Taxigewerbe beantragt Tariferhöhung: Im Rollstuhl zahlt man extra
Taxis werden teurer. Zum Entsetzen der Behindertenbeiräte überlegen Niedersachsens Landkreise, einem Zuschlag für Rollifahrer zuzustimmen.
Das gilt allerdings nur für Menschen, die im Rollstuhl sitzend transportiert werden müssen, weil sie nicht umgesetzt werden können. Die meisten Behinderten- und Inklusionsbeiräte sind empört, dass ausgerechnet derart mobilitätseingeschränkte Menschen noch einmal zusätzlich belastet werden.
Und auch der Sozialverband Deutschlands (SoVD) schlägt Alarm: „Deutlicher kann man Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren“, sagt der niedersächsische Landesvorsitzende Bernhard Sackarendt.
Doch der Reihe nach: Um eine Erhöhung der Taxitarife bittet der Branchenverband GVN schon länger. Niemand bestreitet, dass dieses Gewerbe ein üble, holprige Durststrecke hinter sich hat. Die meisten aktuell gültigen Tarife sind sechs oder sieben Jahre alt – in der Zwischenzeit wurde der Mindestlohn mehrfach erhöht, stieg der Dieselpreis in ungeahnte Höhen und brachte Corona einen Großteil des Geschäfts zum Erliegen.
Taxiunternehmer wollen Aufwand und Umbau bezahlt haben
Gleichzeitig ist so eine Erhöhung auch nicht ganz einfach: Übertreibt man es, bleiben die Kunden weg – dann verdienen die Unternehmen auch nicht besser. Und so eine Tariferhöhung muss ein Weilchen halten: Das Abstimmungsprozedere ist lang und umständlich – das möchte man nicht in jedem Landkreis alle zwei Jahre durchführen, zumal die technische Umstellung der geeichten Taxameter ja auch Zeit und Kapazitäten braucht.
In diesem Fall hat der GVN also schon zu Beginn des vergangenen Jahres bei fast allen der 45 Landkreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen eine Anpassung der Tarife beantragt und dabei auch die Einführung des Rollstuhlfahrerzuschlags angeregt.
„Das ist einfach ein erheblicher Mehraufwand: Sie brauchen extra geschulte Fahrer, müssen die Rampe ausfahren, den Rollstuhlfahrer in Empfang nehmen, reinfahren, sichern – alles ohne dass die Uhr läuft“, rechtfertigt sich Gast. Auch die Umrüstung der Fahrzeuge werde immer teurer, 8.000 bis 10.000 Euro koste dies mittlerweile.
Corona sei Dank blieb die Forderung bei den meisten Landkreisen aber erst einmal liegen. So lange, dass nun selbst das niedersächsische Wirtschaftsministerium zu einer raschen Beratung drängt. Das geht dann schon einmal schief: Im Landkreis Rotenburg etwa wurde der Behindertenbeirat so spät in die Beratung einbezogen, dass er seine Einwände kaum noch geltend machen konnte.
Es gäbe Alternativen, doch die interessieren kaum jemanden
Insgesamt sieben Landkreise haben nach der vorläufigen Zählung der GVN bisher einen Zuschlag für Rollstuhlfahrer beschlossen, in sechs Kreisen oder Städten (darunter Göttingen) gab es so etwas vorher schon, in 15 Kreisen steht die Entscheidung noch aus, manche Landkreise (darunter Wesermarsch und die Region Hannover) haben den Rollstuhlzuschlag abgelehnt, andere haben nur die allgemeine Tariferhöhung beschlossen und wollen über den Rollstuhlfahrerzuschlag noch einmal extra beraten.
Bernhard Sackarendt, niedersächsischer Landesvorsitzender vom Sozialverband Deutschlands
„So entsteht ein Flickenteppich. Es kann doch nicht sein, dass es vom Wohnort abhängt, ob ich als Mensch mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann oder nicht“, sagt Sackarendt vom SoVD.
Die Zuschläge bewegen sich zwischen 5 und 15 Euro für die einfache Fahrt. Wenn es ganz unglücklich läuft, kann ein Ausflug ins Kino also plötzlich mal dreißig Euro mehr kosten. In solchen Fällen greift auch die beliebte Argumentation „Das zahlt doch eh die Kasse“ nicht – die kommt nämlich nur für medizinisch notwendige Fahrten auf.
Der SoVD hätte es lieber gesehen, wenn die Landkreise oder das Land stattdessen die Umrüstung der Taxen subventionieren würden. „Damit wären wir auch viel glücklicher, dann bräuchten wir den Zuschlag nicht“, versichert Harald Gast vom GVN. Diesen Alternativvorschlag habe er auch in jeden seiner Anträge geschrieben, sagt er. Bisher habe aber nicht ein Landkreis darauf reagiert.
Möglicherweise drohen Klagen
Alternativ hätte man die Kosten für den Rollstuhltransport natürlich auch bei den allgemeinen Tariferhöhungen einpreisen können – immerhin werden Rollstuhlfahrer im öffentlichen Nahverkehr (und zu dem zählen Taxen rechtlich auch) sonst ja auch nicht für den Bau von Hochbahnsteigen und die Anschaffung barrierefreier Busse zur Kasse gebeten. Aber angesichts der Tatsache, dass die Tariferhöhungen nun ohnehin schon ziemlich üppig ausfallen (25 bis 30 Prozent), traut sich das im Moment niemand.
Gerhard Bredehorst, der Vorsitzende des übergangenen Behindertenbeirats im Landkreis Rotenburg, zweifelt daran, dass die Zuschlagsregelung rechtens ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies mit der UN-Behindertenkonvention oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass jemand dagegen klagt.“
Er hat jedenfalls darauf gedrängt, dass sich der Landesbehindertenbeirat auf einer seiner nächsten Sitzungen mit dem Thema befasst. „Das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung