Die Lehrenaus der Katastrophe

Bei der Flutkatastrophe vor einem Jahr versagte auch der Zivilschutz. Innenministerin Faeser verspricht nun einen „Neustart“. BBK-Präsident Tiesler stimmt auf Dauerkrisen ein

Aus dem Totalausfall bei der Flut­katastrophe lernen: BBK-­Präsident Tiesler (links) mit Innen­ministerin Faeser und THW-Präsident Friedsam am Mittwoch in Berlin Foto: Fo­to: imago stock

Von Konrad Litschko

Ralph Tiesler wohnt nur wenige Kilometer vom Ahrtal entfernt, wo genau vor einem Jahr die Flutkatastrophe hereinbrach. Häuser und Brücken wurden von den Sturzfluten weggerissen, mehr als 130 Menschen starben allein in der Region, 184 waren es in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen insgesamt. „Der Schrecken sitzt bei uns allen noch ziemlich tief“, sagt der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) am Mittwoch in Berlin. Die Schicksale, auch aus seinem persönlichen Umfeld, gingen ihm „bis heute sehr nahe“.

Neben Tiesler sitzen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Gerd Friedsam, der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), das vor einem Jahr den größten Einsatz seiner Geschichte absolvierte. Das Trio präsentiert die Lehren, die Politik und Katastrophenhelfer aus der Flut gezogen haben. „Wir haben uns zu lange sicher gefühlt“, räumt Faeser ein. „Wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz.“ Auch Tiesler sieht diesen Schritt „überfällig“.

Tatsächlich versagten vor einem Jahr fast sämtliche Warnstrukturen: Frühe Hinweise auf die Flut wurden nicht an die Bevölkerung weitergegeben, ein flächendeckendes Warnsystem existierte nicht, Hel­fe­r:in­nen arbeiteten kaum koordiniert nebeneinander. Bisher ist der Katastrophenschutz Ländersache, Faeser will nun mehr Kooperation zwischen allen Beteiligten und mehr Bündelung im Bund. Letzterem stehen die Länder und Kommunen bisher allerdings reserviert gegenüber. Faeser aber verweist auf die Dringlichkeit: Die Pandemie, Extremwetter, der Ukrainekrieg – Krisen würden zum Alltag. Bereits Mitte Juni hatte sie mit den Lan­desin­nen­mi­nis­te­r:in­nen ein „Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“ beschlossen, das bei Tieslers BBK angesiedelt ist. In Katastrophenfällen sollen sich die Länder dort künftig enger austauschen und Ex­per­t:in­nen Risikoszenarien erarbeiten. Das BBK selbst soll 146 neue Stellen bekommen. Und zum Jahresende sollen sich Bund und Länder in einer Konferenz zum Thema Zivilschutz zusammensetzen.

Zudem werde man mehrere Notfallzeltstädte für je bis zu 5.000 Menschen anschaffen und den bundesweiten Wiederaufbau von Sirenen vorantreiben, verspricht Faeser. Investiert werde in den Cellbroadcast, mit dem Warnmeldungen auf Handys verschickt werden können. Ausgebaut werden soll auch die Warnapp „Nina“, die ebenfalls Notfallmeldungen aussendet.

Tiesler warnt, dass künftig auch in Deutschland Gebiete unbewohnbar sein werden

Außerdem sollen zwei Aktionstage auf den Ernstfall vorbereiten. Am 8. Dezember soll mit einem neuen Warntag die Kriseninfrastruktur getestet werden – und 2023 ein jährlicher Bevölkerungsschutztag eingeführt werden, bei dem ein Reagieren auf Katastrophen eingeübt werden soll. Für all die Maßnahmen sind im aktuellen Haushalt 300 Millionen Euro eingeplant. Die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen verlangen weit mehr: 10 Milliarden Euro sollen es in den kommenden zehn Jahren sein.

Zuvor hatte bereits das Ampelkabinett eine Resilienzstrategie verabschiedet, in der ebenfalls Krisenschutzmaßnahmen gebündelt werden. Von einem „historischen Dokument“ spricht BBK-Präsident Tiesler, da erstmals alle Ministerien bei dem Thema zusammengearbeitet hätten. Auch Tiesler sieht einen Dauerkrisenmodus, der ein neues Krisenbewusstsein der Bevölkerung verlange – und stimmt darauf mit ungeschönten Worten ein.

So blickt er voraus auf einen „harten Winter“, mit möglichem Gasmangel und neuer Coronawelle. „Dafür sollten alle überlegen, was wir auch selbst zu Hause tun können.“ Tieslers Vorschläge: Notfallvorrat, Erste-Hilfe-Kasten, alternative Energiequellen. „Alles was uns au­tark macht, macht Deutschland sicherer.“ Und Tiesler warnt auch, dass künftig einige Landstriche hierzulande aufgrund des Klimawandels und der Unwetter nicht mehr besiedelbar sein werden. Die Bür­ge­r:in­nen müssten sich hier auf „schwierige Diskussionen“ einstellen.