Neuer Roman von David Diop: Pathos und Abenteuer
Der franko-senegalesische Schriftsteller David Diop macht es sich in seinem aktuellen Roman „Reise ohne Wiederkehr“ in vielerlei Hinsicht zu einfach.
Der Blick von Michel Adanson ist leer, sein Geist wendet sich in seinen letzten Stunden einer Hoffnung zu. Der Hoffnung, dass seine Tochter Aglaia seine Mitschriften finden möge, die er für sie versteckt hat. Denn selbst sprechen kann er nicht mehr, um sich ihr zu erklären. Das wäre aber dringend nötig, denn ihre Beziehung war nie die beste, wie man zunächst aus Aglaias Perspektive erfährt.
Mit Schmerz erinnert sie sich an ihre Kindheit, in der der Vater kaum anwesend war. Manisch war er von der Idee besessen, eine Universal-Enzyklopädie von Flora und Fauna zu verfassen. Aglaia war ihrem Vater dennoch immer verbunden, wenngleich er ihr ein Rätsel blieb. Erst als sie die versteckten Hefte ihres Vaters entdeckt, wird sie erfahren, was ihn zu dem gemacht hat, der er war.
Die Leser:innen von David Diops neuem Roman „Reise ohne Wiederkehr“ haben es da leichter, Michel Adanson ist eine historische Person. Der Botaniker lebte im Frankreich des 18. Jahrhunderts und machte sich mit seiner Naturgeschichte des Senegal einen Namen, die Gattung der Affenbrotbäume ist nach ihm benannt. Im deutschsprachigen Raum fand sein Reisebericht „Michael Adansons Nachricht von seiner Reise nach Senegal und in dem Innern des Landes“ Verbreitung.
An diesem hat sich der franko-senegalesische Schriftsteller Diop für seinen dritten Roman großzügig bedient. Schauplätze, Personal und tropische Atmosphäre hat er der Vorlage entnommen. Denn die Hefte, die Aglaia findet und die den zweiten Teil der Erzählung bilden, enthalten Adansons Bericht einer Forschungsreise in den Senegal, um die dortige Flora und Fauna zu erkunden.
David Diop: „Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson“. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Aufbau, Berlin 2022. 238 Seiten. 22 Euro
International bekannt geworden
David Diop ist im vergangenen Jahr international bekannt geworden, als er für seinen Roman „Nachts ist unser Blut schwarz“ den International Booker Prize gewann. Die Geschichte versetzt die Leser:innen in den Kopf von einem der etwa 30.000 senegalesischen Soldaten, die als „Senegalschützen“ im Ersten Weltkrieg in der französischen Armee dienten.
Der von Andreas Jandl großartig übersetzte Roman, der auch den Prix Goncourt des lycéens erhielt, führt in die finstersten Kammern des Krieges. Er rollt die lyrische Anklage einer zerstörten Seele aus, die nach dem Verlust des besten Freundes auf den Schlachtfeldern von Verdun den Boden unter den Füßen verliert und in ein Dunkel gleitet, das nur noch die nackte Gewalt kennt.
Diops Roman, der aus den Gräben in den Senegal und wieder nach Europa führt, sei exemplarisch für „eine Literatur, die es uns ermöglicht, in die Köpfe anderer Menschen zu schauen“, hieß es in der Begründung zum Booker Prize.
In seinem neuen Roman, der ebenfalls für den Prix Goncourt nominiert war, lässt Diop in den Kopf eines Wissenschaftlers aus dem 18. Jahrhundert schauen. Das klingt vielversprechend, bietet das Zeitalter der Aufklärung mit seinem neugierigen Blick auf die vielerorts noch unbekannte Welt und der Erkundung des Menschen als vernunftbegabtes Wesen doch zahlreiche Anknüpfungspunkte, die eine spannende Lektüre erwarten lassen.
Rousseaus „Bekenntnisse“
In der heimlichen Hinterlassenschaft der Hefte klingen Rousseaus „Bekenntnisse“ an, die Einbettung in den kolonialen Kontext verspricht neue Erkenntnisse auf diesen unterbelichteten Teil der Geschichte.
Leider hat sich Diop nicht für aufklärerische Aspekte wie die Erkundung des menschlichen Wesens in der Fremde oder den Blick auf die westliche Sklavenhaltergesellschaft aus erkenntnisreicher Distanz entschieden, sondern für das Klischee einer Liebesgeschichte, mit der er Adansons Reisebericht fiktionalisiert.
Denn auf der senegalesischen Insel Gorée, die ein zentraler Hotspot für die Verschiffung von afrikanischen Sklaven nach Amerika war, gerät Adanson in den Bann von Maram Seck, einer „antiken Königin“, die von ihrem Onkel an die französischen Kolonialherren verkauft wurde. Sie wird ihm ihre abenteuerliche Geschichte erzählen, die mit männlicher Gewalt und Missbrauch, Unterwerfung und Sklaverei, aber auch mit Geisterglaube, Schamanismus und Emanzipation verbunden ist.
Die tragisch endende Amour fou zwischen Adanson und Maram steht im Mittelpunkt seiner Bekenntnisse, was den Text in vielerlei Hinsicht schwierig macht. Allein in den drei Erzählperspektiven – Aglaia, Adanson, Maram – wird die Inkonsistenz der Erzählung deutlich.
Frei von Ironie
Aglaias intime Erinnerung bricht beispielsweise abrupt ab und wird dann auch nicht mehr aufgegriffen. Als hätte der Autor plötzlich die Idee für ein anderes Buch gehabt. Das folgt dann mit Adansons fiktiven Aufzeichnungen, die sich in kompliziert-akademischen und kitschigen Wendungen verlieren. Mal ist Diop zu nah an der historisch-naturkundlichen Vorlage (nebst Verwendung des N-Worts), dann wieder verfällt er dem Pathos der Bekenntnisliteratur. Ohnehin ist der Roman nahezu vollkommen frei von Ironie und Leichtigkeit.
Statt den kolonialen Blick des Botanikers aus heutiger Perspektive zu brechen, trieft der Text vor pathetischem Exotismus und männlicher Gier. „Sie ging nun in völliger Nacktheit frei und bildschön umher wie eine schwarze, von Gott noch nicht aus dem Paradies vertriebene Eva“, erinnert sich Adanson an eine heimliche Beobachtung.
Diop wiederholt allerdings nicht nur den lüsternen und abwertenden Blick seines weißen Protagonisten, sondern nimmt Maram auch noch die Sprache. Das verwundert, denn er unterrichtet an der Universität in Pau französischsprachige afrikanische Literatur. Als Akademiker und Autor weist er immer wieder auf blinde Flecken der Kolonialgeschichte hin. Hier erzählt aber nicht Maram ihre Geschichte, sondern Adanson.
Zwar wird das im Roman markiert – „Eine erdachte Landschaft trat an die Stelle der realen“ –, die Entmündigung afrikanischer Frauen durch männliche Gewalt und Sklaverei wird dennoch literarisch erneuert. Warum er seine versklavte Protagonistin nicht selbst sprechen lässt, so wie es etwa Djaïli Amadou Amal in ihrem ausgezeichneten Roman „Die ungeduldigen Frauen“ tut, bleibt schleierhaft. Statt wirklich erhellender Eindrücke bleibt nach der Lektüre dieses Romans leider nur ein bitterer Nachgeschmack.
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