Auf die Zukunft hoffen in Odessa: „Ich glaube an Wunder wie ein Kind“

Die Angst kommt in Wellen, die Menschen wollen an den Strand. Und Tatjana Milimko will an den Sieg des Guten glauben.

Eine Person spring von einer Brücke ins Wasser.

Die Menschen wollen an den Strand, Szene in Odessa Ende Mai Foto: NurPhoto/imago

In diesen Tagen gelten wir als Frontstadt und leben in Angst. Die Angst durchläuft jeden in Wellen. Es sind nicht nur die russischen Kriegsschiffe, die uns vom Meer aus terrorisieren, sondern auch die Einschüchterung durch russische Soldaten, deren Stützpunkt sich im benachbarten Transnistrien befindet. Es sind auch die russischen Medien, die immer wieder Odessa erwähnen und Lügen verbreiten. Was uns bleibt: einatmen, ausatmen und weitermachen, um den nächsten Tag zu erleben.

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Odessiten sind zu Freiwilligen geworden, die Flüchtlingen helfen. Odessiten fahren ins benachbarte Mykolajiw, wo durch den Beschuss russischer Soldaten die Wasserversorgung unterbrochen wurde. Sie graben dort Brunnen und liefern Trinkwasser. Sie geben Konzerte, weil auch Kultur unterstützen kann. Und trotz allem machen die Odessiten immer noch Witze. Ich denke, das ist sowieso unser Markenzeichen, dass wir alle Schwierigkeiten mit einem Lächeln überstehen.

Im Sommer will man unbedingt ans Meer, aber wegen der Minen ist das gefährlich. Trotzdem schaffen es die Menschen irgendwie, Orte am Strand zu finden, wo sie in der Sonne liegen können. Soldaten und Polizei haben es aufgegeben, uns davon abzubringen. Sie achten nur darauf, dass bestimmte Regeln eingehalten werden. Und bei Luftalarm bitten sie alle, Schutz zu suchen.

Neulich traf ich einen Kollegen, mit dem ich einige Tage vor Kriegsbeginn darüber gesprochen hatte, ob der Krieg wirklich ausbrechen würde. Ich sagte, er würde sicher bald beginnen. Und dass mein Körper schon die Anspannung spürte. „Ich bin wie ein Tier, das merkt, wie der Jäger näher kommt.“ Und so ist es dann ja auch gekommen. Aber damals in unserem Gespräch hatte ich auch gesagt, dass in Odessa alles gut gehen würde, dass ein Wunder passieren und die russischen Okkupanten ein für sie so delikates Stückchen Land nicht bekommen würden.

Kann man zurückkehren zum alten Ich?

Seit hundert Tagen glaube ich an ein Wunder. Ich bin eine erwachsene Frau mit zwei Kindern und zwei Hochschulabschlüssen. Aber ich glaube an ein Wunder wie ein Kind. Und doch habe ich jetzt das Gefühl, dass das Böse gewinnt.

Weder ich noch irgendein anderer Odessit gestattet sich Müdigkeit oder Gewöhnung an den Krieg. Ich habe mir selbst und denen um mich herum immer wieder gesagt: „Jeder Krieg geht zu Ende.“ Und wenn alles vorbei ist, möchte ich zu meinem alten Ich zurückkehren, freundlich und liebevoll zur Welt.

Aber geht das überhaupt? Das ist vielleicht die Frage, die unter meinen Bekannten am meisten diskutiert wird. Alle sind überzeugt, dass wir nie wieder dieselben sein werden wie früher. Ich glaube, dass wir besser sein werden. Und wenn wir siegen, laden wir alle echten Freunde ein – Menschen aus verschiedenen Ländern, die uns in schwierigen Zeiten geholfen haben.

Wir zeigen ihnen unser Meer, unsere Berge, Städte und Dörfer, unsere schöne Heimat, unser großes, friedliches Land. Wir werden am Ufer des Schwarzen Meeres sitzen und Wein trinken und uns ohne Worte verstehen. Wir werden lachen und auf den Sieg über das Böse anstoßen. Auf den Sieg des Lichts über die Finsternis.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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ist Chefredakteurin des ukrainischen Nachrichtendienstes USI.online. Sie ist Mutter von zwei Kinder (9 und 12).

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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