.

Was ist dann möglich?

Dreierlei: keine Wahl, Wahlen in einzelnen Wahlkreisen oder eine komplette Wahlwiederholung.

Könnte denn auch ohne Urteil Mittwoch klarer werden, in welche Richtung es geht?

Ja. Denn das Gericht hat für Mittwoch auch „eine erste rechtliche Einschätzung“ angekündigt.

Wenn das Urteil „Wahlwiederholung“ heißt – wann kommt die dann?

Das wiederum regelt Paragraf 21 des Landeswahlgesetzes: „Spätestens 90 Tage nach der Entscheidung.“ Bei Ausreizung beider Spielräume müsste also spätestens am 28. März 2023 gewählt werden.

Sind maximal 90 Tage nicht knapp, um all die Kandidaten zu wählen? Wahlkampf soll es ja auch noch geben.

Es gibt keine neue Kandidatenaufstellung – es treten dieselben wie 2021 an. Im Wahlgesetz steht nämlich, eine Wiederholungswahl finde „nach (…) denselben Wahlvorschlägen statt“. Niemand wird allerdings gezwungen, erneut anzutreten: Kandidierende können zurücktreten und müssen das bloß gegenüber der Wahlleitung erklären.

Geht es am Mittwoch auch um eine Wiederholung der Bundestagswahl?

Nein, nur um die Berliner Wahlen. Für Einsprüche gegen die Bundestagswahl ist der Bundestag zuständig.

Und was meint der Bundestag?

Eine abschließende Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses liegt noch nicht vor, eine Entscheidung des Parlaments wird für Oktober erwartet.

Und die gilt dann?

Nur wenn kein Betroffener dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht angeht – was allerdings weithin erwartet wird.

Wie steht denn der Senat zu Neuwahlen? Die Innenverwaltung hatte ja selbst Einspruch gegen die Wahl eingelegt.

„Ich gehe nicht von einer Neuwahl aus“, hat jüngst Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gesagt, die Chefin des für Wahlen zuständigen Senatsressorts. Da könnte ein gewisser Eigennutz die Sichtweise beeinflussen, denn die 2021 siegreiche SPD hat am meisten zu verlieren.

Wenn nicht die SPD, wer hätte denn Interesse an Neuwahlen?

Vor allem die oppositionelle CDU und die Grünen. CDU-Generalsekretär Mario Czaja setzte schon bei einem Landesparteitag Mitte Juni darauf, dass im März 2023 neu gewählt wird. Aber auch die Grünen sehen eine zweite Chance, Bettina Jarasch, derzeit Verkehrssenatorin, zur ersten grünen Regierenden Bürgermeisterin zu machen.

Was sagen die Umfragen dazu?

Grüne und CDU liegen in der jüngsten am Donnerstag veröffentlichten Umfrage von RBB und Morgenpost mit 22 und 21 Prozent deutlich vor Wahlsiegerin SPD mit nur noch 17 Prozent. Auch die Beliebtheit von Regierungschefin Giffey ist stark gesunken.

Falls die Wahl vom 26. September 2021 annulliert wird, sind dann alle Entscheidungen ungültig, die das Abgeordnetenhaus und die von ihm am 21. Dezember gewählte Regierungschefin getroffen haben?

Nein, meinen Rechtsexperten. Gerichtssprecherin Lisa Jani etwa verweist darauf, dass das Wahlgesetz so getroffene Entscheidungen nicht für ungültig erklärt und eine andere Regelung nicht bekannt sei. Auch die Senatsverwaltung für Inneres sieht das so.

Gilt das auch bei einer Wiederholung der Bundestagswahl?

Ja. Von der Pressestelle des Parlaments heißt es: „Die Beschlüsse blieben im Falle einer Wahlwiederholung gültig.“

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