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Berliner Gedenktafel für Bozorg AlaviEin Universalgelehrter, ein Mittler

Der iranische Autor Bozorg Alavi ging 1953 in der DDR ins Exil. Er begeisterte auch viele Deutsche für persische Sprache und Literatur.

Um eine Gedenktafel reicher: Das Frankfurter Tor Foto: dpa

In einer seiner besten Erzählungen beschreibt der 1904 in Teheran geborene Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Bozorg Alavi, wie einer seiner Mitgefangenen den Verstand verlor. „Er lachte immerzu“, schreibt Alavi, „und es schwang dabei ein eigentümlicher Ton mit, der sich wie Pfeifen anhörte. Es war ein abgehacktes, unartikuliertes, schrilles Lachen … Ich hielt mir immer die Ohren zu wenn es losbrach, und es klingt mir noch heute in den Ohren, wenn ich daran zurückdenke.“

Eines Tages beginnt der Mitgefangene, schreibt Alavi, sich die Augen mit Ruß zu färben und so lang in die Sonne zu starren, weil er meinte, sie sähen danach vielleicht interessanter aus. Irgendwann kauert er wie eine Eule in der Ecke seiner Zelle. Schließlich brachten sie ihn weg – wer weiß, wohin.

Die Geschichte „Erwartung“, die sich so erschütternd gegenwärtig liest, als sei sie gerade erst geschrieben, ist 1960 im Verlag Rütten und Loening in Ostberlin erschienen. 1937 kam ihr Autor Bozorg Alavi wegen „kommunistischer Aktivitäten“ im Iran ins Gefängnis. 1953 ging er in der DDR ins Exil. Das Land war zu der Zeit eines der wichtigsten Aufnahmeländer für politische Emigranten. Bis zu seinem Tod 1997 lebte Alavi in der Frankfurter Allee 2, direkt am Frankfurter Tor.

Kurz bevor an diesem Ort am glühend heißen Mittwochnachmittag bei tosendem Verkehr eine Gedenktafel für ihn enthüllt wird, spricht Staatssekretär für Kultur Torsten Wöhlert (Linke), der selbst studierter Iranwissenschaftler ist und sich das von Alavi geschriebene Persisch-Deutsch-Wörterbuch unter den Arm geklemmt hat. Er bringt den Punkt, warum auch diese der rund 450 Gedenktafeln in Berlin so wichtig ist.

Einer der meistgelesenen Autoren im Iran

Alavi war nicht nur „ein Universalgelehrter, wie man ihn heute nur noch selten findet“, er ist im Iran einer der meistgelesenen Autoren und Identifika­tionsfigur einer ganzen Generation. Durch seine Schriften und durch die maßgeblich von ihm angeschobene Entwicklung eines international anerkannten Zentrums für Iranistik an der Humboldt-Universität begeisterte er auch viele Deutsche für die persische Sprache und Literatur.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass an diesem Nachmittag unter den etwa 50 Menschen, die an Alavi erinnern möchten, nicht nur ältere Menschen sind, die sich auf Persisch unterhalten. Es ist schade, dass Alavis Prosa, die sich nicht nur mit seinen Erfahrungen im Iran, sonder auch mit jenen im Exil auseinander setzt, in Deutschland nicht neu übersetzt und verlegt wird. Vielleicht ist die Gedenktafel ja ein erster Schritt in diese Richtung.

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2 Kommentare

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  • Ohne die Verdienste von Alavi um die Vermittlung der persischen Kultur im deutschsprachigen Raum schmälern zu wollen: viele Intellektuelle und Künstler, die im 20. Jahrhundert als Exilanten nach Berlin kamen und hier wirkten, warten auf Wiederentdeckung und Würdigung. Warum sie vergessen bleiben oder beispielsweise mit einer Gedenktafel geehrt werden, hat viele Gründe. In diesem Fall: In Deutschland gibt es zwar nicht wenige Iraner erster, zweiter und sogar höherer Generation, doch die derzeitigen kulturellen Beziehungen beider Länder sind nicht sehr lebendig.

    Außerdem wird die Iranistik hierzulande nur an wenigen Universitäten gelehrt - ein echtes Orchideenfach. Seit 1993 verfügt die Humboldt-Universität über keinen eigenständigen Lehrstuhl mehr, heute ist das Fach Teil der Zentralasienstudien. Das Wörterbuch und das Sprachlehrbuch, die Alavi mt deutschen Ko-Autoren dort in den 1960ern erarbeitete, sind bis heute gültige Meilensteine.

    Doch ob der Wirkungsgrad dieses Intellektuellen über seine akademische Umgebung in der DDR hinaus so groß war, wie hier im Artikel behauptet, ist zweifelhaft. In einer 2018 erschienenen Dissertation wird Alavi - im Gegensatz zu den frühen literarischen Erfolgen - in seiner Exilphase ab 1953 als „Schriftsteller ohne Leser“ bezeichnet. Immerhin würdigte die Berliner Staatsbibliothek seinen 100. Geburtstag mit einer Ausstellung.

    Ein Umstand in der Biographie Bozorg Alavis bleibt im Artikel unerwähnt: Sein Vater lebte vorübergehend in Deutschland und holte 1921 zwei seiner Söhne ins Land, um das Gymnasium und die Universität zu besuchen. Häufige Besuche in Berlin beeindruckten den jungen Bozorg sicherlich tief. 1928 kehrte er aus wirtschaftlicher Not nach dem Tod des Vaters in die Heimat zurück. Sein Bezug zu Deutschland ist also nicht nur der eines Exilschriftstellers und kommunistischen Polit-Emigranten.

  • Wäre Herr Alavi nach 1979 nach dem damaligen West-Berlin gefohen und hätte dann an der FU gelehrt, dann hätte ich die Entscheidung nachvollziehen können. So wirkt das Ganze wie eine Lobpreisung der die Linke aif die DDR und den Kommunismus. Man fühlt sich scheinbar auch nach 30 Jahren noch immer nicht so richtig angekommen und sucht nach Rollenbildern. Wenn ein Wörterbuch dafür reicht - bitteschön, gern geschehen.