Dürres Land

Brandenburg war schon immer heiß und trocken. Durch den Klimawandel leidet es aber mehr als andere Länder unter der Dürre. Das gefährdet Landwirtschaft und wirtschaftliche Existenzen

Ein bisschen früher für die Zukunft: Carmen Becker beim Pflügen zu Pferd

Aus Dahmsdorf, Obersdorf und Steinhöfel Susanne Messmer
Fotos André Wunstorf

Carmen Becker sitzt auf einem Kultivator, der von zwei Kaltblütern durchs Lauchfeld gezogen werden soll, sagt „los“ und muss grinsen. Die Sonne brennt, die Pferde wollen nicht gehen. Es riecht nach Staub.

„Vorführeffekt“, freut sich auch Jan Sommer, der am Feld­rand steht und mit dem Carmen Becker den Waldpferdehof betreibt. „Die merken genau, „dass mit Ihnen hier jemand zusieht, der nicht dazugehört“, erklärt er und fächelt sich mit dem ausladenden Strohhut ein wenig Luft zu.

Für Carmen Becker und Jan Sommer ist die Klimakrise im vollen Gang. Am Rand des Naturparks Märkische Schweiz, eines beliebten Ausflugsziels für stadtmüde Berliner*innen, im kleinen Dorf Dahmsdorf bei der 7.000-Einwohner-Stadt Mün­che­berg, betreiben sie seit 2009 einen Demeter-Hof. Dort bauen sie alte Getreidesorten für Berliner Bäckereien an und – auf drei bis vier Hektar – Gemüse, vor allem für Abokisten.

Ihren Boden beackern Becker und Sommer vor allem mit einem amerikanischen Kultivator, einem von Pferden gezogenen Feldbearbeitungsgerät, auf dem sie sitzen können wie auf einer Kutsche. Entwickelt haben es die Amischen – eine Glaubensgemeinschaft, die jede moderne Technik ablehnt. Das ist aber nicht einfach nur schrullig. „Mit dieser Methode verdichten wir die Erde nicht und reißen sie nicht tiefer auf als nötig“, erklärt Jan Sommer. „So kann weniger Wasser verdunsten.“

Jan Sommer und Carmen ­Becker haben es in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen: Brandenburg, das mit 3.000 Seen gewässerreichste Bundesland, war schon vor der durch Menschen verursachten Klimaveränderung eine der trockensten Regionen. Während es in Teilen von West- oder Süddeutschland in guten Zeiten 1.000 Liter auf den Quadratmeter regnet, sind es in Brandenburg laut Deutschem Wetterdienst nur etwas mehr als 500.

Die Gründe sind komplex. Das Klima in Ostdeutschland ist generell kontinental, erklärt Frank Wechsung vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das heißt, dort kommt weniger Regen vom Atlantik an. Aber während es zum Beispiel auch in Sachsen-Anhalt wenig regnet, gibt es dort auch fruchtbare und wasserspeicherfähigere Böden. In Brandenburg dagegen sind die Böden sandig und können das Wasser kaum halten.

Und seit dem Klimawandel kommt noch der durchschnittliche Temperaturanstieg in Deutschland um 2 Grad hinzu. Je heißer es wird – und laut Weltklimarat wird es in den nächsten 20 Jahren in Brandenburg noch mal gut 2 Grad heißer –, desto mehr Wasser verdunsten die Pflanzen auch.

„2018 gab es nur etwas mehr als 300 Liter Regen, aber auch 2019 und 2020 waren extrem trockene Jahre“, erklärt Wechsung. Das Defizit wurde durch das durchschnittlich nasse Jahr 2021 nicht ausgeglichen. Und im laufenden Jahr hat es bislang so wenig geregnet, dass es schon wieder zahlreiche Meldungen über Waldbrände in Brandenburg gab. „Das bringt eine ganz neue Problematik in die Betrachtung“, so Wechsung.

Steckt Brandenburg also tiefer in der Klimakrise als andere Bundesländer? Einerseits ja. Andererseits kommt es anderswo zu anderen Wetterextremen, man denke an den Starkregen im Ahrtal.

Die Landwirtschaft werde überall auf ganz verschiedene Weise eine größere Herausforderung, sagt Wechsung. Wie wird sie also aussehen in Brandenburg 2050? Wie in der Wüste Australiens, wie es 2019 eine Hochschule in Zürich analysiert hat? Wird das Höfe­sterben noch mehr um sich greifen? Wird das Land zunehmend ein Freizeitpark, der die Metropolen­region nicht mehr mit regio­nalen Grundnahrungsmitteln versorgen kann – und das in einer Zeit, wo es notwendiger ist denn je, sich vom globalen Markt unabhängiger zu ­machen? Oder wird Brandenburg gar ein technisches Versuchslabor voller Windkrafträder, unter denen nur noch Schafe grasen?

Wissenschaftler suchen bereits nach Methoden, Kondenswasser aus der Umgebungsluft zu ziehen oder die Wasserspeicherfähigkeit eines Bodens zu erhöhen, indem er mit ­Silikaten gedüngt wurde. Geo­ökologe Claas Nendel vom Leibniz-­Zentrum für Agrarlandschaft in Müncheberg bedauert es beispielsweise, dass die Entwicklung von Agrarrobotern noch nicht weit genug ist. „Diese könnten auch auf kleinen Feldern effektiv arbeiten und damit unterschiedliche Anbaustrategien auf einem Feld möglich machen, etwa wo sich zu viel Wasser sammelt oder viel mehr Sand ist. Dort könnte man dann besser Hecken pflanzen“, meint er.

Lebendigkeit statt Wundermittel

Wird das Land mehr und mehr zum Freizeitpark, der die Städte nicht mehr mit Grund­nahrungs­mitteln versorgen kann – wo es notwendiger ist denn je, sich vom globalen Markt unabhängiger zu machen?

„Wir brauchen keine Wundermittel, sondern Verlebendigung“, sagt Jan Sommer ­kämpferisch. „Wir brauchen Humus statt Chemie und mehr Kleinräumigkeit in der Landschaft.“ Darum haben Becker und Sommer neben den Pferden noch ein weiteres Projekt angestoßen. Erst im Dezember wurden direkt neben dem Lauchfeld, über das nun die Pferde ­ziehen, drei parallel verlaufende geschwungene Baumreihen aus 158 Haselnuss-, ­Walnuss- und Esskastanienbäumen inklusive Sammel­gräben und kleiner Verwallung gepflanzt. „Diese ­Keylines“, erklärt Sommer, „haben Brandenburger Landschaftsplaner entwickelt. Wenn die Bäume groß genug sind, schützen sie vor Wind- und Wassererosion, beschatten aber auch das Acker- oder Grünland zwischen den Bäumen.“

Agroforst nennt man dieses System. Die Keylines werden mehr Wasser halten als ­gerade Baumreihen. Außerdem komme die Landschaft der Märkischen Schweiz viel besser zur Geltung, finden Becker und Sommer. Eines Tages werden sie zusätzlich zum ­Gemüse und zum Getreide Nüsse und Esskastanien vermarkten.

Und auf dem Land zwischen und unter den Bäumen: Da könnten sie sich in der Zukunft mobile Ställe für ­Hühner vorstellen, die Eier legen und ­nebenbei auch noch gern ­Walnussfruchtfliegen fressen. „Je diverser wir aufgestellt sind, desto besser“, sagt Sommer. „Ich fürchte, der Kampf ums Wasser hat gerade erst begonnen.“

Aber nicht nur die Landwirtschaft hat die Angst vor der Dürre. Nur wenige Kilometer von Carmen Beckers und Jan Sommers Waldpferdehof entfernt in Obersdorf vermieten Gisela Wiehe und ihre Frau Charlotte Schmidt in einem idyllischen Backsteinhof mit Holzsprossenfenstern, Gemüse­garten in der Stallruine und meergrün lasiertem Holztor Ferienwohnungen.

Flüsse und Seen verlanden

Auch hier liegen die Nerven blank. Gisela Wiehe beginnt sofort mit den Mooren: Neun von zehn sind in Brandenburg schon trocken gefallen, auch immer mehr Seen verlanden. Selbst im idyllischen Naturpark Märkische Schweiz wurden nach der Wende zwecks Kultivierung Drainagen gelegt. Das hat viele Luche und Sölle, die vermoorten Niederungen, das Leben gekostet. Die Drainagen transportieren das wertvolle Wasser viel zu schnell weg.

Wiehe und Schmidt geben trotzdem nicht auf. Sie haben einen­ runden Tisch zu den ­Drainagen organisiert. Vergangenen Winter haben sie mit Hilfe ihres Zen-Vereins eine 140 Meter lange Feldhecke aus Schlehen, Felsenbirnen, Ebereschen, Weißdorn, Wildrose und Holunder gepflanzt. Noch sind die Pflanzen klein, aber bald wird es hier im Frühling für Insekten blühen und im Herbst Beeren für Vögel geben. Die Hecke wird kühlen und Wasser halten.

„Wer optimistisch ist, der hat die Zahlen nicht richtig gelesen“, sagt Gisela Wiehe trotzdem. Wer weiß, ob es den Feriengästen nicht eines Tages zu ungemütlich wird in Brandenburg. Auch das könnte die Existenz vieler Menschen hier gefährden.

So ähnlich sieht das auch Ahne Ihm, der ein paar Kilometer weiter südlich in Stein­höfel hinter einer alten Backsteinmauer auf dem Gelände des ­alten Schlossgartens seit 2004 mit seinem Verein StadtKunstLeben einen zwei Hektar großen ökologischen Garten der anderen Art bewirtschaftet, wo naturbegeisterte Ber­li­ne­r*in­nen nicht nur das Ernten, sondern in Kochkursen auch das Verarbeiten lernen können.

Wie man’s eben angeht: Benjamin Meise sagt, er sei eher Betriebswirt als Bauer

Ihm, der sich selbst Gärtner, DJ, Argonaut und Food-Aktivist nennt und zwischen Stadt und Land pendelt, ist begeistert von der Vielfalt seines Gartens, von Gartenmelde, türkischem Drachenkopf, Jungfer im Grünen. Doch das Gras zwischen seinen Beeten ist ebenso verbrannt wie in der berühmten benachbarten Schlossanlage inklusive Grotte und chinesischem Pavillon, die zu den schönsten der Region gehört. Es riecht nach Heu.

„Ich versuche, viel zu mulchen und mich auf alte Gemüsesorten zu spezialisieren“, sagt er. Noch hat der Gärtner keine Angst, dass ihm die Gemeinde das Wasser abdreht. Trotzdem hat er Sorge, dass Brandenburg an Attraktivität verliert. Von wegen Freizeitpark: Viele der umweltbewussten Großstädter*innen, die auch mal auf einer Fridays-for-Future-Demo mitlaufen, mögen es lieber grün und saftig als dürr „Vielleicht muss ich den Garten eines Tages aufgeben“, sagt Ihm.

Mais kann zum Problem werden

Projekte wie seine gibt es viele rund um Berlin. Was soll aus ihnen werden, wenn es immer heißer wird? Das Dorf Steinhöfel gehört nicht mehr zur Märkischen Schweiz. Die Landschaft ist hier flacher, leergeräumter – langweiliger. Endlose Maisfelder erstrecken sich bis zum Horizont. Der kleinste Teil dessen, was hier geerntet wird, endet am Ende auf Tellern. Der größte Teil wird in Biogasanlagen und in Silos für die Futtermittelproduktion eingesetzt. Ohne den Einsatz von Glyphosat wären solche riesigen Monokulturen gar nicht möglich. Mais ist auch deshalb ein Problem, weil er viel Wasser braucht. Er verwandelt es zwar in viel Biomasse, bedeckt aber nicht den Boden. Der offene Acker zwischen den Pflanzen verdunstet zu viel Wasser.

Er gehört nicht nach Brandenburg, meint Frank Wechsung vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Wir müssen die Landwirtschaft bunter machen, sagt auch Ralf Bloch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Ralf Bloch. „Äcker, die 50 Hektar groß sind, das kann nicht so bleiben“, sagt er. Die Äcker sind groß in Steinhöfel. Andererseits leuchten dank Blühstreifenprogramm zwischen Straße und Feldrand der blaue Natternkopf, die gelbe Kamille und die weiße Wilde Möhre, die sich so schön im Wind wiegt. Es riecht nach Kräutertee.

Viel von diesem Land, um die 3.000 Hektar in der Gegend, gehört Benjamin Meise und seiner Unternehmensgruppe Agrarfrisch. Meise, der zu einem Treffen in seinem Büro geladen hat und sich selbst beim Interview „eher als Betriebswirt denn als Bauer“ bezeichnet, züchtet Rinder, hat 700 Milchkühe und 20.000 Legehennen.

Wir befinden uns also deutlich außerhalb der Bioblase, in der Bauern mit landwirtschaftlichen Methoden aus aller Welt und zu allen Zeiten experimentieren, mit Pferden arbeiten und Bäume neben die Äcker pflanzen, mit der Kompostierung menschlicher Fäkalien experimentieren, Fruchtfolgen anders takten, ihre Rinder wie Weidetiere in der Savanne grasen lassen, sodass sie Teile der Wiese runtertrampeln und auf diese Weise Mulch produzieren: Mob Grazing heißt das, die renommierte Hochschule für nachhaltige Entwicklung in der Brandenburger Kleinstadt Eberswalde versucht es gerade in Kooperation mit Landwirt*innen.

Doch Benjamin Meise hat begonnen umzudenken, obwohl er konventioneller Bauer ist. Trotzdem er einen gewachsenen Betrieb übernommen hat, wo es nun mal eher Äcker gab als Grasland, was man nicht von heute auf morgen ändern kann.

Werden dank neuer Rassen langsam diverser: Kühe auf dem Hof von Benjamin Meise

Er kennt die Prognosen. „Die Wissenschaft hat es errechnet“, sagt er. „Selbst wenn wir morgen den Schalter umlegen und plötzlich alle klimaneutral leben, wird sich unser Ertrag in 80 Jahren halbiert haben.“ Darum betreibt Meise nun regenerative Landwirtschaft, die viele Ideen aus der ökologischen Landwirtschaft inte­griert. Er ließ zwar eine Biogasanlage errichten und baut Mais an, hat aber wie Ökobauer Jan Sommer aufgehört zu pflügen und baut neue Kulturen aus heißen und trockenen Regionen wie Hartweizen an. In seinem Stall stehen vor allem schwarzbunte Hochleistungskühe, die kaum raus dürfen, Silage aus Mais und Luzerne fressen, enthornt wurden und große Euter haben. Aber es mischen sich auch erste Kreuzungen mit Jerseykühen darunter, die deutlich kleiner sind und weniger, dafür aber fettere und eiweißreichere Milch geben.

Für Versuche wie diese wird er nicht immer belohnt. Sein Bauernverband, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, fordert schon lang, dass die Europäische Union für ihre Agrarsubventionen mehr Vielfalt auf dem Acker verlangt. Auch von Dünger- und Pflanzenschutzmittelproduzenten fühlt Meise sich oft belächelt.

Benjamin Meise zieht sich mit einem verschmitzten Lächeln und irgendwie auch ein bisschen stolz seinen weißen Schutzanzug mit Haube an. Er will heute noch Joghurt machen. 2018, kurz vor Beginn des ersten Dürresommers, hat er auf seinem Gelände eine kleine Molkerei gebaut. Hier hat er unter anderem mit einem jungen Mitarbeiter aus Syrien arabischen Joghurt für den Berliner Markt entwickelt. „Wir müssen uns vom Klima unabhängiger machen“, sagt er. „Wir wollen auf das Schlechteste vorbereitet sein und das Beste hoffen.“

Auf die Frage, wie er sich die Landwirtschaft in Brandenburg 2050 vorstellt, antwortet er dann aber doch: „Hauptsache, wir können dann noch davon leben.“ Gerade überlegt er, einen Teil seiner unfruchtbarsten Flächen an Solarparkfirmen zu verpachten, schön versteckt hinter hohen Hecken und Bäumen, damit sie nicht so sehr das Bild stören. Das wird ihm ein Vielfaches dessen bringen, was ihm schon jetzt nur noch die Landwirtschaft bringt.

Dieser Beitrag ist Teil der Serie klimaland, in der taz-Reporter*innen beschreiben, was Klimakrise und Energiewende vor Ort bedeuten. Alle Texte: taz.de/klimaland