„Faust I“ bleibt ein Muss

Welche Literatur Schüler in Deutschland lesen müssen

Literatur von Frauen ist mit wenigen Ausnahmen weniger vertreten

Die Frage, welche literarischen Werke Schü­le­r:in­nen denn heutzutage im Deutschunterricht lesen (müssen), lässt sich kaum eindeutig beantworten. Denn das deutsche Bildungssystem ist und bleibt föderal organisiert. Und damit auch die Schullektüren: Einheitliche, bundesweite Vorgaben für zu lesende Romane, Novellen oder Dramen gibt es nicht. Oft nicht einmal landesweite.

„Grundsätzlich bestimmt das die Lehrkraft im Rahmen der Vorgaben des Bildungsplans“, sagt Benedikt Reinhard vom Kultusministerium Baden-Württemberg. Der Bildungsplan sei „kompetenzorientiert“ aufgebaut und schreibe deswegen keine festen Lektüren vor. Erst für die schriftliche Abiturprüfung sei das nötig. Für Baden-Württemberg sind das zurzeit Georg Büchners „Woyzeck“ und „Corpus Delicti“ von Juli Zeh. Außerdem: „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann und „Der Verschollene“ von Franz Kafka.

Auch im Land Berlin sind für das Abitur 2024 Zeh und Büchner verpflichtend. Die meisten Bundesländer versuchen über die ausgewählte Literatur die literarischen Epochen der vergangenen drei Jahrhunderte abzudecken und dabei die Genres der Epik, Dramatik und Lyrik unterzubringen.

Die Entscheidung über die jeweiligen verpflichtenden Lektüren treffen von den Kultusministerien ernannte Kommissionen aus Lehrkräften und Bildungsforscher:innen. Im Hamburger Lehrplan heißt es zudem: „An der Auswahl der einzelnen Texte sind die Schülerinnen und Schüler zu beteiligen.“ Die ausgewählten Texte sollen „literatur- oder kulturgeschichtlich repräsentativ sein“. Gleichzeitig aber auch einen „einsichtigen Bezug zu Lebenssituationen der Lernenden“ haben und dabei helfen, „eine aufgeschlossene Erwartungshaltung gegenüber Ungewohntem und Fremdem anzubahnen“. In Hamburg heißt das: Heinrich Mann „Der Untertan“ und Georg Büchner „Woyzeck“ müssen gelesen und besprochen werden. Andere Bundesländer wie zum Beispiel Schleswig-Holstein geben gar keine Pflichtlektüre vor. Dafür einen „Orientierungsrahmen“.

Die verpflichtende Abitur-Lektüren in Berlin und Brandenburg wechseln bisher alle zwei Jahre. Doch erneuert wird wenig, hauptsächlich werden immer wieder dieselben Namen durchgewechselt.

So bleibt über zweihundert Jahre nach seiner Veröffentlichung Johann Wolfgang von Goethes „Faust I“ ein scheinbares Muss für fast alle Abiturient:innen. In vielen Bundesländern gilt er immer noch als Pflichtlektüre, erst in den letzten drei Jahren, wurde eine Diskussion darüber angestoßen, ob dies weiter so bleiben sollte. Der Bildungsplan in Bayern hält jedenfalls daran fest. Dort ist „Faust I“ sogar die einzige verpflichtende Lektüre für die Oberstufe. „Durch das Erschließen und Interpretieren literarischer Texte wird den Schülern die besondere ästhetische Qualität dichterischer Werke bewusst“, heißt es da im Lehrplan.

Empfohlen wird auch, „im Rahmen eines breit gefächerten Lektüreangebots mindestens einen repräsentativen Roman aus dem 20. bzw. dem beginnenden 21. Jahrhundert sowie ein Werk der Literatur nach 1945 im Unterricht zu behandeln.“

Auch wenn zum Beispiel in Sachsen unter anderem auch die Romane „Landnahme“ von Christoph Hein und „Medea“ von Christa Wolf zum möglichen Prüfungsstoff für die Abiturprüfung 2023 gehören, ist zeitgenössische Literatur aus den letzten 30 Jahren eher selten. Auch Literatur von Frauen ist – mit wenigen Ausnahmen wie Juli Zeh und Christa Wolf – weniger vertreten. Veränderung im Lehrplan geschehen sehr langsam, auf die Klassiker der deutschen Literatur wird weiterhin viel Wert gelegen und am Ende bleibt man doch bei Goethe, Mann, Kafka und Kleist hängen.

Und bei vielen Schü­le­r:in­nen vor allem eins: Es reicht, die Lektürehilfe von Reclam und nicht die Werke selbst zu lesen, um das Abitur zu bestehen.

Ruth Fuentes