: Nach dem Urteil ist vor dem Urteil
Das Bundesverfassungsgericht gibt Eisschnellläuferin Claudia Pechstein teilweise recht, hebt aber mitnichten die internationale Sportgerichtsbarkeit aus den Angeln
Von Christian Rath
Die immer noch aktive mehrfache Olympiasiegerin Claudia Pechstein wurde vor der Weltmeisterschaft 2009 wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt. Der Sportgerichtshof CAS bestätigte die Sperre einst. Pechstein erklärt die Blutwerte mit einer ererbten Anomalie und verklagte die Internationale Eislaufunion (ISU) vor deutschen Gerichten auf rund 3,5 Millionen Euro Schadenersatz für geplatzte und ausbleibende Sponsorenverträge.
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied allerdings im Jahr 2016, dass Pechstein nicht vor deutschen Gerichten klagen kann, denn sie habe eine Schiedsvereinbarung der ISU unterschrieben, dass Verfahren vor dem CAS abschließend sind. Dabei habe der Verband seine marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht, so der BGH in seinem Urteil.
Gegen das BGH-Urteil erhob Pechstein Verfassungsbeschwerde und bekam in Karlsruhe nun teilweise recht. Zwar sei der Abschluss von Schiedsvereinbarungen, die den Weg zu nationalen Gerichten ausschließen, im Prinzip „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“, so die Verfassungsrichter. Sie dienten der Bekämpfung des Dopings und gewährleisteten eine international einheitliche Sportgerichtsbarkeit. Allerdings entsprachen die Verfahren vorm Sportgerichtshof CAS nicht rechtsstaatlichen Standards, weil es damals keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung gab, rügten die Richter. Damit sei der „Justizgewährleistungsanspruch“ der Sportlerin verletzt.
Die CAS-Statuten haben sich inzwischen geändert. Denn 2018 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bereits die fehlende Öffentlichkeit von CAS-Verhandlungen gerügt. Auch dieser Entscheidung lag eine Klage von Pechstein zugrunde. In den aktuellen CAS-Statuten von 2019 kann nun eine öffentliche Verhandlung verlangt werden. Das Verfassungsgericht verlangt also keine Änderungen am CAS-System, sondern vollzieht nur nach, was sich eh bereits geändert hat.
Immerhin kann Pechstein nun ihre persönliche Schadenersatzklage beim OLG München weiterverfolgen. Hier ist aber noch fast alles ungeklärt: ob Pechstein zu Unrecht gesperrt wurde und welchen materiellen Schaden sie in der Folge erlitt. Pechsteins Verfahren steht nach rund zehn Jahren immer noch am Anfang. Der Linke-Politiker Gregor Gysi sprach derweil von einem „historischen Erfolg“.
„Der Internationale Sportgerichtshof, die Sportgerichtsbarkeit insgesamt müssen ihre Allmachtsgefühle aufgeben und sich künftig ebenfalls der Rechtsprechung unterwerfen“, erklärte der Jurist. Pechstein sei „über lange Zeit ihrer sportlichen Möglichkeiten beraubt“ worden.
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